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Umstrittene Studie zu Diesel-Nachrüstungen

Umstrittene Studie zu Diesel-Nachrüstungen

Bleibt es bei Softwareupdates für manipulierte Diesel-Fahrzeuge oder gibt es doch noch Hardwarenachrüstungen? Einfluss auf die Bundesregierung könnte eine äußerst umstrittene Studie haben. Von Arne Meyer-Fünffinger, Verena Nierle, Josef Streule

Von
Arne Meyer-Fünffinger
Josef Streule

Über dieses Thema berichtet: mehr/wert am .

Die Debatte um den Umgang mit manipulierten Dieselfahrzeugen geht weiter. Im Bundesverkehrsministerium kommen morgen nach Informationen von BR Recherche wieder Experten zusammen, um über das Thema zu beraten. Dabei wird auch eine vom Ministerium in Auftrag gegebene wissenschaftliche Untersuchung eine wichtige Rolle spielen – erstellt von fünf Autoren, deren Nähe zur Autoindustrie Experten problematisch finden.

"Wissenschaftliche Untersuchungen hardwareseitiger NOx-Reduzierungsnachrüstungsmöglichkeiten im PKW-Bereich und im Segment der leichten Nutzfahrzeuge" - so heißt die Studie, die das Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat. Seit dem 2. Mai ist sie auf der Ministeriums-Internetseite abrufbar.

Auf Basis unter anderem dieser Studie will die Bundesregierung entscheiden, wie es beim Thema Hardwarenachrüstungen für ältere Diesel-Fahrzeuge weitergeht.

Umstrittene Auftragsvergabe

Den Zuschlag für die Studie haben im vergangenen Jahr fünf Professoren erhalten, die vor ihrem Wechsel in die Wissenschaft viele Jahre Erfahrungen in der Autoindustrie gesammelt haben - als Mitarbeiter der Hersteller BMW, Daimler, VW und des Motorenentwicklers AVL List GmbH. Hinweise auf diese früheren Tätigkeiten fehlen in der 153-seitigen Studie. Ebenso wenig ist dort vermerkt, dass die Autoren an gemeinsamen Forschungsprojekten mit der Autoindustrie beteiligt waren und sind, teilweise mit finanzieller Unterstützung der Konzerne. 

Interessenkonflikte nicht ausgewiesen

"Hier liegen ganz starke Interessenkonflikte vor, das geht überhaupt nicht", sagt Christian Kreiß, Lobby-Experte von der Hochschule Aalen. Weiter kritisiert er: "Es bricht alle wissenschaftlichen Ethikregeln, denn alle Arten von Interessenkonflikten müssen mindestens im Anhang ausgewiesen werden, da ist gar nichts."

Hartmut Bäumer, Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland, kritisiert, aufgrund der Auswahl der Studienautoren habe das Ergebnis vorher festgestanden. Seiner Meinung nach ist die Untersuchung vor diesem Hintergrund "substanzlos".

Bundesverkehrsministerium: "Beauftragte unabhängig, unparteiisch, weisungsfrei"

Die Gutachter, so das Bundesverkehrsministerium auf Anfrage von BR Recherche, seien wegen ihrer besonderen "Fachkenntnisse in den Bereichen der Kraftfahrzeugtechnik, Verbrennungsmotoren und der Abgasnachbehandlung bei Kraftfahrzeugen" ausgewählt worden. Bedingung sei gewesen, dass die Autoren die Studie "vertragsgemäß […] unparteiisch und weisungsfrei" erstellen.

Studienautoren: BMW, Daimler und VW als frühere Arbeitgeber

Prof. Michael Bargende (Universität Stuttgart) hat 16 Jahre in der Motorenentwicklung bei Daimler gearbeitet, Prof. Roland Baar (TU Berlin) war Führungskraft bei Volkswagen, Prof. Christian Beidl (TU Darmstadt) stand vor seiner Tätigkeit an der Universität in Diensten des Motorenentwicklers AVL List GmbH, Prof. Thomas Koch (KIT Karlsruhe) war ebenfalls bei Daimler im Bereich Verbrennung und Prof. Hermann Rottengruber (Universität Magdeburg) als Projekt- und Teamleiter bei BMW beschäftigt.

