Beliebt waren große Koalitionen noch nie. Vor einer "miesen Ehe" warnte 1966 Günter Grass. Der liberale Publizist Ralf Dahrendorf fürchtete gar das "Ende des parlamentarischen Regierungssystems". Half alles nichts. CDU, CSU und SPD schlossen sich trotzdem zusammen.
Und wie sehr die SPD das damals wollte! Herbert Wehner sah die Groko, die damals nicht so genannt wurde, als einzige Option für seine Partei. Ansonsten drohe der "Niedergang" der SPD.
Die Regierungsbildung dauerte damals nur 20 Tage. Am Ende stand ein Kabinett, das reich war an politischen Lichtgestalten und Talenten: Willy Brandt, Franz Josef Strauß, Karl Schiller. Personell also war die erste Groko wirklich groß.
Numerisch auch: Die christlichen Parteien und die SPD waren wahrhaft große Player, bei der Wahl hatten sie 87 Prozent der Stimmen bekommen. Niemand bestritt ihren Anspruch, "Volkspartei" zu sein. Im Bundestag stellte die große Koalition ganze 90 Prozent der Mandate. Dazu passte, dass auch die Aufgaben der neuen Regierung gewaltig schienen. Aus damaliger Sicht rutschte die junge Bundesrepublik gerade in eine schwere wirtschaftliche Krise. So unbeliebt sie war, groß war die erste große Koalition also wirklich.
Statt Groko lieber "Angola-Koalition"?
Davon ist nicht viel geblieben. Mit jeder Neuauflage wurde die große Koalition kleiner. Aktuell basiert das Bündnis auf nur noch gut 53 Prozent der Wählerstimmen. Man kann darüber streiten, ob das überhaupt noch wahre Größe ist. Es entspricht in etwa der Mehrheit, die eine Koalition im Bundestag unbedingt braucht.
Warum dann eigentlich noch "große Koalition"? "Schwarz-Rot" klingt kompliziert. Man könnte auch nach einer Flaggen-Metapher suchen, nach dem Vorbild "Jamaika" für Schwarz-Gelb-Grün. Im Fall von Union und SPD landet man dann bei Angola - ein unfreies, vom Bürgerkrieg zerstörtes Land, kein schönes Bild für eine Koalition. Dann lieber weiter "Groko", das ist bewährt und eingeübt.
Volkspartei wollen alle sein
Wobei, auch inhaltlich ist das Bündnis von Union und SPD ja nicht mehr einzigartig. Volkspartei wollen heute auch die Kleinen sein, AfD und FDP schon länger, kürzlich formulierten auch die Vorsitzenden der Grünen: "Wir müssen Bindekraft über unser Milieu hinaus entwickeln." Alle zielen auf die Mitte der Gesellschaft, ergänzt um deren rechten oder linken Flügel. Entsprechend breit ist die politische Programmatik aller Parteien. Für jeden soll was dabei sein.
Im Widerspruch dazu steht, dass die Mitte der Gesellschaft immer weiter auseinander driftet. Die Interessen der Wähler werden vielfältiger. Ob eine Volkspartei dieser Vervielfältigung der Wünsche überhaupt begegnen kann, ist ungewiss. Der SPD gelingt es immer weniger. Wie lange es der Union noch gelingt, zeigt sich bald, womöglich schon in den nächsten Monaten. Viel wird von Horst Seehofer abhängen. Im Innen-, Bau- und Heimatministerium des CSU-Chefs werden die großen Fragen beantwortet: Integration, Wohnungsmangel, Lebensqualität auf dem Land. Der Erfolg dieser Groko liegt ganz wesentlich bei Seehofer.
"Jamaika"-Sondierungen als Vorgeschmack
Scheitert er, wird es die Union schwer haben. Dann ist es gut möglich, dass nach der nächsten Bundestagswahl eine große Koalition nicht mehr groß genug wäre. Dass ohne vierte Partei keine Kanzlermehrheit mehr zustande käme. Die Jamaika-Sondierungen waren ein Vorgeschmack.