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Neonicotinoide: Werden drei Insektizide verboten?

Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide galten einst als Wunderwaffen gegen Schädlinge. Doch: sie gefährden Bienen und andere Insekten. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit warnt vor einem "Risiko für Wild- und Honigbienen".

Beurteilt hat die EFSA die Wirkung von drei Mitteln: Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid, alle aus der Gruppe der Neonicotinoide, die als Kontakt- oder Fraßgifte wirken. Behandelte Pflanzen werden durch sie vor beißenden und saugenden Insekten geschützt. Kommen Insekten mit den Mitteln in Kontakt, binden sich die synthetisch hergestellten Wirkstoffe der "Neonics" an die Rezeptoren der Nervenzellen der Insekten und stören so die Weiterleitung von Nervenreizen. Bei den Insekten führt dies schließlich zum Tod.

Eine Erfolgsgeschichte

Das macht diese Insektizide hochwirksam, weshalb sie heute die am meisten eingesetzten bei der Schädlingsbekämpfung sind. Gegen den Maiswurzelbohrerer ebenso wie gegen den Rapsglanzkäfer. Im Apfelanbau gegen Läuse. Ebenso beim Hopfen, bei Getreide, im Weinbau oder bei Zuckerrüben. Die Neonicotinoide können dabei nicht nur versprüht, sondern vor allem auch zur Vorbehandlung des Saatgutes eingesetzt werden, dem sogenannten "Beizen". Das Saatgut wird dabei quasi mit einer giftigen Schutzhülle ummantelt.

Der Wendepunkt

Lange waren die Neonics ein Verkaufsschlager. Bis 2008 etwas Verheerendes passierte: Im baden-württembergischen Rheintal starben massenhaft Bienen, 11.500 Völker wurden ausgelöscht. Die Ursache: gebeizter Mais. Das Saatgut war mit einer sehr hohen - zu hohen - Dosis eines Neonicotinoids behandelt. Da nicht sachgerecht gebeizt worden war, entstand beim Ausbringen eine Staubwolke aus Insektengift, die sich weiträumig verteilte. Eine Studie ergab, dass die Neonics für Bienen 5.000 Mal giftiger sind als das Supergift DDT. Deutschland zog damals die Zulassung für acht Produkte zurück.

Stimmen für ein komplettes Verbot

Doch auch bei "sachgerechter" Anwendung sind die Neonicotinoide nicht ungefährlich - weshalb sich auch viele Wissenschaftler dafür aussprechen, sie ganz zu verbieten. So der Bienenforscher und Neurobiologe Prof. Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin.

In einer Testreihe wird die Hälfte seiner Bienen mit einer Zuckerlösung gefüttert, die eine kleine – nicht tödliche - Dosis des Neonikotinoids Thiacloprid enthält. Die andere Hälfte bekommt Futter ohne Gift. Dann trainiert er das Gedächtnis der Bienen. Sie werden mit einem Duft angeblasen. Und gleichzeitig gefüttert. Im Gehirn der Bienen wird der Duft mit der Erinnerung an Essen verknüpft. Einen Tag später prüft Randolf Menzel, ob sich die Bienen an den Duft erinnern. Das Ergebnis: In der Kontrollgruppe - ohne Neonics - erkennen rund 80 Prozent der Bienen den Duft wieder. Von den Bienen, die vorher mit dem Insektengift gefüttert wurden, sind es dagegen nur 20 Prozent.

"Die Biene kann sich nicht mehr gut erinnern. Sie nimmt nicht mehr am sozialen Kontakt teil. Sie kann nicht von anderen Bienen lernen – im Tanz, wo es etwas Gutes zu holen gibt. Sie kann auch nicht mehr gut navigieren. Sie ist in ihren gesamten kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt – so, wie das auch bei Alzheimerpatienten auftritt." Prof. Randolf Menzel, Freie Universität Berlin

EFSA spricht von "Risiko"

"Die Mehrzahl der Anwendungen von Neonicotinoid-haltigen Pestiziden" stellt nach einem im Februar veröffentlichten Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA "ein Risiko für Wild und Honigbienen dar". Aktualisiert hatte die EFSA darin die Risikobewertungen für die drei Mittel Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam, die aufgrund ihrer Bedrohung für Bienen bereits EU-weiten Beschränkungen unterliegen.

Auch politisch scheint sich einiges zu bewegen. So hat die neue Bundesumweltministerin angekündigt, sich in Brüssel für einen restriktiveren Einsatz bei allen Pflanzenschutzmitteln einzusetzen, insbesondere in Naturschutz- und Wasserschutzgebieten.

"Ich werde mich dafür einsetzen, dass Pflanzenschutzmittel nur noch zugelassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt in ausreichendem Maß ausgeglichen werden." Svenja Schulze (SPD), Bundesumweltministerin

Ihre Kollegin aus dem Landwirtschafsressort hat unterdessen bekräftigt, dass sie in Brüssel dem geplanten Freilandverbot für die drei Mittel Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid zustimmen wird.

"Was der Biene schadet, kommt vom Markt." Julia Klöckner (CDU), Bundeslandwirtschaftsministerin

Doch selbst, wenn die Mittel am Freitag verboten werden sollten, so hat die Industrie längst neue Insektizide in der Schublade. Zum Beispiel die Wirkstoffe Sulfoxaflor aus der Gruppe der Sulfoximine oder Flupyradifuron aus der Gruppe der Butenolide. Stoffe, die keine Neonicotinoide sind, aber eine verdächtige Ähnlichkeit haben. Auch sie binden sich an die Rezeptoren der Nervenzellen von Insekten und stören dadurch die Weiterleitung von Nervenreizen.

Durch die EU sind beide Mittel bereits zugelassen. Flupyradifuron ist auch bereits in einigen Mitgliedsstaaten zugelassen, allerdings nicht in Deutschland.

Von Flupyradifuron weiß man, dass es die Geschmackswahrnehmung von Bienen, das Lernen und das Gedächtnis negativ beeinflussen kann. Das haben Versuche an der Uni Würzburg gezeigt. Bei bestimmungsgemäßer Anwendung auf dem Feld, so die Wissenschaftler, sei aber nicht damit zu rechnen, dass die Bienen mit der im Labor verabreichten Dosis in Kontakt kämen. Wichtig sei es jetzt zu erforschen, wie sich Flupyradifuron auf die motorischen Fähigkeiten der Tiere, den Bienentanz und die Orientierung auswirke.