Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach dem Einschlag einer Rakete in Polen eine sorgfältige Aufklärung angemahnt. "Das ist ein schrecklicher Vorfall und es ist jetzt notwendig, dass sorgfältig aufgeklärt wird, wie es dazu gekommen ist, dass diese Zerstörungen dort angerichtet werden konnten", sagte Scholz nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Rande des G20-Gipfels auf Bali.
"Wir wollen diesen Einschlag genau untersuchen"
Der Kanzler warnte vor voreiligen Schlüssen hinsichtlich des Vorfalls: "Jede voreilige Festlegung über den Tatsachenverlauf vor seiner sorgfältigen Untersuchung verbietet sich bei einer so ernsten Angelegenheit", sagte Scholz. "Wir wollen diesen Einschlag, diese Zerstörung genau untersuchen und auch erst dann genau sagen, was das für eine Rakete war, von wem sie stammt und was wir daraus für Schlussfolgerungen zu ziehen haben", ergänzte der Kanzler gegenüber der "Welt".
Wichtig sei zudem, ganz klar zu machen, "dass all das ja nicht passiert wäre ohne den russischen Krieg gegen die Ukraine, ohne die Raketen, die jetzt intensiv und in großem Ausmaß auf die ukrainische Infrastruktur verschossen werden".
Gespräch mit Duda
Scholz sagte, er habe mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda über das Geschehene gesprochen und ihm und den Menschen in Polen sein Beileid und das Mitgefühl der Deutschen ausgesprochen. Auch hier betonte Scholz, dass "unverändert" Russlands Angriffskrieg stattfinde. Überall in der Ukraine gebe es Raketenangriffe, getroffen würden Elektrizitätswerke, Umspannwerke und die Wasserversorgung. "Das ist keine akzeptable Form der Kriegsführung in diesem ohnehin ungerechtfertigten Krieg", sagte Scholz.
Bundeskanzler Olaf Scholz forderte eine sorgfältige Untersuchung des Raketen-Zwischenfalls
Politiker weltweit warnen vor weiterer Eskalation
Auch Frankreich warnte vor voreiligen Schlüssen. Die Frage, wer das Geschoss abgefeuert habe, müsse mit "größter Vorsicht" erörtert werden, erklärte der Elysée-Palast. "Viele Länder verfügen über die gleiche Art von Waffen, so dass die Identifizierung des Raketentyps nicht unbedingt Aufschluss darüber gibt, wer dahinter steckt." Der Elysée warnte vor "erheblichen Risiken einer Eskalation".
In China rief eine Sprecherin des Außenministeriums zur Zurückhaltung auf. Alle Parteien sollten unter den gegenwärtigen Umständen ruhig bleiben und Zurückhaltung üben, sagte Mao Ning auf einer turnusmäßigen Pressekonferenz. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte, es sei "absolut notwendig, eine Eskalation des Krieges in der Ukraine zu vermeiden".
"Putin steht fast alleine da"
Beim G20-Gipfel hätten die Staats- und Regierungschefs alle gemeinsam zum Ausdruck gebracht, "dass dieser Krieg zu Ende gehen soll und dass Russland seine Truppen zurückziehen soll und diese brutalen Attacken einstellen soll", sagte Scholz. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin sieht der Kanzler in der Welt nahezu isoliert. "Der russische Präsident steht mit seiner Politik in der Welt fast alleine da. Er hat keine starken Bündnispartner", sagte Scholz.
Länder wie Indien und Südafrika hätten mitgeholfen, dass die Staats- und Regierungschefs "erstaunlich klare Worte" zum russischen Krieg in der Ukraine gefunden hätten. Das zeige, dass es in der Welt viele geben, die diesen Krieg nicht richtig fänden, selbst wenn sie sich bei Abstimmungen der Vereinten Nationen aus verschiedenen Gründen enthalten hätten.
Politiker und Medien rufen in Polen zur Ruhe auf
In Polen riefen nach dem Raketenzwischenfall zahlreiche Politiker, Experten und Kommentatoren die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die Zeitung "Rzeczpospolita" aus Warschau schreibt, es mache kaum einen Unterschied, ob es sich um eine absichtlich nach Polen geschickte Rakete handelte oder um eine verirrte Rakete, die versehentlich auf polnischem Gebiet einschlug. "Wir können sicher sein, dass die Russen unsere Reaktionen genau beobachten. Sie beobachten, wie das Militär agiert, wie der Staat agiert, wie die öffentliche Meinung reagiert. Wer verliert die Nerven, wer lässt sich provozieren und wer bleibt ruhig?"
Demnach würde der Kreml aus diesem Wissen Konsequenzen ziehen. "Wenn sie sehen, dass ein solcher Vorfall genutzt werden kann, um die innere Situation in unserem Land zu destabilisieren, dann wird der Kreml dies in sein Drehbuch für künftige Aktionen schreiben", schreibt die Zeitung.
Raketenschlag in Polen laut Ex-Kremlchef Medwedew Provokation
Nach Darstellung des früheren russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, zeige der Vorfall, dass der Westen weiter auf einen Weltkrieg zusteuere. Der Vorfall mit dem angeblichen Raketenangriff auf ein polnisches Gehöft beweise nur eines: "Der Westen rückt einem Weltkrieg näher, wenn er einen hybriden Krieg gegen Russland führt", schreibt Medwedew auf Twitter. Er gehört zum engsten Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin und ist dessen Stellvertreter an der Spitze des nationalen Sicherheitsrates.
Unterdessen erklärte ein Regierungssprecher in Polen, mehrere Kampfeinheiten der polnischen Armee und "andere uniformierte" Truppen seien in erhöhte Bereitschaft versetzt worden.
Die Nato will am Vormittag in Brüssel eine Dringlichkeitssitzung wegen des Raketeneinschlages abhalten. Sie beginne um 10:00 Uhr, teilten ein europäischer Diplomat und zwei Nato-Vertreter mit. Generalsekretär Jens Stoltenberg wolle um 12.30 Uhr eine Pressekonferenz geben, hieß es weiter.
Zwei Tote nach Raketeneinschlag im Osten Polens
In Polen war nach Angaben der polnischen Regierung am Dienstagnachmittag eine Rakete in dem Dorf Przewodow nahe der Grenze zur Ukraine eingeschlagen. Zwei Menschen seien dabei getötet worden. Zunächst wurde Russland für den Einschlag verantwortlich gemacht. Der Kreml wies die Verantwortung dafür aber von sich. Polens Präsident Duda sagte, die Rakete stamme "höchstwahrscheinlich aus russischer Produktion". Es gebe aber noch "keine eindeutigen Beweise" dafür, wer die Rakete abgefeuert habe.
Nach Einschätzung von US-Präsident Joe Biden ist die Rakete vermutlich nicht aus Russland abgefeuert worden. "Ich werde dafür sorgen, dass wir genau herausfinden, was passiert ist", sagte Biden nach einem Krisentreffen am Rande des G20-Gipfels auf Bali. Nach den derzeit vorliegenden Informationen sei es "unwahrscheinlich", dass die Rakete von russischem Boden aus abgeschossen worden sei. Stattdessen könnte es sich um eine Luftabwehrrakete aus der Ukraine handeln. Sie könnte abgeschossen worden sein, um einen russischen Raketenangriff abzuwehren.
Mit Informationen von dpa, AP, AFP und Reuters.
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