Bund und Länder zahlen beim 49-Euro-Ticket jeweils die Hälfte. Doch was geschieht danach?
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Bund und Länder zahlen beim 49-Euro-Ticket jeweils die Hälfte. Doch was geschieht danach?

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Warum Bund und Länder ständig übers Geld für den ÖPNV streiten

Eigentlich ist geregelt, wer für was Steuergelder ausgeben darf. Trotzdem geht der Streit beim ÖPNV zwischen Bund und Ländern immer wieder von vorne los, nicht nur beim 49 Euro-Ticket. Und das liegt unter anderem an der "Spaghetti-Finanzierung".

Jeder zahlt die Hälfte – darauf haben sich Bund und Länder nach langem Streit über die Finanzierung des 49-Euro-Tickets geeinigt. Zumindest für das Jahr 2023. Wer danach was bezahlen soll, ist noch nicht vereinbart.

Den Bürgerinnen und Bürgern sei es meist egal, ob der Bund oder das Land ihr Steuergeld einsetzt, meint Burkhard Hüttl vom Verband bayerischer Verkehrsunternehmen. Trotzdem wird über die Finanzierung beim öffentlichen Nahverkehr regelmäßig auf großer Bühne gestritten. Warum?

Bundesländer sind verantwortlich, Bund ist größter Geldgeber

Um das nachvollziehen zu können, muss man verstehen, wie der Nahverkehr grundsätzlich finanziert wird. Zunächst ist das verhältnismäßig einfach: Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird zu rund 40 Prozent durch Ticketverkäufe finanziert. Die restlichen 60 Prozent kommen aus öffentlichen Geldern, vor allem Steuereinnahmen.

Jetzt wird es schon komplizierter: Der Großteil von diesen 60 Prozent kommt vom Bund. Der gibt es an die Bundesländer, unter anderem als sogenannte Regionalisierungsmittel. Laut Bundesverkehrsministerium erhält Bayern für das Jahr 2023 rund 1,69 Mrd. Euro.

Wenn jetzt zum Beispiel die Ticketeinnahmen durch das 49-Euro-Ticket deutlich weniger werden sollten, müsste sich der Zuschuss durch Steuereinnahmen erhöhen. Doch wer zahlt für die Lücke?

Länder und Kommunen legen Geld drauf

Grundsätzlich sind die Länder in der Pflicht. Denn sie sind verantwortlich für den ÖPNV. Bayern hat deswegen im vergangenen Jahr laut Verkehrsministerium mehr als 500 Millionen Euro aus Landesmitteln beigesteuert - zusätzlich zum Geld vom Bund.

Die Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH ist dann im Auftrag des Freistaats speziell für die bayerischen Eisenbahnen tätig, inklusive den S-Bahnen. Die bayerischen Landkreise und kreisfreien Gemeinden sind für die Organisation des allgemeinen ÖPNV vor Ort zuständig - also Busse, Trambahnen oder U-Bahnen. Sie schießen teils auch noch Geld zu. Neben Nutzerinnen und Nutzern, Bund und Land also noch ein weiterer Player in der Finanzierung.

Deutschland-Ticket als Revolution des Finanzierungssystems?

Bis jetzt waren es in dieser Gemengelage immer die Verkehrsverbünde, die Ticketpreise festgelegt haben. Dann kam das 9-Euro Ticket. "Das war eine Revolution, weil wir bis dahin den berühmten Tarifdschungel hatten", meint Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim.

Jetzt soll auch das 49-Euro-Ticket für einheitliche Tarife sorgen – auf Wunsch des Bundes hin. Und das ist ein entscheidender Punkt: "Durch die klimapolitische Brisanz ist da eine neue Dynamik reingekommen", so Monheim. Der Bund habe erkannt, dass er sich mehr einmischen muss.

Ziele des Bundes versus Zuständigkeit der Länder

Denn obwohl eigentlich die Länder für den ÖPNV zuständig sind, möchte das Bundesverkehrsministerium mit dem 49-Euro Ticket zur Einhaltung der eigenen Klimaziele und finanziellen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger beitragen, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Achim Sing vom Bayerischen Städtetag erklärt das mit dem Motto: "Wer anschafft, der soll bezahlen!" Die bayerischen Kommunen seien unterfinanziert, vor allem was den öffentlichen Nahverkehr angeht. "Wenn es ums Geld geht, hört die Freundschaft meist auf – zwischen Bund und Ländern ist das nicht anders", kommentiert auch Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler.

Verkehrsunternehmen: "Beim Geld hört die Freundschaft auf"?

Außerdem führe die Einführung des 49-Euro Tickets auch zu Unsicherheiten, erklärt Verkehrsexperte René Naumann: "Niemand weiß so genau, wie häufig dieses Ticket dann genutzt wird und wie häufig andere Ticketarten dann noch genutzt werden."

