Ein Soldat nach der Teilmobilmachung Russlands. Nicht alle Russen sind für den Krieg: Sie fliehen aus ihrem Land und hoffen im Ausland Asyl.
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Ein Soldat nach der Teilmobilmachung Russlands. Nicht alle Russen sind für den Krieg: Sie fliehen aus ihrem Land und hoffen im Ausland auf Asyl.

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Russlands Deserteure: (K)ein Asyl für Kriegsdienstverweigerer?

In Russland ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wegen Putins Angriffskrieges auf die Ukraine ausgesetzt. Deserteuren bleibt nur die Flucht. In Deutschland ist die Frage nach Asyl aber eine Einzelfallentscheidung. Und das sorgt für Kritik.

Vor bald einem Jahr begann Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine, mit schweren Verlusten auf beiden Seiten. Laut jüngsten Angaben des ukrainischen Außenministeriums sind seit Kriegsbeginn im Februar 2022 138.340 russische Soldaten gefallen. Russland bestreitet derweil hohe Verluste. Unabhängig können die Zahlen nicht bestätigt werden. Doch es ist kein Wunder, dass viele Russen das Risiko, im Kampf zu fallen, nicht eingehen wollen oder den Krieg gegen das Nachbarland in Gänze ablehnen.

Kein Asyl für Kriegsdienstverweigerer

Der Verein "Connection" aus Offenbach am Main hilft Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren, die ihr Land verlassen. Dort begrüßt man zwar, dass Deutschland zugesagt hat, Oppositionellen aus Russland Visa zu genehmigen. "Es gab auch einige 100 Visa, die ausgestellt wurden", sagt Rudi Friedrich vom Verein "Connection". "Bisher müssen wir aber feststellen, dass diese nicht auf Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und dergleichen ausgeweitet wurden."

Auch die evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden hatte bereits im September gefordert, Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine zu unterstützen. Selbst Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat eine Unterstützung für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gefordert.

BAMF: "Allgemeine Mobilmachung in Russland nicht zu erwarten"

Die Praxis beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sieht anders aus. Das zeigt das Beispiel eines russischen Kriegsdienstverweigerers, den der Offenbacher Verein betreut: Der Mann hat einen Asyl-Antrag gestellt, der im Januar allerdings abgelehnt wurde. Die Begründung: Eine allgemeine Mobilmachung in Russland sei nicht zu erwarten.

Demgegenüber stellt etwa die aktuelle Analyse der britischen Geheimdienste zum Kriegsverlauf in der Ukraine fest, dass die russische Regierung schon bald zur Entscheidung gezwungen sein könnte, entweder die Kriegsziele zu reduzieren oder eine weitere Mobilmachung anzurufen.

Das Bundesinnenministerium, dem das BAMF unterstellt ist, antwortet auf die BR-Anfrage, warum russische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland kein Asyl bekommen: "Diejenigen, die in die Armee eingezogen werden sollen und den Kriegsdienst verweigern, können (...) Asyl beantragen. Für diese Personengruppe wird die Entscheidungspraxis des BAMF aktuell überprüft. Sie wird in Abhängigkeit von dem Ergebnis der Prüfung gegebenenfalls angepasst. (…) Das BAMF hat seine Entscheidungspraxis hierzu nach Kriegsbeginn angepasst. Die Erteilung von Asyl bleibt jedoch eine Einzelfallentscheidung."

Mehr als 1.000 Anfragen nach Russlands Teilmobilmachung

Dass das BAMF inzwischen seine Kriterien angepasst hat, ist für Rudi Friedrich ein "kleiner Schritt", aber nicht ausreichend. "Insbesondere nach der Teilmobilmachung in Russland im September letzten Jahres gab es innerhalb weniger Wochen mehr als 1.000 Anfragen bei uns." Angesichts einer drohenden Rekrutierung fragten sich die Menschen in Russland, wie sie das Land verlassen können. Viele, die schon in Westeuropa, in Deutschland sind, wendeten sich an den Verein, um zu erfragen, wie sie hier einen Aufenthalt bekommen, um sich vor der Rekrutierung zu schützen.

Den Kriegsdienst zu verweigern ist ein Menschenrecht. 1987 hat das die UNO Vollversammlung beschlossen. Durchgesetzt hat es sich nicht in allen Staaten. In Russland gibt es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zwar, aber es wird derzeit wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine ausgesetzt. Dann bleibt nur die Flucht. Viele flüchten in südliche Nachbarländer von Russland, nach Kasachstan, Aserbaidschan oder Georgien.

Ukraine hat Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt

Männer aus der Ukraine müssen ebenfalls in den Krieg – auch gegen ihren Willen, mahnt Rudi Friedrich an: "Es ist so, dass die Ukraine am 24. Februar letzten Jahres nicht nur die Generalmobilmachung verkündet hat, die Grenzen für militärdienstpflichtige Männer geschlossen hat, sondern auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt hat."

Das habe zur Folge, dass Männer kaum die Möglichkeit haben, das Land zu verlassen. "Wir wissen von vier Fällen, in den Kriegsdienstverweigerer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weil es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eben nicht mehr gibt." Dieses müsse die Ukraine wiederherstellen, fordert Friedrich.

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