Ausgebrannter Reisebus in der Neuköllner Sonnenallee.
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Spuren der Verwüstung: ausgebrannter Reisebus in der Neuköllner Sonnenallee.

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Silvesterkrawalle: Festgenommene wieder frei - Folgen Strafen?

Nach den Berliner Gewaltexzessen an Silvester wird bundesweit über Konsequenzen diskutiert - auch Bayerns Politiker melden sich zu Wort. Derweil sind die 145 Festgenommenen in Berlin wieder auf freiem Fuß.

Über dieses Thema berichtete BR24 im Radio am .

Busfahrer Inal Ercan ist nicht der einzige Berliner, der in der Silvesternacht aus dem Schlaf gerissen wurde, doch sein Erwachen war besonders unerfreulich: Eine halbe Stunde nach Mitternacht rief ihn sein Vater an, um ihm mitzuteilen, dass sein Reisebus lichterloh in Flammen steht. Am Morgen sieht man, dass auch der Wohnblock, unter dem der Bus geparkt war, schwer in Mitleidenschaft gezogen ist.

Das Bild illustriert, was in Berlin in der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar im Schutz der Dunkelheit und anonymer Gruppen passiert ist: Polizei und Rettungskräfte wurden mit Feuerwerkskörpern und Leichtmunition beschossen, mit Eisenstangen attackiert, teils gezielt in Hinterhalte gelockt. 33 Einsatzkräfte wurden verletzt, zahlreiche Autos und Mülltonnen abgefackelt, Fenster eingeworfen.

Silvesterkrawalle: Festgenommen, freigelassen - und dann?

Insgesamt wurden 355 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. 145 der Randalierer wurden festgenommen - alle sind inzwischen wieder auf freiem Fuß.

Bodo Pfalzgraf, Polizeigewerkschaftler aus Berlin, zweifelt daran, dass sich daran viel ändert. Bisher, sagt er, landeten von 100 straffälligen Jugendlichen durchschnittlich nur zwei tatsächlich vor einem Richter. Alle anderen Verfahren würden anders beendet oder eingestellt. Was im speziellen Verfahren zu Angriffen auf Polizisten und Feuerwehrleute in den vergangenen Jahren betrifft, gibt es in Berlin einem Justizsprecher zufolge keine Zahlen - "erst recht nicht" was den Einsatz von Böllern betrifft. Die sollen jetzt erhoben werden.

Nicht nur für Pfalzgraf ein unbefriedigender Befund: "Solche Leute müssen konsequent bestraft werden, und die Strafe muss auf dem Fuße folgen, nicht erst ein halbes Jahr später. Die müssen einen Richter sehen", so der Berliner Landeschef der Polizeigewerkschaft.

Polizei macht Angaben zu mutmaßlichen Tätern

Ähnlich äußert sich der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hinkel (SPD). Die Taten müssten strafrechtlich konsequent verfolgt werden. "Rettungskräfte in einen Hinterhalt zu locken, das ist hochkriminelles Verhalten."

Trotz aller Bemühungen könne man einzelne Personen - oft Jugendliche ohne berufliche Perspektive - einfach nicht erreichen. "Die behaupten, dass hier eigene Regeln gelten, dass der Kiez ihnen gehört", berichtet der Neuköllner. Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kündigte einen Gipfel gegen Jugendgewalt an. Nach Angaben der Polizei sind bis auf fünf alle der Festgenommenen Männer, fast alle noch jung; ein Drittel der mutmaßlichen Täter sind Deutsche, bei den übrigen wurden 18 Nationalitäten festgehalten.

Die bessere Aufarbeitung durch die Justiz ist nur eine der möglichen Konsequenzen, die inzwischen bundesweit diskutiert wird. Gefordert werden unter anderem ein generelles Böllerverbot (oder Böllerverkaufsverbot) an Silvester, dazu ein Verbot von Schreckschusspistolen, Bodycams für Polizisten und Feuerwehrmänner.

Bayerns Innenminister: Berlin ist "Hauptstadt der Kriminalität"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält insbesondere von einer Einschränkung der Silvesterknallerei wenig. Er sieht in den Ausschreitungen ein Berliner Problem. "Das Problem sind nicht die Böller, sondern die Krawallmacher, teils aus dem linksextremen Spektrum, teils mit Migrationshintergrund."

Ähnlich äußerte sich Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU): "Berlin entwickelt sich leider zu einer Chaos-Stadt – beginnend bei der Politik, die weder Wahlen organisieren noch die Sicherheit ihrer Bürger garantieren kann.

Allerdings: Auch wenn Attacken auf Einsatzkräfte in Bayern - etwa in Augsburg - bei Weitem nicht die Berliner Dimension angenommen haben, mehren sich auch hier Stimmen, die das Böllern verbieten oder lokal begrenzen wollen. Ein zusätzliches Argument: Noch nie mussten Bayerns Kommunen soviel Silvestermüll beseitigen wie in diesem Jahr.

Experte: "Machspiele mit der Polizei"

Wenn es um die Verhinderung von Ausschreitungen geht, setzt der Schweizer Kriminologe Dirk Baier im Bayern2-Radiowelt-Interview jedoch andere Schwerpunkte - vor allem Prävention bei der Entstehung gewaltbereiter Milieus, die "kollektiven Formen der Auseinandersetzung mit staatlichen Autoritäten" suchten. Dazu gehört auch für Baier "eine "schnelle, konsequente Strafverfolgung".

Dashcams könnten bei der Überführung von Gewalttätern helfen. Vor allem aber seien die Arbeitsbedingungen bei der Polizei zu überprüfen: "Überstunden beispielsweise. Ich glaube, da muss man an die Probleme ran. Einfach nur Technik wird das nicht lösen."

Kriminologe: "Falsch, alle mit Migrations-Hintergrund in Sippenhaft zu nehmen"

Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr wiederum rät im Bayern 2-Radiowelt-Interview dazu, von Kollektiv-Begriffen wegzukommen. Der Kriminologe von der Akademie der Polizei Hamburg hält die Angabe der Nationalität von Tatverdächtigen für überflüssig. Vor dem Hintergrund der Ausschreitungen an Silvester sagte er, "wissenschaftlich gesehen ist der ethnische Hintergrund kein Merkmal, das auf Kriminalität schließen lässt."

Es müsse aber selbstverständlich ermittelt werden, aus welchen Hintergründen diese Menschen, meistens Männer, handeln, die alle in bestimmten prekären Milieus zu Hause seien, sagte Behr. "Sozialisation ist ein wesentlich stärkerer Hinweis auf kriminelle Karrieren, als der kulturelle Hintergrund." Es sei daher falsch, alle mit Migrations-Hintergrund in Sippenhaft zu nehmen. "Man soll von diesen Kollektiv-Begriffen wegkommen und man darf sie nicht an Nationalitäten festmachen, sondern an deren Lebenssituation."

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