Olaf Scholz ist in Eile. Noch vor dem Ende der Debatte, noch bevor alle Rednerinnen und Redner sich im Bundestag zum Thema Zusammenhalt der EU, Sicherheit oder Energie-Sicherheit geäußert haben, hat er sich nach Brüssel aufgemacht. Dort trifft er sich mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und der ASEAN-Staaten, wie der Verband der aufstrebenden südostasiatischen Nationen genannt wird. Das hektische Jahr ist noch nicht zu Ende, der Kanzler nennt es im Bundestag "ein besonders schweres Jahr".
"Putin hat sich verrechnet", sagt der Bundeskanzler
Das schwere Jahr bezieht sich natürlich auf den Krieg, die Leiden der Ukrainer und Ukrainerinnen, den Einschnitt, den dieser Krieg auch für Deutschland und die ganze Welt bedeutet. Scholz aber will darüber sprechen, dass "Putin sich fundamental verrechnet hat": Als er geglaubt hat, die Ukraine überrennen zu können. Als er geglaubt hat, Europa werde sich spalten lassen. Als er geglaubt hat, die europäische Solidarität auszutrocknen, indem er den Gashahn zudreht. "Kein einziger dieser Pläne ist aufgegangen" ruft Scholz in den Bundestag, der Kanzler will erkennbar nicht, dass die Geschichte dieses Jahres in Leid und Krieg und Triumph eines Aggressors endet.
Deutschlands Sicherheit wird mit der Nato verteidigt
Die Jahresbilanz, die der Kanzler für sich und seine Regierung zieht, beinhaltet vor allem Erfolge: Deutschland habe sich verteidigungspolitisch neu ausgerichtet; akribisch genau listet Scholz die Einsatzgebiete der Bundeswehr im Nato-Rahmen auf: Slowakei, Ostsee, Litauen. Mit Norwegen verstärke man kritische Offshore-Infrastruktur in der Nordsee, Stichwort Pipeline- und Glasfaser-Sicherheit. Einem europäischen Raketenschutzschirm, wie ihn Scholz sich vorstellt, hätten sich bereits 15 Partner angeschlossen. Dass Frankreich, der wichtigste Partner, (noch) nicht dabei ist, lässt der Kanzler unerwähnt.
Die Ampel als Energiebeschleuniger: LNG-Ausbau
Selbstlob auch beim Thema Energiesicherheit: Putins Krieg habe als Beschleuniger notwendiger Veränderungen gewirkt, sagt Scholz, auch wenn der russische Präsident auch hier falsch liege: das erste LNG-Terminal wird am Samstag in Wilhelmshaven eröffnet, noch in diesem Jahr werde das erste Schiff anlegen, vermutlich habe Vladimir Putin gedacht, das werde nie etwas. Aber: "Das ist was geworden", Olaf Scholz klingt sehr zufrieden mit sich. Und weil er gerade dabei ist, seine Erfolge aufzuzählen, wird auch der chinesische Präsident Xi erwähnt: Beide seien sich in einer entscheidenden Frage einig, "dass nämlich bereits die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen unzulässig ist". Er hoffe sehr, dass diese klare und gemeinsame Botschaft auch in Russland angekommen ist. Russland, davon ist Scholz überzeugt, stehe so alleine da wie nie zuvor, das habe der G20-Gipfel auf Bali gezeigt.
Scholz‘ Handelspolitik: Mit den USA und nicht gegen China
Die Botschaft, die der Kanzler gerne verbreitet sähe: Deutschland arbeitet an der Vernetzung, der Diversifizierung. "Wir müssen unsere Netze weiter auswerfen", Richtung Asien, Afrika, Lateinamerika. Mit einem besonderen Fokus auf die transatlantischen Beziehungen. Mit den USA und nicht gegen China, das ist die Scholz'sche Überzeugung. Man müsse mit Chinas Aufstieg zurechtkommen, sagt der Kanzler, und präzisiert, das bedeute nicht abkoppeln. Denn "als Wirtschafts- und Handelspartner bleibt China wichtig".
