Ein Schützengraben, im Hintergrund Soldaten, die ihn verlassen, im Vordergrund groß: eine weiße Flagge.
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Kampfhandlungen einstellen, Gebiete an Russland abtreten: Ist so ein echter Frieden für die Ukraine möglich?

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Sollte die Ukraine aufgeben, damit es Frieden geben kann?

Bilder aus Bachmut zeigen das düstere Gesicht des Krieges: Parallelen zum Ersten Weltkrieg mit seinen aussichtslosen Grabenkämpfen und vielen Opfern werden gezogen. Sollte die Ukraine besser aufgeben, um Frieden zu ermöglichen? Possoch klärt!

Soldaten in Schützengräben, Kämpfe um jeden Meter: die Bilder aus Bachmut im Osten der Ukraine erinnern viele an den Ersten Weltkrieg. Nach dem Oscar-Erfolg des deutschen Films "Im Westen nichts Neues" ziehen BR24-Userinnen und User Vergleiche: "Als Zuschauer merkt man die Sinnlosigkeit eines Krieges. Leider ist das in der Ukraine auch wieder aktuell." So lautet etwa ein Kommentar.

Ist der Ukraine-Krieg inzwischen so sinnlos wie es der Erste Weltkrieg damals für viele am Ende auch war? Sollte die Ukraine aufgeben, Gebiete an Russland abtreten, damit es Frieden geben kann? Dieser Frage geht das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) nach.

Martin Schulze Wessel, Geschichtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), stellt klar: "Der Erste Weltkrieg war von deutscher Seite als ein Krieg geplant worden, der zu einem schnellen Sieg führen sollte. Dann hat sich aber herausgestellt, dass aufgrund der Waffenentwicklung die Verteidiger in einer sehr günstigen Situation gegenüber den Angreifern sind." Die Angreifer hatten bei jedem Vorgehen mit hohen Verlusten zu kämpfen und so wurde der Krieg "zu einem Krieg, in dem sich lange Zeit ganz wenig bewegt hat".

Ukraine-Krieg: Parallelen zum Ersten Weltkrieg?

Verhärtete Fronten – wiederholt sich das Geschehen nun im Ukraine-Krieg? Wladimir Putin will zwar keinen Meter zurückweichen und Wolodymyr Selenskyj mit der Unterstützung von westlichen Waffen das gesamte Territorium der Ukraine zurückerobern.

Aber das lokal begrenzte Kriegsgeschehen in Bachmut sei trotz ähnlicher Bilder nur bedingt mit der Situation an der Westfront im Ersten Weltkrieg gleichzusetzen. Überhaupt könne man "die enorme industrielle Dimension des Ersten Weltkriegs nicht vergleichen mit dem russisch-ukrainischen Krieg", sagt Marcus Matthias Keupp, Militärökonom an der ETH Zürich.

Im Video: Ist der Ukraine-Krieg so sinnlos wie es der Erste Weltkrieg am Ende für viele war? Possoch klärt!

Russlands Erfolgsrezept in Kriegen: Masse und Ausdauer

Vordergründig tun sich weitere Parallelen auf. Blickt man auf die russische Kriegsgeschichte zurück, war der Erfolg Russlands immer mit zwei Dingen verbunden: Masse und Ausdauer. Das hat zum Beispiel den für Russland auch psychologisch so wichtigen Sieg in Stalingrad im Winter 1942/1943 herbeigeführt. Ein Sieg, den sich der damalige sowjetische Diktator Josef Stalin teuer erkauft hat: 150.000 tote deutsche Soldaten gegenüber 400.000 toten russischen Soldaten.

Eine Parallele zum Ukraine-Krieg heute sei jedoch erneut schwierig zu ziehen, gibt Militärökonom Keupp zu bedenken und führt ein Stalin-Zitat an, wonach der Zweite Weltkrieg "mit russischem Blut und amerikanischem Stahl" gewonnen wurde. Gemeint war die Unterstützung der Sowjetunion durch die USA, die die Rote Armee im Kampf gegen die Wehrmacht vom Pazifik her aufrüsteten.

Was Masse und Ausdauer betrifft, ist Russland bei seiner Strategie geblieben: "In Bachmut sehen Sie im Moment, wie […] die russische Armee ihre Menschen verheizt." Der wesentliche Unterschied zum Ukraine-Krieg heute ist allerdings: Die Russen haben kaum Unterstützung, keinen amerikanischen Stahl. Den hat nun die Ukraine – mit entscheidenden Nachteilen für Russland. Nach Keupps Berechnungen werden die modernen russischen Panzer bis zum Sommer vernichtet sein. Ein Aufgeben der Ukraine würde aus militärstrategischer Sicht also kaum Sinn ergeben.

Eine Frage der Moral

Hinzu kommt: Der Wille der Ukrainer, sich zu verteidigen, scheint ungebrochen zu sein. Auch russische Luftangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine oder atomare Drohungen Putins konnten daran nichts ändern.

"Die Ukraine hat einen ganz großen Vorteil in diesem Krieg: Nämlich, dass ihre Soldaten überzeugt sind von dem, wofür sie kämpfen. Sie haben eine wirkliche Kriegsmoral", sagt Martin Schulze Wessel. Russische Soldaten hätten diese nicht. Das mache einen "riesigen Unterschied" aus.

Frieden mit Putin?

Aber auch die Ukraine erleidet hohe Verluste, kann trotz westlicher Unterstützung nicht ewig kämpfen. Nur: Wie und unter welchen Bedingungen ist Frieden aktuell möglich? Für Schulze Wessel ist vor allem Russlands imperiale Tradition ein Hinderungsgrund: Es gebe heute "feste Vorstellungen davon, dass Russland nur als Imperium bestehen kann oder gar nicht, dass es andere Völker beherrschen muss, oder sonst in seiner eigenen Existenz bedroht ist." Frieden könne nur erreicht werden, wenn Russland diese Denkmuster überwinde.

Militärexperte Keupp argumentiert ähnlich:

"Sie können mit dem Putin-Regime keinen Frieden schließen. Dieses Regime ist strukturell gar nicht friedensfähig, weil es nämlich auf Expansion ausgelegt ist." Marcus Matthias Keupp, Militärökonom an der ETH Zürich

Fazit: Ein Aufgeben der Ukraine, um einen schnellen Frieden zu erreichen, macht nach den Einschätzungen Schulze Wessels und Keupps keinen Sinn: Der Durchhaltewille der ukrainischen Soldaten sei groß. Militärstrategisch sei die Ukraine eher im Vorteil – und der Friedenswille Russlands ohne imperialistische Motive derzeit ausgeschlossen.

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