Immer häufiger gibt es Streit um ein immer knapper werdendes Gut: sauberes Wasser
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Immer häufiger gibt es Streit um ein immer knapper werdendes Gut: sauberes Wasser

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Tiefengrundwasser: Firmen zapfen "eiserne Reserve" an

Tiefengrundwasser, teils Jahrtausende alt und besonders rein, gilt als "eiserne Reserve" für Notzeiten. Dennoch wird es immer wieder entnommen - von kommunalen Wasserversorgern, aber auch von privaten Unternehmen. Dagegen regt sich Widerstand.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Tiefengrundwasser, das ist Grundwasser, das unterhalb des Oberflächengrundwassers, im zweiten oder in einem noch tiefer gelegenen "Grundwasserstockwerk" zirkuliert und vom Oberflächenwasser zum Beispiel durch eine schwer durchlässige Bodenschicht getrennt ist. Es ist zwischen mehreren Jahrzehnten und bis zu einigen Jahrtausenden alt, besonders rein und unbelastet von Schadstoffen und gilt als "eiserne Reserve" für Notzeiten und künftige Generationen.

Glauber: Tiefengrundwasser besonders schutzwürdig

So steht es im Landesentwicklungsprogramm Bayern. Und so versprach es auch Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber noch am 22.03.2022, dem letzten Weltwassertag. Dem Tiefengrundwasser, so Glauber damals in einer Pressemitteilung, gelte in Bayern ein ganz besonderer Schutz.

"Die eiserne Reserve der Wasserversorgung darf nicht ohne Not angezapft werden", so Glauber, der betont: "Der Schutz von Tiefengrundwasser hat eine überragende Bedeutung. Das war immer die klare Linie und das wird auch so bleiben."

Nutzung durch Wasserversorger, um Grenzwerte einzuhalten

Tatsache ist: In Bayern werden über 90 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen. Dabei wird auch Tiefengrundwasser entnommen und genutzt, zum Beispiel von kommunalen Wasserversorgern. Etwa dann, wenn sie ihr mit Nitrat und Pflanzenschutzmitteln belastetes Grundwasser mit unbelastetem, sauberem Wasser mischen müssen, um die Grenzwerte einhalten zu können.

Nutzung durch private Unternehmen

Doch nicht nur kommunale Wasserversorger greifen nach der vermeintlich "eisernen Reserve", sondern auch private Unternehmen. Zum Beispiel der Getränkehersteller Adelholzener, der im Bergener Moos unweit von Siegsdorf im Chiemgau Wasser aus 160 Metern Tiefe fördert. Immerhin eine Million Kubikmeter pro Jahr. Und das ist längst kein Einzelfall, wie ein anderes Beispiel aus dem Landkreis Mühldorf am Inn zeigt.

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Werk der InnFood GmbH in Weiding

Mineralwasser vom Bio-Unternehmen

So möchte das Unternehmen InnFood in Weiding, einem Ortsteil von Polling unweit von Mühldorf am Inn, künftig auch Mineralwasser aus seinen Brunnen in Flaschen füllen und an Einzelhändler verkaufen. Das Unternehmen, das Nahrungsmittel für Babys und Kleinkinder sowie Bio-Lebensmittel für Erwachsene produziert, besitzt Tiefbrunnen auf seinem Werksgelände und hat bisher eine Genehmigung zur Entnahme von bis zu 1,6 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr.

"Einen Teil" dieser verfügbaren Wassermenge möchte InnFood nach eigenen Angaben für die Abfüllung von Mineralwasser nutzen. Bei den Brunnen handelt es sich laut Unternehmen um artesische Quellen mit unterschiedlichen Tiefen bis zu 165 Metern. Dazu hat InnFood gemeinsam mit dem Unternehmen Roxane, das zum französischen Mineralbrunnenbetreiber ALMA gehört, eine gemeinsame Firma gegründet, die InnFood Mineral Waters GmbH.

Alte Genehmigungen - InnFood will Wasserförderung fortsetzen

Die Genehmigungen zur Tiefengrundwasserentnahme aus insgesamt sechs Brunnen, die in Weiding existieren, sind alt und stammen laut Landratsamt Mühldorf aus den Jahren 1955 bis 1976. "Weit vor dem Landtagsbeschluss vom 01.07.2022, welcher neben dem Landesentwicklungsprogramm und den gesetzlichen Regelungen eine wesentliche Vertragsgrundlage zur Beurteilung von Tiefengrundwasserentnahme bildet", wie das Landratsamt schriftlich mitteilt.