Ukraine-Krieg: Ein bisschen Lob von der Union für Olaf Scholz
Von der größten Oppositionsfraktion bekommt Scholz für seine Worte zunächst Lob. CDU-Chef Friedrich Merz teilt die Einschätzung des russischen Angriffskriegs, Putin und seine Schergen müssten eines Tages von der Weltgemeinschaft für schwerste Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Es sei wichtig, dass die Hilfen für die Ukraine nicht nachlassen: diese Hilfen würden den Krieg nicht verlängern, im Gegenteil: "Je mehr wir helfen, desto schneller ist dieser Krieg vorüber." Dann aber schreitet Merz zur Attacke. Nach wie vor fehlten der Ukraine Kampf- und Schützenpanzer, Scholz verstecke sich nach zehn Monaten Krieg immer noch hinter den Nato-Partnern, wenn er diese schweren Waffen nicht liefert, dabei liege es am Kanzler persönlich, dass die Ukraine diese Hilfe nicht bekomme.
Schlagabtausch beim Thema "Iran"
Für Merz ist längst nicht alles Gold in der europäischen Zusammenarbeit. Er bescheinigt dem deutsch-französischen Verhältnis eine "tiefe Störung", Scholz werde als Einzelgänger wahrgenommen. Der Kanzler als Problemfall, so sieht es der Oppositionsführer. Was Friedrich Merz nach eigenen Worten jedoch am meisten entsetzt, in der Debatte: Die Regierungserklärung des Kanzler enthalte „kein einziges Wort“ zu den Vorgängen im Iran. In der Tat hat Olaf Scholz sich zum Iran nicht geäußert, das tut dafür Katharina Dröge, die Fraktionschefin der Grünen. Die neuen Sanktionen, die ab Montag von der EU gegen den Iran verhängt würden, gingen zum großen Teil auf das Konto der Bundesaußenministerin, sagt Dröge. Und dann holt sie aus: "Ich werde Ihnen persönlich nicht vergessen, dass Sie hier im Plenum gelacht haben, als die deutsche Außenministerin über feministische Außenpolitik gesprochen hat", Merz solle erst einmal mit seiner eigenen Werte-Haltung anfangen, bevor er andere kritisiere. Der so Angesprochene verzieht die Mundwinkel und ist erkennbar not amused.
Vernichtende Bilanz für die Ampel aus Bayern
Unterstützt wird Friedrich Merz von Alexander Dobrindt (CSU). Scholz habe versprochen, in Europa Brücken zu bauen, in Wahrheit reiße er sie ein. Die Zeitenwende sei eine Zeitenverschwendung, von der Aufrüstungsoffensive des Kanzler hat Dobrindt nichts gesehen, sagt er. Dem Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) bescheinigt der CSU-Landesgruppenchef, der habe das Stromproblem erst grundsätzlich geleugnet, und dann hätten die Grünen ein Stromsonderproblem für Bayern erfunden. Dobrindts Wunsch zum Ende: Mehr Respekt des Kanzlers – auch gegenüber der Opposition.
Linke und AfD vermissen Engagement der Ampel-Regierung
Den Oppositionparteien AfD und Linke fehlt es an verschiedenen Stellen bei der Ampel. Für Tino Chrupalla (AfD) schadet die Sanktionspolitik der Regierung Deutschland. Dietmar Bartsch (Die Linke) bescheinigt dem Kanzler ein "Maximum an Selbstgerechtigkeit", er vermisst europäische Lösungen für die Inflations-Problematik. Das Selbstlob von Kanzler und FDP-Fraktionschef Dürr, Deutschland mache Dampf und beschleunige in der Energiesicherheit, unter anderem durch den schnellen LNG-Terminal-Ausbau, überzeugt Bartsch nicht. "Deutschland ist unter der Ampel die Klimadreckschleuder Europas" schimpft der Fraktionschef. Für ihn ist die gute Nachricht, "dass ein Jahr [der Ampel] schon vorbei ist."
Die Ukraine kann auf weitere Kredite aus der EU zählen. 18 Milliarden Euro sind es, sagte Kanzler Scholz in einer Regierungserklärung.
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