Blockierte Schulen, leere Schienen und Hunderttausende auf den Straßen: Schon seit Wochen hält der Kampf um die Rentenreform Frankreich in Atem. Auch an diesem Samstag haben die Gewerkschaften mit Protesten und Streiks wieder Druck gemacht. Allerdings: Die Teilnehmerzahlen schienen niedriger zu sein als am zurückliegenden Dienstag, als mehr als eine Million Menschen demonstriert hatten. Und: Im Senat wird weiter hitzig über die Reform debattiert.
Der Präsident schweigt
Einer bleibt bei all dem auffällig ruhig: Präsident Emmanuel Macron. Spekuliert er darauf, dass die Proteste abebben? Die Kämpfe lässt er Premierministerin Elisabeth Borne und Arbeitsminister Olivier Dussopt ausfechten. Er selbst hält sich bedeckt - obwohl er das höhere Eintrittsalter im Wahlkampf selbst angekündigt hatte
Doch unsichtbar machen kann er sich nicht. Sehr aufmerksam registriert wurde etwa, dass sich Macron weigerte, mit den Gewerkschaftsführern zu sprechen und nur per Brief antwortete. Die Absage an ein Treffen mit den Protestorganisatoren sei eine Beleidigung, kommentierte der CGT-Gewerkschaftsführer Philippe Martinez - so, als zeige man den Stinkefinger. Und werde umgehend zu "mehr Ärger" führen.
Zentraler Punkt des Streits ist das Vorhaben von Frankreichs Mitte-Regierung, das Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben, um das drohende Loch in der Rentenkasse zu stopfen. Auch derzeit beginnt der Ruhestand im Schnitt später als mit 62: Wer für eine volle Rente nicht lang genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag - dies will die Regierung beibehalten. Doch die Zahl der Einzahljahre für eine volle Rente soll schneller steigen.
Eine Mehrheit ist gegen die Reform
Die Gewerkschaften nennen das Vorhaben brutal und ungerecht. Am Dienstag - dem bisherigen Höhepunkt der Proteste - mobilisierten sie nach eigenen Angaben 3,5 Millionen Menschen. Das Innenministerium sprach von mehr als einer Million. Auch an diesem Samstag waren in verschiedenen Städten alles in allem wohl wieder Hunderttausende auf den Straßen.
Tatsächlich lehnt die Mehrheit der Französinnen und Franzosen die Reform Umfragen zufolge ab, um im Alter mehr vom Leben zu haben. Gleichzeitig sind die meisten überzeugt: Die Reform wird kommen. Dennoch gehen sie auf die Straße. Wohl auch, weil soziale Bewegungen in Frankreich immer wieder Erfolg hatten.
Angesichts der Massenproteste stehen selbst innerhalb der Macron-Partei Renaissance nicht alle geschlossen hinter dem Vorhaben. Fraktionschefin Aurore Bergé drohte jüngst mit Ausschluss aus der Fraktion, sollten sich Abgeordnete enthalten oder gar wagen, gegen die Reform zu stimmen.
Macrons Autorität hängt am Wohlwollen der Konservativen
Als einzigen Partner an ihrer Seite sieht die Regierung, die in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit hat, die konservativen Républicains. Eine unbequeme Situation - die bürgerliche Rechte versucht, aus ihrer Machtposition der Rentenreform einen eigenen Anstrich zu verpassen. So haben sie im Senat eine Regelung zur Beschäftigung älterer Menschen durchgebracht, die die Regierung lieber nicht umgesetzt sehen will.
Es bleibt also weiter unklar, ob in der Nationalversammlung ausreichend Républicains für die Reform stimmen. Zwar könnte die Reform auch einfach per Ordonnance angeordnet werden, sollte sie im Parlament scheitern. Doch Macrons Autorität geriete ins Wanken. Das wäre ein Debakel, liegen doch noch vier Jahre Amtszeit vor ihm.
Wie geht es weiter?
Am Mittwoch soll eine Kommission einen Kompromiss zwischen den beiden Parlamentskammern Senat und Nationalversammlung suchen. Das Parlament hat bis zum 26. März Zeit, über das Vorhaben zu entscheiden. Die Regierung verspricht sich, dass sobald die Reform angenommen ist, auf der Straße wieder weitgehend Ruhe herrscht. Die gemäßigteren Gewerkschaften dürften den Protest dann aus Respekt vor dem Gesetzgebungsverfahren einstellen. Radikalere Gruppen könnten mit Streiks bei der Bahn oder in Raffinerien weitermachen.
DGB: Deutschland behandelt seine Rentner schlecht
Deutschland behandle seine Rentnerinnen und Rentner sehr schlecht, wenigstens im internationalen Vergleich - das sagte Bernhard Stiedl, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bayern gegenüber BR24 im BR Fernsehen vor dem Hintergrund der geplanten Rentenreform in Frankreich. Deutschland sei die stärkste Wirtschaftskraft in Europa, zahle aber im Vergleich relativ niedrige Renten und erwarte dennoch, dass man lange bis zur Rente arbeite.
Der bayerische DGB-Chef fordert etwa eine Erwerbstätigenversicherung. Damit würden insbesondere bislang nicht geschützte Selbstständige auch beitragspflichtig. Auch der Beitrag der Arbeitgeber zum Rentensystem müsse erhöht werden, wie etwa in Österreich. Dort zahlten Arbeitgeber 2,4 Prozent mehr als Arbeitnehmer, so Stiedl. Dann könnten Menschen in Deutschland auch früher in Rente gehen und höhere Renten gezahlt werden. "Rente ist keine Mathematik, sondern eine Verteilungsfrage".
Mit Material von AP und dpa

Demonstration in Paris
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!