Papst Franziskus hat die Hände zum Gebet verschränkt.
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Papst Franziskus sieht sich als Vermittler im Ukraine-Krieg.

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Papst Franziskus und der Krieg in der Ukraine

Seitdem der Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, versucht Papst Franziskus seine Rolle zu finden: Soll er als neutraler Vermittler agieren oder Partei ergreifen?

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Am 24. Februar überfällt Russland die Ukraine. Von mehreren Seiten aus durchbrechen russische Truppen die Grenzen des Nachbarlandes. In der russischen Botschaft beim Heiligen Stuhl erscheint einen Tag später Papst Franziskus – ein ungewöhnlicher Schritt. Nach rund 30 Minuten fährt er zurück in den Vatikan. Kann der Papst in diesem Krieg vermitteln? Die Erwartungen sind hoch bei der sonntäglichen Ansprache nach dem Angelusgebet. Papst Franziskus sagt: "Wir sind dieser Tage von etwas Tragischem erschüttert worden: vom Krieg. Wir haben wiederholt dafür gebetet, dass dieser Weg nicht eingeschlagen werden möge. Und wir hören nicht auf zu beten, sondern bitten Gott mit noch mehr Inbrunst. Gott ist auf Seiten der Friedensstifter, nicht auf Seiten derer, die Gewalt anwenden."

Putin will kein Gespräch: Eine Enttäuschung für Papst Franziskus

Papst Franziskus ist zu diesem Zeitpunkt offenbar noch zuversichtlich, dass er seinen Einfluss zugunsten der Ukraine geltend machen kann. Doch erstmal trifft er auf verschlossene Türen, erzählt die Journalistin Franca Giansoldati: "Nachträglich wurde dann bekannt, dass er durch die Nachricht, die er Botschafter Awdejew, dem russischen Gesandten am Heiligen Stuhl, übermittelte, den direkten Kontakt zu Putin suchte. Und da kam die erste Enttäuschung für den Papst. Denn Putin hat ihm nie geantwortet."

Theologin Regina Elsner: Der Papst überschätzt seine Möglichkeiten

Dass Papst Franziskus seinen Einfluss auf Putin als zu hoch einstufte, dem stimmt auch die Theologin Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin zu: "Ich habe schon den Eindruck, dass Papst Franziskus seine Möglichkeiten überschätzt hat. Und er hat eindeutig unterschätzt, dass er sich als katholischer Papst in einem orthodoxen Kontext befindet, wo die Autorität dieses Papstes längst nicht so groß ist, wie es in katholischen Ländern sein würde." Zudem habe er wohl auch unterschätzt, "wie politisiert die gesamte Kirchenfrage in diesem Krieg ist. Er war der Meinung, dass man als Kirche da sehr neutral agieren kann. Es ist aber kein kirchlich neutraler Krieg", so Elsner.

Die Päpste als "Global Player"

Wenig später empfängt Franziskus den ukrainischen Botschafter am Heiligen Stuhl. Mit über 180 Staaten unterhält der Vatikan diplomatische Beziehungen. Sein Militär beschränkt sich auf gut 100 Schweizergardisten. Trotzdem galten die Päpste lange als Global Player, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster: "Die Päpste haben immer den Anspruch erhoben, dass sie die geborenen Mediatoren, die geborenen Vermittler sind. Im Grunde hat der Papst genau die zwei Möglichkeiten: Entweder er bleibt neutral, damit ihn beide Parteien als Vermittler anrufen können, oder er macht einen ganz konkreten Vorschlag und setzt sich aber damit dem möglichen Vorwurf der Parteilichkeit aus."

Ukrainerinnen und Ukrainer hoffen auf ein klares Zeichen

Papst Franziskus verwirrt viele. Die ukrainische Öffentlichkeit erhofft sich etwas anderes als Neutralität von ihm, sagt der Kirchenhistoriker Andriy Mykhaleyko: "Der Papst bleibt neutral, um eine Vermittlungsrolle spielen zu können." Auf der anderen Seite, so Mykhaleyo, erwarte man vor allem, dass der Papst für die ukrainsche Öffentlichkeit spreche: "Und das haben viele Ukrainer lange Zeit in den ersten Monaten dieses Krieges einfach vermisst."

Papst Franziskus überdenkt seine Haltung

Russland setzt seit dem Herbst immer stärker auf eine Strategie der verbrannten Erde, bombardiert die Strom-, Gas- und Wasserversorgung der Ukraine. Gleichzeitig werden in befreiten Gebieten immer neue Kriegsverbrechen offenkundig. Aus Massengräbern werden die Leichen ermordeter Zivilisten geborgen. Präsident Wolodymyr Selenskyj weiß um die Bedeutung der Kirchen – auch auf dem Gebiet der Diplomatie.

Dann reist der griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk im Herbst nach Rom zum Papst. "Ich glaube, Schewtschuk hat ihm auch von einigen Vorfällen berichtet, die den Hass, der hinter all dem steckt, gut beschreiben. Beispielsweise von russischen Priestern, die die Kugeln weihten, mit denen die Soldaten dann auch Zivilisten töten sollten. Das alles hat wohl dazu geführt, dass Franziskus nochmal über alles nachdachte", sagt Kirchenhistoriker Mykhaleyko.

Papst Franziskus: Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern

Manches deutet auf ein Umdenken im Vatikan hin. Den Namen Putin nimmt der Papst weiter nicht in den Mund, aber seine Forderungen nach dem sonntäglichen Angelus-Gebet werden deutlicher: "Mein Appell richtet sich in erster Linie an den Präsidenten der Russischen Föderation, den ich bitte, diese Spirale der Gewalt und des Todes auch um seines Volkes willen zu beenden."

Die Statue eines ausgezehrten Kindes erinnert in Kiew an den Holodomor, die große Hungersnot vor 90 Jahren. Auch der Präsident gedenkt im November der Millionen Ukrainer, die dieser von Diktator Josef Stalin herbeigeführten Katastrophe zum Opfer fielen. Als Völkermord bezeichnet der Papst den Holodomor in einem Brief an die Ukrainer, der an diesem Tag in Kiew eintrifft. Und er versichert dem Land seine Solidarität."Euer Schmerz ist mein Schmerz."

Das Schweigen des Papstes

Dieser Brief sei in der Ukraine sehr gut angekommen, sagt der Kirchenhistoriker Andriy Mykhaleyko: "Man hat sich einen solchen Brief natürlich schon früher erhofft, in den ersten Wochen oder Monaten dieses Krieges. Jetzt ist er da, es ist ein gutes und positives Signal. Man hofft, dass es ein erster wichtiger Schritt sei dahingehend, dass der Papst manche seiner Ansichten neu überdenkt."

Die Möglichkeiten des Papstes sind begrenzt. Und doch werden seine Worte zu diesem Krieg ebenso aufmerksam wahrgenommen wie sein Schweigen. Auch an den Weihnachtsfeiertagen wird die Ukraine wieder von Dutzenden Raketenangriffen erschüttert. Papst Franziskus betete vor dem Segen "urbi et orbi", Gott möge den Verstand jener erleuchten, die die Macht haben, die Waffen zum Schweigen zu bringen.

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