"Willkommen in Ampeldeutschland" steht in gelber Schrift auf schwarzem Grund. Darunter die schwarz-weißen Konterfeis dreier Männer: Christian Lindner, Olaf Scholz, Robert Habeck. Alle drei schauen sie ernst bis grimmig. Neben ihnen steht eine Ampel. Sie ist aus. Zuletzt hatte diese Unions-Kampagne unter www.ampeldeutschland.de mit dem Vorwurf des "Negative Campaigning" zu kämpfen. Der Trend hat seine Wurzeln in den USA. Es geht darum, den politischen Rivalen zu diskreditieren.
CDU und CSU haben sich "das erste Jahr der Ampel in Zahlen" angeschaut. In ihrer Kampagne kommt die Union zu dem wenig überraschenden Schluss: "Ein Jahr Ampel hat Deutschland zurückgeworfen - in allen Bereichen." Das kann man so sehen. Wenn man in der Opposition ist, muss man das vielleicht sogar.
Bilanz der Ampel aus Unionssicht – alles negativ, oder was?
Die Ampel-Bilanz fällt aus Sicht von CDU und CSU schlecht aus. Als Belege werden jeweils Vergleichszahlen zur unionsgeführten Vorgängerregierung herangezogen, aus dem Jahr 2021. Dass die Zahlen der Union besser ausfallen, ist angesichts des Ukraine-Kriegs und den darauf folgenden globalen Turbulenzen wenig überraschend.
Stein des Anstoßes sind jedoch nicht die Zahlen, sondern ein Sharepic: Es zeigt den ehemaligen Berliner Flughafen Tegel, auf dem nun ein großes weißes Zelt aufgebaut ist. Dabei handelt es sich um das Ankunftszentrum für Geflüchtete aus der Ukraine. In gelber Schrift steht darüber: "Ungesteuerte Migrationspolitik" und darunter "Deutlich mehr Asylanträge als 2021".
Im Bundestag nehmen mehrere Rednerinnen und Redner darauf Bezug, so etwa die Grünen-Politikerin Katharina Dröge. In Richtung Alexander Dobrindt (CSU) sagt Dröge: "Solidarität im Umgang mit der Ukraine zeigt sich auch im Umgang mit Geflüchteten, und dass die Union in dieser Zeit immer wieder Kampagnen gegen Geflüchtete fährt, immer wieder Sharepics wie die CSU in dieser Woche gegen Geflüchtete macht, das ist unsolidarisch."
Der Tweet mit dem Sharepic ist mittlerweile nicht mehr zu sehen, die CSU-Fraktion im Bundestag hat es von der Seite genommen. Auf Nachfrage von BR24 erklärt ein Sprecher der CSU-Landesgruppe, man habe das Bild gelöscht, weil die Bildauswahl ungünstig und missverständlich gewesen sei, auch auf der Webseite habe man es ausgetauscht.
Ist vergleichende Kommunikation automatisch negativ?
Ungünstig oder unsolidarisch, (auch) hier gehen die Meinungen auseinander. Laut Raphael Brinkert, dem Gründer der Werbeagentur Brinkert/Lück, der viele Kampagnen betreut hat, von Angela Merkel bis hin zur SPD, gibt es "einen großen Unterschied zwischen vergleichender und irreführender Kommunikation – vor allem, wenn diese nicht auf Fakten, sondern Behauptungen beruht". Vergleichende Werbung ist laut Brinkert dabei nicht per se "Negative Campaigning", sondern oftmals unterhaltsam oder augenzwinkernd, nicht diskriminierend.
Brinkert hat auch schon seine negativen Erfahrungen mit politischer Werbung gemacht. Sein SPD-Wahlwerbespot mit einer Matroschka-Puppe vom August 2021 blieb nicht lange online. Er beinhaltete unter anderem eine Attacke auf Nathanael Liminski, den damaligen Chef der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen: "Erzkatholische Laschet-Vertraute, für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist".
Als der damalige SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil den Spot vorstellte, sagte er, die SPD werde sehr deutlich machen, wie die Bilanz von Ministern wie Jens Spahn (CDU) und Andreas Scheuer (CSU) in dieser Regierung sei, das gehöre dazu, dass man auf die Fehler und Schwächen der anderen deutlich hinweist. Nach heftiger Kritik am Spot – unter anderem wegen des persönlichen Angriffs auf Liminski, den der CDU-Abgeordnete Günter Krings einen "doppelten Tabubruch" nannte, den er unter Demokraten nicht für möglich gehalten hätte, zog die SPD den Spot zurück. Raphael Brinkert sieht das nicht so dramatisch. Man habe nur erzählt, was allgemein bekannt sei.
Effekte von Negative Campaigning ambivalent
Für Simon Kruschinski, der an der Universität Mainz zu politischer Kommunikation forscht und sich besonders intensiv mit Wahlkampfkommunikation beziehungsweise social media campaigning beschäftigt, ist Negative Campaigning durchaus ambivalent. Es werde insbesondere von politischen Herausforderern eingesetzt, im Gegensatz zu den Amtsinhabern. Was man in Studien auch sehen könne: Vor allem rechts- und linksextreme Parteien oder populistische Parteien würden diese negativen Angriffe fahren. Wobei der Effekt zweischneidig sein könne: Negative Campaigning könne auf parteilich gebundene Wählerinnen und Wähler mobilisierend wirken, während es auf eher unabhängige Wähler durchaus eine abschreckende Wirkung haben könne. Hier sei die Studienlage aber nicht einheitlich.