Fördergelder in Millionenhöhe von der Autoindustrie

Die Verbindungen der fünf Studienautoren zur Automobilbranche sind immer noch eng. So erhielt das Institut von Prof. Michael Bargende an der Universität Stuttgart nach seinen Angaben in den Jahren 2014 bis 2017 für 19 Auftragsforschungsprojekte fünf Millionen Euro - "von deutschen Automobilherstellern aus dem süddeutschen Raum. Da hier entsprechende Geheimhaltungsvereinbarungen bestehen, können wir ohne Rücksprache mit den Auftraggebern keine konkreten Projekte benennen", teilte Bargende dem BR auf Anfrage mit.

Prof. Roland Baar, Fachgebiet Fahrzeugantriebe an der TU Berlin, bearbeitet für die Volkswagen AG das Forschungsprojekt "Energieeffizienter Antriebsstrang". Das Institut von Prof. Hermann Rottengruber an der Universität Magdeburg hat nach seinen Angaben im Zeitraum 2017-2018 für fünf Forschungsprojekte 196.000 Euro erhalten, und zwar von einem japanischen und nicht näher benannten deutschen Automobilherstellern und Zulieferern.

Auch Beidl und Koch mit engen Verbindungen zur Autoindustrie

Prof. Christian Beidl vom Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeugantrieb an der TU Darmstadt kooperiert nach eigenen Angaben mit Audi, BMW, Daimler, Honda, Opel, Porsche und VW. Auf Anfrage von BR Recherche schreibt er: "In den Jahren 2012 bis 2016 erhielt die TU Darmstadt von den großen Automobil- und Zulieferfirmen (alle Marken des Volkswagen-Konzerns, Daimler, BMW, Opel, ZF, Continental, Bosch, Magna) jährlich rund 3,5 bis 4 Millionen Euro an Forschungs-Drittmitteln – das sind zwischen rund 8 und knapp 10 Prozent der gesamten Drittmitteleinnahmen aus der Industrie bzw. rund 2 bis 2,5 Prozent der Drittmittel total, die die TU Darmstadt jeweils pro Jahr eingeworben hat." Wie viele Drittmittel sein Institut von Autokonzernen erhalten hat, weist er in der Antwort nicht aus.

Prof. Thomas Koch vom Institut für Kolbenmaschinen am KIT (Institut für Technologie) in Karlsruhe erklärt auf Anfrage, sein Institut finanziere sich im Jahr 2018 zu circa 15 Prozent durch Drittmittel aus der Industrie.

Nach BR-Recherchen ist das Institut zudem aktuell an drei Projekten vorwettbewerblicher Forschung beteiligt. Partner sind die AVL List GmbH, die Ford Werke GmbH und Shell. Begleitet werden die Projekte unter anderem von Autobauern wie BMW, Porsche, Audi oder Volkswagen.

Lobby-Experten warnen vor Interessenkonflikten

Kooperationen zwischen Forschungsinstituten an Universitäten und der Industrie sind üblich und wichtig, weil sie für einen Austausch von Know-how und Wissen sorgen. Dennoch: Bei engen Verbindungen sind Interessenkonflikte nicht auszuschließen, warnen Lobby-Experten.

"Ich sage mal ganz hart, es gibt ein schönes deutschen Sprichwort: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Und so ist das hier", sagt Harmut Bäumer von Transparency International Deutschland.

Auch Prof. Christian Kreiß von der Hochschule Aalen sieht die Kooperationen sehr kritisch: "Nach dem Motto 'Die Hand, die mich füttert, die beiß ich nicht', kann ich mir nicht leisten, gegen meinen Geldgeber zu schreiben, weil dann versagt er mir die Mittel und dann muss ich mein Labor zumachen."

