Orthodoxe Kirchen pflegen traditionell eine enge Beziehung zum Staat. Von einer Symphonie ist da die Rede. Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. treibt diesen Gleichklang auf die Spitze. In seinen Sonntagspredigten unterstützt Kyrill den Kriegskurs von Präsident Wladimir Putin demonstrativ. Sogar in seiner eigenen Kirche wird er dafür immer mehr kritisiert.
Positionierung Kyrills unverständlich - "eigentlich ein kluger Mann"
Die Positionierung des Moskauer Patriarchen sei für ihn unverständlich, sagt Johannes Oeldemann, Direktor des katholischen Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn. Denn, so fügt er hinzu, Kyrill sei eigentlich ein kluger Mann. Oeldemann kennt das Kirchenoberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche aus etlichen persönlichen Gesprächen und Begegnungen. Bei der deutsch-russischen Dialoginitiative "Petersburger Dialog" war Johannes Oeldemann zuletzt für die Zusammenarbeit von russischen und westlichen Kirchenvertretern zuständig.
Aus seiner Sicht gibt es nur zwei Erklärungen für das Handeln des Patriarchen: "Entweder er ist wirklich so unter Druck vonseiten des Staates, dass er sich nicht traut, seine Stimme dagegen zu erheben. Oder er steckt so in der Informationsblase der russischen Propaganda drin, dass er das, was hier passiert, gar nicht wahrnimmt. Ich weiß nicht, welche die schlimmere Variante ist von beiden", sagt er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Kyrill enttäuscht auch Kirchen in Russland
Dietrich Brauer hatte keine großen Erwartungen an den Patriarchen. Aber "eine wortlose Ablehnung des Krieges seinerseits hätte Hoffnung gegeben", sagt der Erzbischof der kleinen lutherischen Kirche in Russland. Kyrill hat die Hoffnungen Brauers enttäuscht. Seit dem ersten Tag unterstützt der 75-jährige Patriarch den Kriegskurs von Präsident Putin. "Das Gesagte macht traurig und enttäuscht", schreibt Brauer in einer Mail. Und da kannte er die Predigt des Moskauer Patriarchen vom vergangenen Sonntag noch gar nicht.
"Möge der Herrgott uns allen in dieser schweren Zeit für unser Vaterland helfen, uns zu vereinen, auch um die Staatsorgane herum." Patriarch Kyrill in einer Sonntagspredigt
Also wieder keine Kritik am Kreml. Stattdessen legitimiere Kyrill den Angriff Russlands auf die Ukraine religiös, als einen "metaphysischen Kampf" des Guten gegen das Böse, sagt Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa und internationale Studien in Berlin: "Das ist die Vorstellung, dass hier das Böse, der böse Westen mit seinen verkommenen Werten, mit Liberalität und Säkularität diese traditionelle Welt angreift."
- Zum Artikel: "Krieg der Kirchen: Wie Moskau die christliche Welt spaltet"
Verteufelung der westlichen "postmodernen Beliebigkeit"
Es scheint das Lebensthema des Moskauer Patriarchen zu sein. Schon als Außenbeauftragter der russischen Kirche prangerte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine angebliche postmoderne Beliebigkeit der westlichen Gesellschaften an, verteufelte Sterbehilfe, Homo-Ehen oder Abtreibungen. Gläubige Menschen könnten "nicht gleichzeitig den Wert der Familie anerkennen und die Zulässigkeit homosexueller Beziehungen", sagte er bei einer ökumenischen Versammlung 2007 im rumänischen Sibiu.
Und als die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2009 Margot Käßmann zu ihrer Ratsvorsitzenden wählte, stellte der im selben Jahr zum Patriarchen gewählte Kyrill den Dialog mit den deutschen Protestanten ein. Der Patriarch könne sich nicht mit einer Bischöfin treffen, hieß es damals aus Moskau.
Einfluss auf Putin ungewiss
Frauen im Bischofsamt oder Gleichberechtigung für gleichgeschlechtliche Paare – im Welt- und Kirchenbild Kyrills ist das ein "Verstoß gegen die Gesetze Gottes". In Zeiten des Kriegs klingt das so: Russland wolle doch nur die Menschen in der Ostukraine vor Schwulenparaden schützen, so Kyrill in einer Predigt wenige Wochen nach Kriegsbeginn.
Wieviel Einfluss Kyrill auf den russischen Präsidenten hat, lässt sich nicht genau bestimmen. Umgekehrt sucht Wladimir Putin immer wieder demonstrativ die Nähe zur orthodoxen Kirche. Und während die russische Regierung international zunehmend isoliert ist, pflegt der Patriarch weiter ökumenische Beziehungen, beispielsweise zum Papst in Rom. Nach einer Video-Konferenz mit Franziskus vor wenigen Wochen freute sich Kyrill, "dass unsere Gesprächspartner sich nicht von uns distanziert haben oder zu unseren Feinden geworden sind".
- Zum Artikel: "Konservative Katholiken und Putin: Geteilte Werte?"
Gesprächskanal zur russisch-orthodoxen Kirche offen halten
Inhaltlich dürfte dieses Gespräch kaum im Sinne des Papstes gelaufen sein. Der Patriarch hat den Krieg nicht eindeutig verurteilt. Und dennoch hält der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti solche ökumenischen Begegnungen für wichtig, allein schon wegen der Tatsache, "dass ein Gesprächskanal gegenüber der russischen Orthodoxie offengeblieben ist".
Es gibt allerdings viele in der katholischen Kirche, die fordern, dass sich der Papst deutlicher von Putin und dem Patriarchen distanziert. Die Theologin Regina Elsner findet, "dass die Art und Weise, mit der Patriarch Kyrill in den letzten sechs Wochen diesen Krieg unterstützt hat, keine Grundlage mehr bietet, um hier über christliche Werte miteinander zu sprechen".
Ukrainische Priester fordern Amtsenthebung
Das Denken und Agieren Kyrills stößt bei Kirchen weltweit auf Unverständnis. Und so werden innerhalb der Kirchen Forderungen nach einem Abbruch des ökumenischen Dialogs mit der russisch-orthodoxen Kirche laut. Johannes Oeldemann hält das allerdings für wenig zielführend - denn das Kirchenoberhaupt vertritt nicht unbedingt die Meinung aller innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche.
Rund 260 ukrainische Priester, die zur russisch-orthodoxen Kirche gehören, fordern einen Kirchenprozess gegen ihr Oberhaupt. Ein Konzil solle den Putin-Vertrauten absetzen und Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilen.
- Zum Artikel: "Die Rolle der ukrainisch-orthodoxen Kirchen in Putins Krieg"
Treffen zwischen Kyrill und Papst im Libanon?
Die Führung der russisch-orthodoxen Kirche möchte die Gesprächskanäle dagegen weiter aufrechthalten. Laut Angaben des Außenamtschefs des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, sei der Nahe Osten im Gespräch für ein mögliches Treffen ihres Oberhaupts mit Papst Franziskus. Zuletzt wurde hier Jerusalem genannt.
Der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hatte kürzlich eine Begegnung von Franziskus und Kyrill im Libanon nicht ausgeschlossen. Es gebe verschiedene Möglichkeiten. Noch sei aber nichts entschieden, erklärte er. Vom Libanon ist es nicht weit nach Jerusalem.
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