Nationalfeiertag in Budapest – Gedenken an den 15. März 1848, als der demokratische Freiheitsaufstand der Ungarn gegen die Habsburger Herrschaft begann und mit monarchischer Gewalt niedergeschlagen wurde. Später, nach dem Ersten Weltkrieg, der Verlust von zwei Dritteln des Landes durch die Siegermächte im Vertrag von Trianon – ein nationales Desaster, das bei zahlreichen Ungarn bis heute noch im kollektiven Unterbewusstsein vorhanden ist.
Die EU als Orbáns Gegner
Nach Einstimmung der Menschenmassen mit Musik und Aufmärschen gehört das Areal vor dem Parlamentsgebäude am Nachmittag nur noch einem: Viktor Orbán, dem Ministerpräsidenten, der zur zentralen Wahlkampfveranstaltung eingeladen hat. Über 100.000 Anhänger stehen dicht an dicht bis in die Seitenstraßen hinein. Darunter auch einige Tausend Polen, die von der rechtsnationalen PiS-Partei als Dankeschön für Orbans außenpolitische Rückendeckung im Dauerkonflikt mit dem gemeinsamen Gegner, der EU, entsandt worden sind.
Seit acht Jahren an der Regierungsmacht, hat Orbán das EU-Mitgliedsland Ungarn grundlegend umgekrempelt: Die Medien stehen weitgehend unter staatlicher Kontrolle oder befinden sich im Besitz politischer Freunde. Das Wahlrecht bevorzugt die relativ stärkste Partei – Orbáns Fidesz.
Korruption als Hauptproblem
Auf der Liste von Transparency International mit den korruptionsanfälligen Ländern rutscht Ungarn kontinuierlich nach unten, derzeit rangiert das Land auf Platz 66, noch hinter Montenegro und Rumänien. Vermeintliche Gegner werden öffentlich diskreditiert und als "Feinde" stigmatisiert; George Soros, der 87-jährige ungarisch-stämmige US-Milliardär, zählt seit Jahren zu Orbans Lieblingsfeinden.
Viktor Orbán ist ein rhetorisch begabter Redner. Auf der national-populistischen Klaviatur der Gefühle schlägt der Ministerpräsident seit Beginn der Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015 immer die gleiche Tonart an: Ungarn drohe von einer anwachsenden Anzahl von Migranten überrollt zu werden, Brüssel, die UN, Soros und seine angeblichen Hilfstruppen würden alles daran setzen, das Bollwerk Ungarn aufzubrechen – doch das werde diesen "Kräften" nicht gelingen.
"Westeuropa schaut mit erhobenen Händen zu. Wer seine Hände in die Luft streckt, der entwaffnet sich selbst. Über das eigene Schicksal werden sie nicht mehr entscheiden. Die Geschichte der Besiegten wird von anderen geschrieben. Jugendliche in Westeuropa werden es noch zu sehen bekommen, wie sie in ihrem eigenen Land zur Minderheit werden. Und dass sie den einzigen Ort an der Welt verlieren werden, den sie Zuhause nennen können." Viktor Orban
Momentum – eine junge, pro-europäische, aber noch schwache Partei
Die Gegenbewegung zu Fidesz ist schwach: Momentum – das war ursprünglich eine Bürgerinitiative, die die Pläne Orbans ablehnte, 2024 die Olympischen Sommerspiele nach Budapest zu bringen und sich binnen kurzem durchsetzte. Inzwischen ist Momentum eine junge Partei, ein Jahr alt, liberal, pro-europäisch.
Andras Fekete-Györ, der 29-jährige Parteichef von Momentum, weiß genau, welche Sorgen seine Generation hat: Hunderttausende Ungarn hätten bereits die Heimat verlassen, weil sie in Ungarn keine Chancen sehen. Früher seien junge Ungarn ins Ausland gegangen, um mit neuen, frischen Ideen zurückzukehren. Heute gingen sie, weil sie in eigenen Land keine Perspektive mehr hätten. Noch ist seine Partei nicht in der Lage, bei den Wahlen am 8. April große Erfolge zu feiern.
"Es ist schwer für uns, weil in Momentum komplett neue Politiker tätig sind. Wir brauchen noch ein bisschen Zeit, eine große Volkspartei zu werden. Das wird unsere Strategie für die nächsten vier Jahre." Andras Fekete-Györ
Abwanderung, nicht Zuwanderung ist das Problem
Dass sich etwas ändern muss, sehen auch andere so. Zum Beispiel György Alpár, Bürgermeister eines kleinen Dorfes an der kroatischen Grenze; er widerspricht Orbáns Vision eines von Flüchtlingen bedrohten Landes:
"Die Migranten oder Einwanderer sind im Land überhaupt kein Problem, sondern die Auswanderung ist das größte Problem. Das haben auch mehrmals Politiker der Oppositionsparteien gesagt. Es gibt keine Arbeitsplätze und das Bildungs- und das Gesundheitssystem sind ruiniert. Und die jungen Leute haben das Land verlassen. Das ist für mich das größte Problem.“ György Alpár
Thema: Orbáns Ungarn vor der Wahl – rechts, korrupt, gespalten
Dossier Politik, 04.04.2018, 21:05 Uhr, Bayern 2
Studiogäste: Stephan Ozsváth, Journalist und Buchautor „Puszta-Populismus“, und Holger Romann, ARD-Korrespondent Studio Brüssel
Moderation: Christine Auerbach. Redaktion: Thies Marsen, Sissi Pitzer
Themen der Beiträge:
Ungarn vor der Wahl – alle gegen Orban/ Clemens Verenkotte
Was haben die Polen mit den Ungarn zu tun?/ Jan Pallokat