Hunderttausende sind beim Christopher Street Day in München am zurückliegenden Wochenende auf den Beinen. Auch Bettina und Nicole Wagner. Die beiden sind verheiratet, haben zwei kleine Söhne – und setzen sich dafür ein, dass Regenbogenfamilien rechtlich gleichbehandelt werden.
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Zur Geburt eine Mischung aus Euphorie und Unsicherheit
"Wir sind genauso Familie wie Hetero-Familien auch", sagt Bettina Wagner. Für die CSD-Parade hat sie ein T-Shirt mit dem Logo von "LesMamas" angezogen – einem Münchner Verein, der sich für lesbische Frauen mit Kindern oder Kinderwunsch einsetzt. Für die 44-jährige Münchnerin und ihre Frau Nicole hat sich dieser Wunsch vor mehreren Jahren erfüllt. Doch in die Euphorie mischte sich damals auch ein Gefühl von Unsicherheit.
Abstammungsrecht behandelt lesbische Paare anders als heterosexuelle
"Man kriegt ein Kind, ist voller Vorfreude", sagt Nicole Wagner. Doch im Hinterkopf habe sie immer den Gedanken gehabt: "Hoffentlich läuft alles glatt!" Und damit meint die 42-Jährige nicht die Geburt, sondern die Rechtslage. Die Söhne wurden zwar in die Ehe der beiden geboren. Anfangs aber war jeweils nur die leibliche Mutter auch rechtlich als solche anerkannt. So sieht es das geltende Abstammungsrecht vor.
Kritik an "Mutterschaft zweiter Klasse"
Eine Regelung, die die beiden Frauen kritisieren. "Man hat die gleichen Sorgen und Nöte wie alle Eltern von Neugeborenen", sagt Bettina Wagner. "Dass das nicht vom ersten Tag an anerkannt wird – das hat sich nach einer Mutterschaft zweiter Klasse angefühlt." Denn wenn heterosexuelle Ehepaare ein Kind bekommen, wird der Mann von vornherein als Vater anerkannt. Unabhängig davon, ob er das Kind gezeugt hat.
Stiefkindadoption kann bis zu 18 Monate dauern
Für Frauen-Paare bleibt zurzeit nur die sogenannte Stiefkindadoption. Ein Verfahren, das sich bis zu anderthalb Jahren hinziehen kann, wie der Lesben- und Schwulenverband auf seiner Internetseite schreibt. Der Antrag dazu muss notariell beurkundet werden, es braucht eine Stellungnahme des Jugendamts – und am Ende entscheidet ein Familiengericht. Zum Verfahren gehört auch, dass das Jugendamt einen Hausbesuch macht.
Zur Geburt haben die Mütter ein Testament gemacht
Dabei werden sehr persönliche Fragen gestellt, wie sich Nicole Wagner erinnert: "Wie haben wir uns kennengelernt? Wie leben wir unsere Beziehung? Wie tragen wir Konflikte aus in unserer Beziehung?" Und damit nicht genug: Auch ein Testament haben die beiden gemacht – für den Fall, dass der leiblichen Mutter etwas zustößt, bevor die andere als Elternteil anerkannt ist. Ein Szenario, das auch die Bundesregierung im Blick hat.
Kind bei Tod der leiblichen Mutter "quasi Vollwaise"
"Man muss sich nur mal vorstellen, dass nach der Geburt die leibliche Mutter verstirbt", sagt Sven Lehmann, Queer-Beauftragter des Bundes, im Gespräch mit BR24. "Dann ist das Kind quasi Vollwaise, obwohl es noch eine andere Mutter hat." Eine Rechtslage, die die Ampel-Koalition nach den Worten des Grünen-Politikers zügig ändern will. Zurzeit stimmen sich die beteiligten Ministerien ab. Nach der Sommerpause soll es einen konkreten Vorschlag zur Reform des Abstammungsrechts geben.
Größte Oppositionsfraktion grundsätzlich offen für Ampel-Pläne
Auch die Unionsfraktion im Bundestag ist grundsätzlich offen dafür, lesbische Ehepaare in diesem Punkt rechtlich mit heterosexuellen gleichzustellen. Das macht die CSU-Abgeordnete Susanne Hierl deutlich. Konkret könne sie sich das für Fälle vorstellen, bei denen ein lesbisches Paar mithilfe einer "ärztlich assistierten Samenspende" ein Kind bekommt, so Hierl im Gespräch mit BR24.
Anders bewertet die Rechtspolitikerin die Sache, wenn es sich nicht um eine anonyme Samenspende handelt – wenn also der Spender bekannt ist. Dann sei auch zu berücksichtigen, ob der Mann für das Kind mitsorgen möchte. Ein Punkt, über den auch die Ampel-Koalition noch diskutiert.
Sechs Monate Warten - statt Sicherheit von Anfang an
Bettina und Nicole Wagner hatten Glück: Sie mussten keine anderthalb Jahre auf das Ende des Adoptionsverfahrens warten. Nach jeweils rund sechs Monaten haben sie das Schriftstück erhalten, in dem beide als Mutter des gemeinsamen Kindes genannt werden. Damals habe sie Tränen in den Augen gehabt, erinnert sich Bettina Wagner. Ein wichtiger Moment, sagt sie heute. Auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass es von Anfang an so gewesen wäre.
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