Negative Campaigning: Mit Negativität Aufmerksamkeit erzeugen
Kruschinski verweist auf einen weiteren Punkt: die Attraktivität von schlechten Nachrichten. Negativität als Aufmerksamkeits-Catcher. Soziale Netzwerkplattformen würden mit Algorithmen arbeiten, die "genau eine solche Negativität belohnen". Sie geben solchen Inhalten mehr Reichweite. Das sei dadurch bedingt, dass negative Inhalte mehr Klicks fördern, dass Menschen sich Negatives eher anschauen würden. Stärker sichtbar durch Plattformen, stärker geklickt durch Rezipienten. "Einen Teufelskreis" nennt das Kruschinski. Untersuchungen würden zeigen, dass jeder Algorithmus der unterschiedlichen Plattformen Negativität als solches belohnt, Unterschiede zwischen den Plattformen gebe es kaum.
Social Media stellen einen idealen Kanal für negative Botschaften dar, weil es hier ganz schnell und unvermittelt ohne medialen Filter gelingt, sensationalistische negative Inhalte an eine große Bevölkerungsschicht herauszuspielen, sagt Kommunikationswissenschaftler Kruschinski. Besonders die AfD greife auf die Strategie der bewussten Provokation zurück, um die Aufmerksamkeit auf die Partei zu lenken. Dabei spielten auch die herkömmlichen Medien eine Rolle, die diese Provokationen häufig aufgreifen, darüber berichten und die Aufmerksamkeit dadurch verstärken würden.
Was passiert, wenn der politische Diskurs online ausgelagert wird?
Interaktion ist die Währung der sozialen Plattformen. Postings mit negativen Emotionen, die Ärger und Wut auslösen, lohnen sich für die Parteien – sie bekommen mehr Interaktionen, mehr Likes, mehr Kommentare. Solche Postings werden von den Algorithmen stärker gewichtet, verschaffen mehr Reichweite und Aufmerksamkeit.
Ulrike Klinger ist Professorin für Digitale Demokratie an der Europauniversität Viadrina. Klinger forscht zu politischer Kommunikation und den Wandel digitaler Öffentlichkeiten. Mittlerweile, sagt Klinger, finden Wahlkampf und generell öffentlicher Diskurs in einer Umgebung statt, die dafür überhaupt nicht gemacht ist. Die Plattformen seien konzipiert worden als Werbeplattformen, und hier funktionierten sie gut: "Die Betreiber der Plattformen wollen, dass wir so lange wie möglich dort sind und so viel wie möglich interagieren, weil unsere Aufmerksamkeit verkauft wird an die Werbetreibenden." Und das funktioniere sehr gut mit Wut und Ärger, sei aber keine gute Umgebung für demokratische Diskurse und die Selbstbeobachtung der Gesellschaft.
Parteien müssten sich selbst hinterfragen, ob sie durch ihre Posts dazu beitragen wollten, den Diskurs zu verschärfen.
Union noch auf der Suche nach konstruktiver Opposition
Juri Schnöller ist CDU-Mitglied und Mitbegründer der Werbeagentur Cosmonauts and Kings in Berlin. Er hat unter anderem eine Kampagne für Angela Merkel und das Bundesgesundheitsministerium unter CDU-Minister Jens Spahn gefahren. Für Schnöller sucht die Union nach 16 Jahren an der Regierung noch ihre Rolle in der politischen Kommunikation als Opposition zwischen AfD und Linkspartei. Es sei wenig glaubhaft, alles schlecht zu reden, was die Ampel in einem Jahr gemacht habe, da viele der Wurzeln des jetzigen Handelns schon mehrere Jahre zurückliegen würden. Stichwort: Energiepolitik.
Natürlich sei es einfacher, die Schuldigen für die Misere immer auf der anderen Seite zu sehen, andererseits müsse respektvoll mit dem politischen Gegner umgegangen werden. Reines Negative Campaigning funktioniert ohnehin nicht, davon ist Schnöller überzeugt. Wenn man nur eine Kampagne mache, die auf Angst und auf Hass und Ablehnung gegenüber allem der anderen Seite bestehe, könnten nur noch sehr schwer positive eigene Akzente gesetzt werden. Per se ist Kritik in einer Demokratie nie verkehrt, solange sie nicht verletzend oder diffamierend ausfällt.
Die Sonderrolle der CSU in der digitalen Kommunikation
Dass die CSU im Digitalen durchaus eine Macht ist, erkennt auch Kajo Wasserhövel von der Strategieberatung Elephantlogic an. Wasserhövel ist SPD-Mitglied, war früher Bundesgeschäftsführer und Abgeordneter. Die CSU sei, was die aggressive Kampagnenfähigkeit betrifft, im Laufe der Jahrzehnte eine der erfolgreichsten Parteien geworden, die in einer gewissen historischen Tradition mit ihren Anti-Berlin-Reflexen arbeitet. Auch Juri Schnöller verweist auf die Sonderrolle der CSU: Der Kern der CSU bestehe darin, zu zeigen, man sei eine bundespolitisch relevante Kraft, was nicht immer reibungsfrei innerhalb des Verbunds mit der CDU passiert.
Bei Unionsthemen wie innerer Sicherheit oder Migration stelle sich die Frage, wie die Abgrenzung zur AfD gelinge. Und für künftige Positionierungen ganz generell: Zuspitzung oder ein Mittelweg, um liberale und konservative Kräfte innerhalb des Wählerspektrums zu gewinnen. Und was die Köpfe angeht, ist Juri Schnöller überzeugt: Politische Kommunikation kann niemals aus einer Person eine komplett neue Marke machen, weil dann verliert sie die Authentizität. Für CDU-Chef Friedrich Merz klingt das angesichts seiner aktuellen persönlichen Umfragewerte nicht besonders positiv.
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In einer früheren Version des Artikels war von "Nathanael Lipinski" die Rede. Gemeint war jedoch Nathanael Liminski. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.