Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson: In diesen von Russland besetzten Regionen in der Ukraine sollen die Bürger ab sofort darüber abstimmen, ob sie zur Russischen Föderation gehören wollen. ARD-Korrespondenten berichten davon, dass russische Soldaten bereits Schulen besetzen, um diese "Referenden" zu schützen. Wer sich für die Pseudo-Abstimmung engagiert, soll von den Besatzern 100.000 Rubel bekommen - umgerechnet gut 1.700 Euro.
Ukraine fordert Menschen auf, besetzte Gebiete zu verlassen
Für die Ukraine ist die Sache so klar wie für die westlichen Länder: Die Menschen in den besetzten Gebieten haben nicht wirklich eine Wahl, zumal, da in den Gebieten weiterhin der Krieg tobt. Die ukrainische Regierung hat die Menschen deshalb dazu aufgerufen, die besetzten Regionen zu verlassen.
Wer aber am Scheinreferendum teilnimmt oder es sogar mitorganisiert, dem drohen harte Strafen. Auch wer einen russischen Pass annimmt, macht sich strafbar und muss mit 10 bis 15 Jahren Haft rechnen, wie Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk schon im Vorfeld betont hat.
Fließende Grenzen zwischen Zwang und Kooperation
Allerdings: Die Grenzen zwischen freiwilliger Kooperation und tödlichem Druck dürften fließend sein. Darauf hat Maksim Majorow vom Zentrum für Kommunikations- und Informationssicherheit hingewiesen. Wenn zum Beispiel russische Soldaten in Häuser eindringen und deren Bewohner mit vorgehaltener Waffe auffordern zu unterschreiben, dürften diese Menschen in der Ukraine straffrei ausgehen, so Majorow.
Claudia Major: "De facto Propaganda und Theater von russischer Seite"
Auf jeden Fall sei es wichtig, dass man von "Scheinreferenden" spreche, betonte die Sicherheitsexpertin Claudia Major im Morgenmagazin von ARD und ZDF: "Weil es keine wirklichen Referenden sind, sondern weil es de facto Propaganda und Theater von russischer Seite ist."
Aus Majors Sicht will Russland mit den Pseudo-Abstimmungen Druck auf den Westen ausüben - und natürlich auf die Ukraine. Der Westen müsse dagegenhalten: "Deswegen ist hier eine geeinte Reaktion so wichtig, um zu sagen: Nein, wir akzeptieren das nicht - im Gegenteil, wir unterstützen die Ukraine umso mehr, um zu zeigen, dass wir einen solchen Krieg und eine solche Annexion nicht dulden."
Hanna Notte: "Nicht-westliche Staaten werden sich wenig äußern"
Ein Erpressungsversuch, mit dem Russland nicht durchkommen darf. So sieht es auch Hanna Notte, Expertin für russische Außenpolitik. Sie geht nicht davon aus, dass die Annexion weiterer ukrainischer Gebiete durch Russland auf größere Zustimmung stoßen wird. Im BR24 "Thema des Tages" schränkte sie aber ein, es könne durchaus sein, "dass einige nicht-westliche Staaten versuchen werden, sich möglichst wenig zu äußern."
Was die russischen Drohungen mit nuklearen Waffen angeht, betonte Notte, man könne natürlich nicht ganz ausschließen, dass Russland die Lage weiter eskalieren lasse. Allerdings sei Putin sein politisches Erbe enorm wichtig. Insofern werde er wohl nicht riskieren, mit einem derartigen Tabu-Bruch nicht nur im Westen, sondern bei allen Staaten der Welt völlig isoliert dazustehen.
Russland dürfte auf "territoriale Integrität" pochen
Das Beunruhigende an den Scheinreferenden, die bis einschließlich 27. September stattfinden sollen, ist freilich das russische Kalkül dahinter: Wenn sich die Bürger dafür aussprechen, zur Russischen Föderation zu gehören - und so dürfte es die russische Seite in jedem Fall darstellen - , dann könnte jeder Angriff der Ukraine in diesen Gebieten als Angriff auf russisches Territorium gewertet werden. Für Putin eine Rechtfertigung für weitere eskalierende Schritte.

Inspektion eines Wahllokals in der von prorussischen Separatisten kontrollierten Volksrepublik Donetsk.
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