Professoren verteidigen sich

Auf Anfrage teilen die Professoren Bargende, Beidl und Rottengruber fast wortgleich mit, dass die Kurz-Studie als "persönliche Expertise" verfasst worden sei und "in keinem formalen Zusammenhang" mit Institut bzw. Universität stehe und auch "keinerlei Ressourcen dieser Institutionen" eingesetzt wurden.

Prof. Baar weist darauf hin, dass es keinen formalen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit an der TU Berlin gäbe, er habe als "freier Gutachter" an der Studie mitgearbeitet. Auch Prof. Koch betont, es seien ausschließlich seine persönlichen Kenntnisse aufgrund seiner langjährigen Erfahrung eingeflossen.

Gutachten stützt Scheuers kritische Haltung gegenüber Hardwarenachrüstung

Die fünf Wissenschaftler kommen in der Kurz-Studie zu dem Ergebnis, dass Hardware-Nachrüstungen technisch kompliziert und teuer seien.

So heißt es im BMVI-Kurzgutachten zu Hardwarenachrüstungen: "In jedem Fall sind die Kosten für eine HW Nachrüstung > 5000€ anzusetzen, der Fahrzeugnutzer muss auch bei sorgfältiger Umsetzung mit Qualitätseinbußen und einem Kraftstoffmehrverbrauch rechnen."

Auf diese Argumentation hat sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zuletzt wiederholt gestützt, auch wenn zum Beispiel der ADAC und ein weiterer vor Bundesverkehrsministerium beauftragter Gutachter die Kosten für eine Hardwarenachrüstung auf weniger als die Hälfte angesetzt haben.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer erklärte Mitte Mai im Bundestag: "Allen, die sich jetzt nur auf die Hardwarenachrüstung konzentrieren, sei gesagt: Es gibt weiterhin technische, rechtliche und finanzielle Bedenken. Die Nachrüstung wird auch höhere Verbräuche nach sich ziehen."

Fahrzeuge des Ex-Arbeitgebers begutachtet

Noch ein anderer Aspekt sorgt für Kritik. Zehn Diesel-Fahrzeuge haben die Studienautoren unter die Lupe genommen, um die Möglichkeit einer Hardwarenachrüstung zu überprüfen - jeweils zwei Modelle von Volkswagen, BMW, Renault und vier Fahrzeuge von Daimler. Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums seien das die "zulassungsstärksten Fahrzeugtypen in Deutschland". 

Nach Informationen von BR Recherche haben zumindest die drei Wissenschaftler Bargende, Rottengruber und Baar Fahrzeuge ihrer ehemaligen Arbeitgeber geprüft. Koch und Beidl teilten auf Nachfrage mit, sie seien vom Bundesverkehrsministerium nicht befugt, dazu Auskunft zu geben. "Ich finde das Ganze ein absurdes Spiel", erklärt Bäumer von Transparency International Deutschland.

Experten diskutieren morgen im Verkehrsministerium

Wissenschaftler, die Fahrzeuge ihrer ehemaligen Arbeitgeber prüfen – ein weiterer möglicher Interessenkonflikt, der in der Kurz-Studie nicht ausgewiesen ist. Auf Nachfrage erklärt Prof. Thomas Koch: "Auf jeden Fall haben alle Kollegen die erarbeiteten Analyseergebnisse aller untersuchten Autos und die Ergebnisse final gemeinsam bewertet."

Morgen kommen im Bundesverkehrsministerium erneut Experten zusammen, um darüber zu diskutieren, wie es beim Thema Hardwarenachrüstung für ältere Diesel-Modelle weitergehen soll. Die Kurz-Studie dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen. Wann die Bundesregierung dann eine Entscheidung trifft, ist offen.