30.08.22: Männer im Bundeskabinett – Arbeitsminister Heil, Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz, Kanzleramtsminister Schmidt (v.l.n.r.)
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30.08.22: Männer im Bundeskabinett – Arbeitsminister Heil, Wirtschaftsminister Habeck, Kanzler Scholz, Kanzleramtsminister Schmidt (v.l.n.r.)

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"Abgehakt"? Scholz und die aufgegebene Parität im Kabinett

Kanzler Scholz hatte gleich viele Männer und Frauen im Bundeskabinett versprochen. Mit Boris Pistorius als Verteidigungsminister ist das aber vorbei. CSU-Chef Söder stichelt, dabei hat er selbst in Bayern die Parität in seiner Ministerriege geopfert.

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Olaf Scholz legte sich früh fest – lange bevor er tatsächlich Bundeskanzler werden sollte. Er gebe hier und heute ein Versprechen ab, twitterte der SPD-Politiker im November 2020, fast ein Jahr vor der Bundestagswahl: "Ein von mir als Bundeskanzler geführtes Kabinett ist mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt!"

Später, nach seinem für viele Beobachter überraschenden Wahlerfolg, hielt Scholz als Bundeskanzler der Ampel-Koalition Wort: Acht Männer und acht Frauen berief er in sein Kabinett. Parität erfüllt, Ziel erreicht. Doch mit der angekündigten Berufung von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zum neuen deutschen Verteidigungsminister rückt auch Scholz' altes Versprechen wieder in den Fokus: Es gilt nämlich nicht mehr – bald sitzen neun Männer und sieben Frauen am Kabinettstisch, plus Scholz.

Grüne: "Enttäuschend"

Auch über diesen Aspekt der Kabinettsumbildung wird innerhalb der Ampel-Koalition diskutiert – allzu schnell dürfte Scholz die Debatte nicht loswerden. Kritik kommt in erster Linie von den Grünen, die paritätische Posten-Besetzungen zu einem Wesenskern ihrer Partei gemacht haben. Katharina Dröge, Co-Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, nimmt den Kanzler schon kurz nach der Pistorius-Entscheidung in die Pflicht: Ein paritätisch besetztes Kabinett sei extrem wichtig, sagt sie.

Der Nürnberger Bundestagsabgeordnete Johannes Wagner kritisierte offen die Wahl des Kanzlers, innerhalb einer Regierungskoalition ist das zumindest ungewöhnlich. "Mehrere qualifizierte Frauen waren im Gespräch und trotzdem entscheidet sich der Bundeskanzler gegen seine selbst gesteckten Ziele. Enttäuschend." Und Parteichef Omid Nouripour stellte via Twitter klar: "Wir Grüne werden stets unseren Beitrag zur Parität leisten - auch im Kabinett."

Kubicki: SPD hat sich von "Unsinn verabschiedet"

Ganz andere Wortmeldungen kommen von der deutlich männlicher geprägten FDP. Der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki sagte: "Gott sei Dank hat sich die SPD von dem Unsinn verabschiedet, Positionen zwingend nach Geschlecht oder regionalem Proporz als nach Kompetenz zu besetzen." FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner ging in seiner ersten Reaktion nicht auf die verloren gegangene Parität ein.

Ein zentraler Grund für das Ungleichgewicht im Ampel-Kabinett sind die Liberalen selbst. Die vier FDP-Ministerposten sind mit drei Männern besetzt, einzige Frau in der Ministerriege der Liberalen ist Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie schreibt zur Kabinettsumbildung bei Twitter lediglich: "Boris Pistorius übernimmt in schwierigen Zeiten eine wichtige Aufgabe. Ich wünsche ihm viel Erfolg und freue mich auf unsere Zusammenarbeit im Kabinett."

Söder: Parität "quasi offiziell abgehakt von der Ampel"

CSU-Chef Söder wiederum ließ am Mittag die Gelegenheit zu einem Seitenhieb auf Kanzler Olaf Scholz nicht verstreichen: "Klar ist, dass Parität für Rot-Grün keine Rolle mehr spielt", sagte der bayerische Ministerpräsident am Rande der CSU-Fraktionsklausur in Kloster Banz. "Das Thema Parität ist jetzt quasi offiziell abgehakt von der Ampel." Somit brauche künftig auch niemand mehr die CSU mit Vorschlägen zu belehren, schickte er noch in Richtung SPD und Grüne hinterher.

Video: Markus Söder über die Berufung von Pistorius

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zum neuen Verteidigungsminister, Boris Pistorius (SPD).
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zum neuen Verteidigungsminister, Boris Pistorius (SPD).

Vor Scholz hat allerdings auch schon Söder die Parität aufgegeben – im CSU-Teil seines Kabinetts in Bayern. Ab Januar 2020 gab es dort fünf CSU-Ministerinnen und fünf CSU-Minister. "Damit erreichen wir erstmals in der Geschichte der CSU Parität bei Ministerbesetzungen", sagte Söder damals. Durch mehrere Kabinettsumbildungen sorgte er dann aber ab Januar 2021 dafür, dass die Waage immer mehr kippte: Die Christsozialen stellen mittlerweile vier Ministerinnen und sieben Minister – plus Söder als Regierungschef. Dazu kommen drei Männer von den Freien Wählern als Minister.

Die frühere bayerische Sozial- und Bauministerin Kerstin Schreyer, von Söder geschasst, sagte dem BR vor einigen Monaten: Die verlorene Parität sei ein Rückschritt. Sie kritisierte auch, dass Frauen meist auf kleine Ressorts wie Soziales reduziert würden.

Im Ampel-Fokus oft Scholz, Habeck, Lindner

Auf Bundesebene kommt unterdessen auch von der Linkspartei Unverständnis über das nicht mehr paritätische Personaltableau von Kanzler Scholz. In der Vergangenheit gab es von Beobachtern zudem Kritik daran, dass die qua Ressort besonders sichtbaren Vertreter der Bundesregierung mit Ausnahme von Außenministerin Annalena Baerbock überwiegend Männer sind: Finanzminister Lindner (FDP), Kanzler Scholz (SPD), aber auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Klingbeil: "Der Richtige für diesen Job"

Und die SPD selbst, bei denen viele Vertreter die paritätische Besetzung des Bundeskabinetts als wichtiges Signal der selbsternannten "Fortschrittskoalition" feierten? Die Frage der Parität sei dem Bundeskanzler und der Parteispitze wichtig, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil nach der Pistorius-Ausrufung. Die Parität bleibe auch wichtig. "Aber wir hatten jetzt in den vergangenen Tagen in einer konkreten Personalfrage zu entscheiden." Boris Pistorius sei der Richtige für diesen Job, betont Klingbeil: "Und danach haben wir entschieden."

SPD-Frauen verlangen Korrektur

Doch damit dürften auch innerparteiliche Diskussionen bei den Sozialdemokraten programmiert sein. Denn unmittelbar vor Scholz' Festlegung auf Pistorius machten die Frauen in der SPD klar, dass sie die Uhr nicht zurückdrehen wollen. "Eine Gesellschaft, die zu über 50 Prozent aus Frauen besteht, muss sich auch im Kabinett widerspiegeln", sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Maria Noichl.

Nachdem der Kanzler sich über diese Forderung hinweggesetzt hatte, twitterte die Rosenheimer Politikerin: "Die Forderung der ASF und das Versprechen der SPD für 50/50 muss bei der nächsten möglichen Umbesetzung korrigiert werden."

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