Ein Blick in die alte Regie von TVRain. Seit dem März 2022 ist der Sender in Russland verboten.
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Ein Blick in die alte Regie von TVRain. Seit dem März 2022 ist der Sender in Russland verboten.

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Russischer Exiljournalismus: Großer Mut und viele Sorgen

Hunderte Journalistinnen und Journalisten sind aus Russland geflohen. Sie haben Angst vor politischer Verfolgung. Im Exil wollen sie weiterarbeiten. Doch sie stoßen dabei auf viele Herausforderungen.

Über dieses Thema berichtete BR24 Medien am .

Am siebten Tag der russischen Invasion in der Ukraine steht Valeria Ratnikova mit zwei Koffern und ohne jeglichen Plan am Flughafen in Istanbul. Es ist der 2. März 2022 und es ist gerade einmal ein paar Stunden her, da warnte ihr Chefredakteur: Es sei zu gefährlich, in Russland zu bleiben. Zu groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie als kritische Journalistin festgenommen werde. Der Flug kostete Ratnikova beinahe ihre gesamtes Erspartes, aber sie hatte es in die Türkei geschafft.

Deutschland ein Fluchtziel

Valeria Ratnikova ist eigentlich Reporterin und Nachrichtenmoderatorin bei TVRain, auf Russisch "Doschd". Doch der russische Staat hat den unabhängigen, staatskritischen Sender verboten.

So wie Ratnikova sind inzwischen hunderte Journalistinnen und Journalisten ins Ausland geflohen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Non-Profit-Organisation JX Fund. Die häufigsten Ziele sind die Türkei, Georgien, Lettland oder auch Deutschland. Dort arbeiten die geflohenen Journalistinnen und Journalisten – teils ohne große Unterbrechung – weiter. Auch Ratnikova ist wieder für TVRain aktiv, mittlerweile von Riga, der Hauptstadt Lettlands, aus. Doch wie lässt sich über ein Land berichten, das kritische Medienschaffende nicht mehr betreten können? Mit welchen Herausforderungen kämpft Russlands unabhängiger Journalismus im Exil?

Wenige unabhängige Journalisten noch in Russland

"Mir fehlen die Recherchereisen in die russischen Städte und Dörfer sehr, bei denen nicht die Menschen hinter der Geschichte direkt treffe", sagt Valeria Ratnikova. Darunter leide ihre gesamte journalistische Arbeit. Die Authentizität wird für sie so zum Problem. Es gäbe auch kaum noch Kameraleute, weil die meisten von ihnen ebenfalls ausgereist seien. Und die wenigen, die noch geblieben sind, bräuchten maximalen Schutz. Das heißt, dass die Redaktion sichergehen muss, dass Spuren verwischt werden, damit der Staat keinen Verdacht schöpft.

Wie kann man das Publikum in der Heimat erreichen?

Der JX Fund hat in seiner Studie genau die Frage nach den Hürden im russischen Exiljournalismus gestellt und darüber mit zahlreichen Medienschaffenden im Exil gesprochen. Neben dem Sicherheitsaspekt, den Ratnikova nennt, kommen noch weitere Faktoren hinzu. In erster Linie die Reichweite – wie schafft man es, die russischen Online-Sperren zu umgehen und die Staatspropaganda zu durchbrechen, um sein Publikum in der Heimat zu erreichen? Viele Redaktionen setzen da auch auf soziale Medien wie Telegram. Ein weiteres Problem ist, dass vor allem Journalistinnen und Journalisten geflohen sind. Für ein funktionierendes Medienunternehmen sind aber auch Finanzexperten oder IT-Spezialistinnen wichtig. Die sind allerdings oft in Russland geblieben und fehlen im Exil.

Hohe Professionalität der Exilmedien

Die russische Medienlandschaft habe viele Probleme aber überraschend schnell bewältigt, heißt es in dem JX-Fund-Bericht. Die Programmleiterin Polina Stretter sagt: "Es gab nicht wirklich ein großes Loch in der Berichterstattung." Das hinge mit der starken Professionalisierung in der Branche zusammen. Die Redaktionen wären schon aus der Vergangenheit darin geübt, mit immer neuen Einschränkungen durch den russischen Staat umzugehen.

Generell beobachtet Polina Stretter, dass es drei unterschiedliche Arten gibt, wie sich Exilmedien aufstellen. Da sind zum einen Medien, die mehr oder weniger ein ähnliches Angebot machen wie in Russland, natürlich unter den neuen Vorzeichen. Dazu zählt Stretter den Sender von Valeria Ratnikova, TVRain. Dann gibt es Redaktionen, die zwar an bestehende und bekannte Marken anknüpfen, aber ihre Ausrichtung etwas geändert haben. So wie Nowaja Gaseta, die inzwischen als Nowaja Gaseta Europa erscheint und sich auch an ein internationales Publikum richtet. Daneben gibt es auch komplette Neugründungen, also russische Journalistinnen und Journalisten, die sich an neuen Orten zusammenfinden und dort ein neues Medium auf die Beine stellen.

Unsichere Zukunft

Wie lange diese Konzepte funktionieren, ist auch abhängig von externen Finanzhilfen. Bislang bestehen viele Redaktionen dank einer Förderung wie zum Beispiel durch den JX Fund. Valeria Ratnikova plant deshalb nicht allzu weit in die Zukunft. "Vier Wochen maximal", sagt sie. Vielleicht bleibt sie in Riga, vielleicht muss ihre Redaktion auch nach Amsterdam ziehen. Einen wirklichen Plan habe sie da noch nicht.

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