Viele Akteure würden bei größeren Veränderungen der Finanzierung erst einmal vom für sie schlimmsten Fall ausgehen. Also: fehlendes Geld. Dann fordere man, dass der jeweils Andere sich an der Finanzierung beteiligt. Und das könne in der jetzigen Lage sowohl der Bund als auch das Land oder die Kommune sein.

Konflikte seit den 1970er Jahren

Dass so ziemlich alle Ebenen an der Organisation und Finanzierung des ÖPNV beteiligt sind, "das hat einfach eine Geschichte", erklärt der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim: Bevor in den 1970er Jahren der öffentliche Nahverkehr zur "Gemeinschaftsaufgabe" erklärt wurde, gab es eine klarere Trennung.

Doch weil die Kommunen schon damals mehr Geld für den ÖPNV brauchten, ließen sie sich vor allem für große Verkehrsprojekte seit den 1970er Jahren sowohl von Bund und Ländern finanziell unterstützen. Nach den Regeln des "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes" gibt es dann auch mehr Mitsprache durch Bund und Länder - und somit Konfliktpotential.

Bahnreform: Grund für Streit ums Geld zwischen Bund und Ländern

Die Hauptursache, warum Bund und Länder immer wieder über die Finanzierung beim öffentlichen Nahverkehr streiten, ist für den Verkehrswissenschaftler Monheim jedoch vor allem die Bahnreform aus den 90er-Jahren. Das Problem liegt also weit vor dem 49-Euro-Ticket.

Mit der Reform wurde die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr auf die Länder übertragen. "Der Bund, der bis dahin mit seiner Bahn auch für den Nahverkehr zuständig war, hat das an die Länder weitergereicht. Damit ging das los", so Monheim.

Denn die Länder haben dieser neuen Aufgabe nur zugestimmt, wenn der Bund trotzdem auch weiterzahlt. Das sind die sogenannten "Regionalisierungsmittel", mit denen Verantwortung und Finanzierung in großen Teilen aufgeteilt wurden.

ÖPNV-System führt zur "Spaghetti-Finanzierung"

Mit der Zeit kamen immer weitere Verantwortungen sowie Förderprogramme hinzu. In der schematischen Darstellung der Finanzierung des ÖPNV verlaufen verschiedenste Linien, die jeweils Geldströme symbolisieren.

"Wir Fachleute sprechen von der sogenannten Spaghetti-Finanzierung, weil das wirklich so aussieht. Alles geht durcheinander und ist extrem kompliziert", erklärt Verkehrswissenschaftler Monheim.

Bildrechte: KCW, aktualisiert für den Bayerischen Rundfunk im Januar 2023

Schematische Darstellung der Finanzierungsströme im ÖPNV

Komplette Neuordnung der ÖPNV-Finanzierung

Mohnheim wäre für eine komplette Neuordnung der Finanzierung des ÖPNV. "Man muss die Axt nehmen, das alles durchhauen und völlig neu gestalten". Er fordert, zunächst die Gemeinden besser finanziell auszustatten und dann je nach Aktionsradius sowohl Finanzierung als auch Verantwortung für den ÖPNV zusammenzulegen: "Die Gemeinden kümmern sich um die lokale Mobilität, die Kreise um die regionale Mobilität, die Länder um die landesweite Mobilität. Und der Bund: die bundesweite Mobilität." Mit jeweiligen Verpflichtungen zum Klimaschutz.

Vorbild Schweiz

Doch der Verkehrexperte René Naumann warnt davor, ein komplexes System einem schlechten System gleichzusetzen. Es sei nicht ohne Grund komplex: "Man muss sich genau angucken, ob man mit einer Vereinfachung auch gute Förderungen hinten runterfallen lässt, die auch nachteilig für bestimmte Bestandteile des ÖPNV sind", argumentiert er.

Naumann sieht vor allem bei der Infrastrukturfinanzierung viel Potential zur Vereinfachung, etwa nach dem Vorbild der Schweiz. Dort wird die Eisenbahninfrastruktur über einen bundesweiten Bahninfrastrukturfonds finanziert.

Arbeitsgruppe zum Ausbau und Modernisierung des ÖPNV

In Deutschland widmet sich derzeit eine Arbeitsgruppe dem sogenannten "Ausbau- und Modernisierungspakt" zwischen Bund, Ländern und Kommunen, wie im Ampel-Koalitionsvertrag festgelegt.

Dort soll Transparenz hergestellt und eine Einigkeit über die ÖPNV-Finanzierung erarbeitet werden. "Damit nicht alle paar Monate neu gestritten wird, sondern eine Planungssicherheit geschaffen wird", hofft Burkhard Hüttl vom Verband bayerischer Verkehrsunternehmen. Das Bundesverkehrsministerium erklärt, Ziel sei es diesen Pakt noch im Jahr 2023 abzuschließen.

Der Streit ums 49-Euro-Ticket

Zug fährt in Bahnhof ein
Bildrechte: BR24

Wann kommt das 49-Euro-Ticket? Bund und Länder streiten weiter

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