Oberstaatsanwalt Dieter Killmer hat angekündigt, dass er sechs bis sieben Stunden plädieren wolle. Und seine Einschätzung der Beweisaufnahme wird mit Spannung erwartet. Denn bisher ist nur klar, dass der Hauptangeklagte Stephan Ernst, Walter Lübcke auf seiner Terrasse erschossen hat. Dies hat er im Prozess gestanden.
Drei verschiedene Tatversionen
Während der vergangenen 39 Verhandlungstage konnten die Prozessbeobachter verschiedene Tatversionen von Stephan Ernst hören. Zunächst ist ein Vernehmungs-Video gezeigt worden, in dem er gesteht, Walther Lübcke erschossen zu haben. Als Einzeltäter. Darauf folgen zwei weitere Videos, in denen er aussagt, dass der Mitangeklagte Markus H. Lübcke aus Versehen erschossen habe.
Im Gerichtssaal schildert er dann Version 3. Demnach habe er, Ernst, Lübcke erschossen und Markus H. sei mit am Tatort gewesen. Diese dritte Version hält Familie Lübcke, die als Nebenkläger auftritt, für die richtige, sagt ihr Anwalt Holger Matt.
"Wir gehen davon aus, dass der Angeklagte H. aktiv an der Mordtat beteiligt war – und zwar in der Form der Mittäterschaft am Tatort." Holger Matt, Anwalt der Opferfamilie Lübcke
Markus H. aus Untersuchungshaft entlassen
Doch Markus H. wird am 21. Verhandlungstag vom Senat aus der Untersuchungshaft entlassen. Während die Ermittler DNA-Spuren von Ernst am Hemd Walter Lübckes finden, wird es im Laufe des Verfahrens weder eine Spur noch eine Zeugenaussage geben, die Markus H. belasten würde. Der Sprecher der Familie Lübcke, Dirk Metz: "Das ist für die Familie eine kaum erträgliche, eine schier unvorstellbare Entscheidung."
Markus H. wird nur durch die Aussagen des Angeklagten Stephan Ernst belastet. H. selbst schweigt vor Gericht zu den Vorwürfen. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer, sagt, dass er keine Erkenntnisse habe, dass beide am Tatort waren. Aber: Sie gingen immer noch von einer Beeinflussung des Angeklagten Ernst durch den Angeklagten Markus H. aus. Und das "vor der Tat und aus unserer Sicht in einer Art und Weise, die eben den Tatvorwurf der Beihilfe begründet", so Killmer.
Lübckes Sohn stolz auf Engagement seines Vaters
Das Motiv für den Mord ist eine liberale Rede Walter Lübckes auf einer Bürgerversammlung in Lohfelden zu einer Flüchtlingsunterkunft. Die beiden Rechtsextremisten Markus H. und Stephan Ernst sind gemeinsam dort. H. filmt Lübckes Rede und stellt einen kurzen Ausschnitt ins Internet.
Als vor Gericht das komplette Video gezeigt wird, platzt es aus Jan-Hendrik Lübcke heraus. Er sei stolz auf seinen Papa, ruft er. "Auf der einen Seite ist das natürlich eine Belastung", so Metz, der Sprecher der Familie. "Ich glaube, das können wir beide hier spüren, dass das für alle drei Angehörigen eine Riesenbelastung ist. Auf der anderen Seite: Die Familie hat von Anfang an die Hoffnung gehabt, dass die Aufklärung hier vollständig gelingen kann."
Zweite Tatversion von Angeklagten-Anwalt erfunden?
Der Prozess ist emotional und spektakulär. So wird Frank Hannig, einem Anwalt des Hauptangeklagten, im Verfahren das Mandat entzogen. Er soll die zweite Tatversion erfunden haben, um den Mitangeklagten zum Reden zu bewegen. Der Vorsitzende Richter, Thomas Sagebiel, weist regelmäßig die Verteidiger zurecht und rät den Angeklagten, auf ihn und nicht auf ihre Anwälte zu hören.
Dazu sagte Björn Clemens, Anwalt von Markus H., er habe noch in keinem anderen Prozess erlebt, dass ein Vorsitzender Richter einem Verteidiger 'gequirlten Unsinn' anlaste oder den Angeklagten empfehle, nicht auf ihre Verteidiger zu hören: "Das sind schon Spezifikationen von Herrn Sagebiel", beschwerte sich Clemens.
Nach dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft geht der Lübcke-Mord-Prozess in eine Weihnachtspause. Die anderen Plädoyers und das Urteil folgen im Januar.
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