Die Erlaubnis zur Nutzung des Tiefengrundwassers aus den vorhandenen Brunnen läuft nach Angaben des Landratsamtes spätestens Ende 2025 aus. Danach müsse die Nutzungssituation neu bewertet werden. InnFood bereitet nach eigenen Angaben derzeit einen Antrag auf Fortsetzung der Wasserförderung in Weiding vor. Die derzeit genehmigte Entnahmemenge von 1,6 Millionen Kubikmetern pro Jahr solle dabei auch in Zukunft die Obergrenze sein.

Widerstand von Bürgern, Umweltschützern und Politik

Dass InnFood die bislang genehmigte Entnahmemenge nicht erhöhen will, ist für Frank Bremauer von der "Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser" (BINT) keine gute Nachricht. Statt es zu vermarkten, müsse Tiefengrundwasser geschützt werden, so Bremauer: "Die Firma besitzt rechtlich gesehen die Brunnen, doch das Wasser, das aus dem natürlichen Kreislauf zufließt, gehört, wenn es überhaupt jemandem gehört, der Allgemeinheit".

Die Dimension der geplanten Abfüllanlage sei zudem gewaltig und entspreche dem Trinkwasserverbrauch einer Millionenstadt, wenn man das getrunkene Wasser zugrunde lege. Gegen die geplante Vermarktung von Tiefengrundwasser reichte BINT deshalb eine Petition beim Bayerischen Landtag ein. Dabei wurden in dieser Woche die ersten 3.126 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern an die Vorsitzende des Umweltausschusses, Rosi Steinberger (Grüne) übergeben.

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Frank Bremauer von BINT (re.) und Kreisrätin Lena Koch (li.) mit der Vorsitzenden des Umweltausschusses, Rosi Steinberger (Grüne)

InnFood: "Nachhaltige Entwicklung des Standorts"

Das Unternehmen InnFood dagegen verspricht eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmensstandortes Weiding. Man habe selbst, so Gesellschafterin Anna-Katharina Jostock, "das allerhöchste Interesse daran, dass der Wasservorrat nicht reduziert wird. Insofern arbeiten wir mit den Behörden daran, dass dies in jedem Fall und auch in Zukunft gewährleistet ist."

Gemeinsam mit Experten und Fachgutachtern aus den Bereichen Hydrologie, Planung und Wasserwirtschaft bereite das Unternehmen derzeit den Antrag auf Fortsetzung der Wasserförderung in Weiding vor. Im Mittelpunkt, so InnFood, stehe dabei "die sorgfältige und nachhaltige Nutzung der Quellen unter Berücksichtigung der Bedarfe der umliegenden Region und der Gemeinde." Ein hydrologisches Gutachten sei derzeit in Arbeit und werde nach Fertigstellung den Behörden zur Prüfung vorgelegt.

Gegner verweisen auf zunehmende Trockenheit

"Die Regenerierung des Tiefenwassers ist ungeklärt", sagt dagegen Frank Bremauer von BINT. "Tiefenwasser bildet sich nicht wie das Oberflächenwasser in einem überschaubaren Zeitraum nach." Auch der Klimawandel stelle eine weitere Belastung im Wasserkreislauf dar, so Bremauer: "Die extreme Trockenheit in diesem Sommer zeigt uns, wie sensibel die Natur auf Eingriffe des Menschen reagiert."

Zudem seien die oberen Grundwasserschichten durch Nitrat, verursacht durch die Landwirtschaft, sehr belastet. Zunehmend seien Brunnen nicht mehr nutzbar. Dass daher auch die öffentlichen Wasserversorger nach dem Tiefengrundwasser greifen, verschärfe die Situation.

Bayern immer trockener

Tatsächlich beobachten Wasserwirtschaftsämter und Wissenschaft seit Jahren, dass Bayern stetig Wasser verliert. Dabei ist der eigentlich wasserreichere Süden stärker betroffen als der Norden. So beobachtet das Landesamt für Umwelt (LfU) seit dem Jahr 2003, dass sich weniger Grundwasser neu bildet, nämlich in jedem Jahr im Schnitt 16 Prozent weniger.

Das hat Auswirkungen auch auf die tieferen Grundwasserschichten. Das zeigt zum Beispiel der aktuelle Bericht des Niedrigwasser-Informationsdienstes Bayern für den Einzugsbereich des Inn. Für den 15.09.22 weisen von 57 Messstellen 37 - und damit 65 Prozent - einen "sehr niedrigen" Grundwasserstand aus, an 7 Messtellen - 12 Prozent - ist der Wasserstand "niedrig". Lediglich 12 Messstellen - 21 Prozent - melden "kein Niedrigwasser". Von einer Messstelle liegen keine Daten vor.

