Mit Spannung war vor dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein erwartet worden, ob der Personalwechsel an der Spitze des deutschen Verteidigungsministeriums auch eine Entscheidung beim Thema Lieferung deutscher Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine bringen würde. Das ist bis jetzt nicht der Fall. Die Bundesregierung werde eine Entscheidung über den Leopard in Abstimmung mit den Partnern "so bald wie möglich" fällen, so der neue Minister Boris Pistorius (SPD).
Zahlreichen Militärexperten zufolge wären moderne Kampfpanzer ein erheblicher Vorteil für Kiew - insbesondere an der Front im Osten und Süden der Ukraine, wo Russland nach schweren Rückschlägen im Herbst derzeit wieder in die Offensive übergeht.
- Die aktuelle militärische Lage mit Einschätzung amerikanischer und britischer Experten in unserem Ukraine-Ticker
Erst wird der Bestand geprüft
Offenbar herrscht Unklarheit darüber, welche Leopard-Varianten überhaupt vorhanden und vor allem einsatzbereit sind. Pistorius erteilte laut eigenen Angaben den Auftrag, den Bestand verschiedener Typen des Leopard bei der Truppe wie auch in der Industrie zu prüfen. Für die Grünen zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, für Union und FDP eine Enttäuschung.
Bericht: Liste mit Leopard-Modellen liegt bereits vor
Ein Bericht des "Spiegel" widerspricht der Aussage des neuen Verteidigungsministers, er lasse den Bestand derzeit prüfen - und könnte die Regierung in weitere Erklärungsnot bringen: Wie das Magazin am Samstag vorab berichtete, gibt es im Verteidigungsministerium offenbar bereits seit dem Frühsommer 2022 eine detaillierte Liste mit verschiedenen Leopard-Modellen, die bei der Truppe verfügbar sind und für eine Lieferung an die Ukraine infrage kämen. Die Tabelle sei als Verschlusssache eingestuft, hieß es.
Laut der dem "Spiegel" vorliegenden Liste verfügt die Bundeswehr insgesamt über 312 verschiedene Leopard-2-Panzer verschiedener Baureihen, davon seien im Mai vergangenen Jahres allerdings 99 für Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten bei der Rüstungsindustrie gewesen, einer bereits in der Aussonderung. In der Liste seien daher unter der Überschrift "Bestand Truppe" 212 Leopard-2-Modelle aufgeführt.
Aus der Liste gehe auch hervor, welche Modelle sich für eine Lieferung in die Ukraine eignen würden, schreibt der "Spiegel" unter Berufung auf Bundeswehr-Insider. Demnach sei denkbar, dass die Bundeswehr die 19 Leopard 2A5-Modelle abgeben könne, da sie nur zu Übungen eingesetzt würden.
Streit in der Regierung, Ungeduld im Ausland
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sieht Deutschland isoliert. Florian Hahn, verteidiungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, wandte sich im BR24-Interview an Pistorius. Dieser müsse "endlich Druck machen - auch auf den eigenen Bundeskanzler". Die Ukraine wird Hahn zufolge "keine Chance haben, sich gegen eine Frühjahrsoffensive der russischen Föderation zu erwehren, wenn diese Waffen nicht kommen".
Der Leopard sei im westlichen Europa der einzige Kampfpanzer. Die Amerikaner mit ihrem Modell Abraham müssten erst einen "unglaublichen Aufbau betreiben". "Das würde der Ukraine bei der nächsten Offensive nicht helfen. Deswegen bleibt nur Deutschland. Es liegt an uns, ob wir der Ukraine helfen können oder nicht", so Hahn.
Aus der Regierungskoalition fand vor allem die FDP-Verteidigungsexpertin Strack-Zimmermann harsche Worte: "Die Geschichte schaut auf uns, und Deutschland hat leider gerade versagt." SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich konterte inzwischen ähnlich scharf: "Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungsritualen oder mit Schnappatmung, sondern mit Klarheit und Vernunft."
Auch in den Reaktionen aus dem Ausland wird die Langsamkeit der politischen Entscheidungsträger kritisiert - zumeist freilich ohne dabei Deutschland explizit zu nennen.
Ukraine: "Verzögerung bedeutet Tod"
Die Ukraine drängt nach dem in der Kampfpanzer-Frage ergebnislosen Ramstein-Treffen auf Eile. "Sie werden der Ukraine ohnehin mit den nötigen Waffen helfen und erkennen, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als den Krieg mit einer Niederlage Russlands zu beenden", twitterte Präsidentenberater Mychailo Podoljak.
"Jeder Tag der Verzögerung bedeutet den Tod von Ukrainern. Denkt schneller." Mychailo Podoljak
EU-Parlamentspräsidentin: "Lieferung der logische nächste Schritt"
Auch EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola geht davon aus, dass die Ukraine Leopard-2-Panzer zur Unterstützung im Krieg gegen Russland erhalten wird, wobei sie offenließ, wer sie liefern soll. "Ich bleibe auch im Hinblick auf die Panzer optimistisch, da dies der logische nächste Schritt ist", zitiert das "Handelsblatt" die Malteserin. Die Leopard-2-Panzer stünden im Zentrum der Debatte, "weil es viele davon gibt, weil sie relativ leicht zu warten sind, weil viele europäische Länder sie haben und weil die Ukraine sie einfach braucht".
Baltische Außenminister sehen Deutschland in der Pflicht
Die Außenminister der baltischen Länder fordern Deutschland inzwischen direkt auf, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. "Das ist nötig, um die russische Aggression zu stoppen, der Ukraine zu helfen und den Frieden in Europa schnell wieder herzustellen", schrieb der lettische Außenminister Edgars Rinkevics auf Twitter - nach eigenen Angaben auch im Namen seiner Amtskollegen aus Estland und Litauen. "Deutschland hat als europäische Führungsmacht diesbezüglich eine besondere Verantwortung."
Möglicher Ausweg: der Umweg über Polen
Frankreich, Großbritannien und Polen haben bereits Panzerlieferungen angekündigt. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte dies stets von einer Zusage der USA abhängig gemacht, schwere Abrams-Panzer zu liefern, was Präsident Joe Biden erneut ablehnte. Ein Grund: Der von einer Gasturbine betriebene Abrams wäre weitaus schwieriger mit Treibstoff, aber auch mit Ersatzteilen zu versorgen.
Eine Lösung der verfahrenen Situation könnte darin bestehen, dass Polen der Ukraine einen Teil seiner Leopard-2-Panzer zur Verfügung stellt. Da die Panzer aber aus deutscher Produktion stammen, müsste Deutschland vorher einer Weitergabe zustimmen.
Leopard-Lehrgänge in Polen geplant
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hat bereits die Ausbildung ukrainischer Soldaten an deutschen Leopard-Kampfpanzern in Polen angekündigt. "Wir werden damit beginnen und von dort aus weitermachen", so Resnikow im staatlichen US-Auslandssender "Voice of America". Er hoffe, dass Deutschland nach "internen Beratungen" entscheiden werde, die Panzer zu exportieren. Er sei in dieser Hinsicht "optimistisch", der "erste Schritt" sei mit der Leopard-Ausbildung ukrainischer Soldaten getan.
Panzer
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