"Die große Mauer quer durch unser Land" sei zwar verschwunden, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Bundestagswahl am 24. September habe aber gezeigt, dass andere, weniger sichtbare Mauern entstanden seien, "die unserem gemeinsamen 'Wir' im Wege stehen."
Steinmeier sieht neu gewachsene Unzufriedenheiten
Ohne die AfD direkt zu erwähnen, erklärte Steinmeier, der neu gewählte Bundestag spiegele "die schärferen Gegensätze und auch die Unzufriedenheiten" in der Gesellschaft wider - besonders beim Thema Flüchtlingspolitik. "Nirgendwo stehen sich die Meinungslager so unversöhnlich gegenüber." Er betonte, dass Deutschland politisch Verfolgten Schutz gewähren müsse. Doch dies sei nur möglich, "wenn wir die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt ist oder wer auf der Flucht vor Armut ist".
"Aus meiner Sicht gehört dazu, dass wir uns Migration nicht einfach wegwünschen, sondern - ganz jenseits von Asyl und den europäischen Anstrengungen - auch legale Zugänge nach Deutschland definieren, die Migration nach unseren Maßgaben steuert und kontrolliert." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erinnerte eher allgemein an die Herausforderungen im eigenen Land, in Europa und in der Welt. Die Aufgaben für Deutschland seien seit der Wiedervereinigung vor 27 Jahren "nicht weniger geworden", sagte Merkel.
"Aber wir können auch zurückblicken und sagen: Vieles in der Deutschen Einheit ist uns geglückt. Und das sollte uns die Kraft geben, auch die ausstehenden Probleme zu lösen." Angela Merkel
Ost und West noch nicht wirklich vereint
Am Rande des heutigen Auftakttages zur Einheitsfeier sagte die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, dass das Ergebnis der Bundestagswahl als Warnsignal eines mangelnden Zusammenhalts zwischen Ost und West gesehen werden könne.
"Es gibt immer noch viele Menschen in vielen Regionen im Osten und Westen, die sich auch nicht mitgenommen fühlen." Malu Dreyer, Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz
AfD nicht nur im Osten stark
"Die Wahlen sind für uns durchaus auch so etwas wie ein Moment zum Nachdenken und Überlegen, was ist falsch gelaufen, dass so viele Menschen irritierend gewählt haben", sagte Dreyer.
Gleichzeitig machte die Landeschefin klar, dass es falsch sei, das Erstarken der AfD vor allem als ostdeutsches Problem zu bewerten. Dreyer zog dennoch eine insgesamt positive Bilanz am 27. Jahrestag der deutschen Einheit, doch der Prozess des Zusammenwachsens sei noch nicht beendet - "wir müssen weiter zusammenwachsen".
Regionale Unterschiede verschärfen sich
Und die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, warnte vor neuen Strukturproblemen in Ostdeutschland. Die Wirtschaftsleistung habe sich zwar seit der Wende mehr als verdoppelt und die Arbeitslosigkeit sei gesunken. Trotzdem: Das Bruttoinlandsprodukt liegt im Osten pro Kopf bei gerade einmal 73 Prozent des westdeutschen Vergleichswertes und die Produktivität in den Betrieben bei etwa 80 Prozent.
Regionale Unterschiede hätten sich durch Globalisierung und demografischen Wandel verschärft. Die Annäherung zwischen Ost und West sei zwar auf einem guten Weg, dieser sei aber noch nicht abgeschlossen.