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Grafik Grundwasserverlust in Bayern

Ministerium verspricht "strenge Prüfung"

Auch aus Sicht des Umweltministeriums in München spielt der Klimawandel bei der Planung der Wasserversorgung und bei künftigen Genehmigungsverfahren eine große Rolle. Angesprochen auf die Pläne von InnFood in Weiding, weist das Ministerium darauf hin, dass das Wasserrecht in Weiding nach Ablauf der jetzigen Genehmigungen spätestens 2025 neu beantragt werden müsse.

"Für eine zukünftige Entnahme", so ein Sprecher, "wäre ein umfassender Dargebotsnachweis zu erbringen, welcher ein numerisches Modell des Tiefengrundwasserkörpers enthält." Anhand dieser Daten lasse sich ermitteln, welche Wassermenge tatsächlich, auch unter Berücksichtigung künftiger klimatischer Veränderungen, für eine nachhaltige Nutzung zur Verfügung stehen würde. Zudem, so der Sprecher, gelte: "Die öffentliche Wasserversorgung hat grundsätzlich Vorrang. Die Behörden werden einen Antrag streng prüfen."

Grundwasserkörper in Gefahr

Fest steht: In Bayern wird weniger Grundwasser zur Verfügung stehen – und zwar dauerhaft. Angesichts geringerer Grundwasserneubildung, aber auch, weil das Tiefengrundwasser mitunter Hunderte von Jahren braucht, um sich zu erneuern, sei die Entnahme dieses Wasser durchaus kritisch, meint Carmen de Jong, Professorin für Hydrologie an der Universität Straßburg. Es bestehe die Gefahr, "dass der Grundwasserspiegel durch die intensiven Dürren und Wasserentnahmen absinkt, so dass immer tiefer gepumpt werden muss und der Grundwasserkörper immer mehr in Gefahr ist."

Sowohl das Oberflächengrundwasser als auch das Tiefengrundwasser nehme heute selbst am Alpenrand teils sehr stark ab. Die Prognosen des Arbeitskreises Kliwa für die nächsten 30 Jahre, so de Jong, gingen von einer Abnahme der Grundwasserneubildung von bis zu 80 mm pro Quadratmeter und Jahr am Alpenrand aus. Angesichts einer, ohnehin schon geringer werdenden, mittleren Grundwasserneubildung in Bayern von 169 mm pro Quadratmeter und Jahr sei das ein enormer Wert.

Auch Entnahme durch Kommunen keine Lösung

Nicht nur die Entnahme von Tiefengrundwasser durch Unternehmen, sondern auch durch die kommunalen Wasserversorger sieht die Hydrologin kritisch. Tiefengrundwasser zu entnehmen, um damit belastetes Wasser zu mischen, um Grenzwerte einhalten zu können, könne nur eine temporäre Lösung sein und sei sicherlich nicht von den Bürgern erwünscht. Sinnvoller sei, die Belastungen des Oberflächengrundwassers mit Nitrat und Pestiziden zu senken und das Trinkwasser besser zu reinigen.

Beteiligung der Bürger

Zu der immer wieder, auch in Mühldorf, geforderten Beteiligung der Bürger an Genehmigungsverfahren sagt Carmen de Jong, dass die Menschen darauf ein verbrieftes Recht hätten. Die EU-Wasserrahmenrichtline (EU WRRL 2000/60) verpflichte die Mitgliedsstaaten nicht nur, ein Gleichgewicht von Grundwasserentnahme und -neubildung zu gewährleisten, sondern auch, die betroffene Öffentlichkeit am Verfahren zu beteiligen.

"Natürlich", sagt die Hydrologin, "sollten die Bürger volles Mitspracherecht haben und darüber hinaus einen wirksamen Zugang zum Rechtsschutz bekommen. Oft sind aber die Unterlagen unvollständig und verstreut und deshalb ungeeignet, der betroffenen Öffentlichkeit eine zweckdienliche Beteiligung am Entscheidungsverfahren zu ermöglichen."

In Mühldorf am Inn, aber auch an anderen Orten, wird sich zeigen, wie diese Vorgaben der EU umgesetzt werden.

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Carmen de Jong, Professorin für Hydrologie an der Universität Straßburg

Protest gegen die Entnahme von Tiefenwasser in Weiding
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Protest gegen die Entnahme von Tiefenwasser in Weiding