Schwemmebene mit Moor
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Das Platzertal ist ein weltabgeschiedener Ort. Es ist ein typisches zentralalpines Hochtal. Über 6 Hektar Moore entstanden dort seit der Eiszeit.

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Naturschutz oder Energie? Protest gegen Kraftwerkspläne in Tirol

Die Alpen als "Batterie Europas": In einem noch völlig unberührten Alpental soll ein Pumpspeicherwerk gebaut werden. Im Nachbarland Tirol protestieren Anwohner und Naturschützer gegen das Projekt. Was steckt dahinter?

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Die Energiekrise erreicht auch die Alpen. Eines der größten Kraftwerksvorhaben in Europa hat in den vergangenen Monaten Fahrt aufgenommen: Es geht um das Pumpspeicherwerk Kaunertal-Platzertal der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) im oberen Inntal. Für das Kraftwerk soll das bisher unberührte Platzertal zum Speichersee umgebaut und durch einen 23 Kilometer langen Stollen mit Wasser aus den Gletscherbächen des Ötztals versorgt werden. Bis Februar 2023 läuft die Umweltverträglichkeitsprüfung.

Alpen als Batterien Europas

Teil des Projekts ist der bestehenden Gepatschspeicher im Kaunertal, der in den 60er Jahren gebaut wurde. Er soll mit dem neu zu bauenden Stausee im Platzertal verbunden werden. Ein unterirdisches Kraftwerk im Berg würde dann dafür sorgen, dass bei Strombedarf Wasser in den tieferliegenden Gepatschspeicher abgelassen und bei Stromüberschuss von dort ins Platzertal hochgepumpt wird. So sollen die Alpen als "Batterie Europas" ausgebaut werden, um eine Stromreserve bereitzuhalten - auch für Bayern.

Bisher fast völlig unbekanntes Tal

Warum sich die landeseigene Tiwag für den Standort Platzertal entschieden hat, erklärt der Leiter der Projektentwicklung Wolfgang Stroppa: "Wir haben immer gesagt, wir wollen eine Erweiterung einer bestehenden Anlage haben, das heißt, im Umfeld des Gepatschspeichers. Hier ist das Platzertal als letztlich günstigstes und beste Tal herausgegangen, mit einem schönen Hochtal, das natürlich auch naturschutzfachlich schön ist, nur bevor wir dort waren, hat es fast keiner gekannt."

DAV, ÖAV und WWF wollen gegen das Kraftwerk kämpfen

Genau deshalb sei das Tal aber auch so besonders schützenswert finden Naturschützer. Über sechs Hektar Moore sind dort seit der Eiszeit entstanden. Und während überall in Europa mit Millionenaufwand Moore renaturiert werden, soll hier ein intaktes Moor einfach verschwinden. Ein Unding, finden der Deutsche und Österreichische Alpenverein, gemeinsam mit dem World Wide Fund For Nature (WWF). Sie wollen gegen die Kraftwerkspläne kämpfen. Tobias Hipp, Naturschutzexperte des Deutsche Alpenvereis (DAV): Dem DAV und dem Österreichischen Alpenverein (ÖAV) gehe es darum darzustellen, "was aus unserer Sicht eine natürliche, naturverträgliche Energiewende ist. Das Vorhaben hier ist für uns kein Beispiel."

"Lebenswertes Kaunertal" sorgt sich um die Sicherheit

Inzwischen regt sich an mehreren Stellen Widerstand. Das kleine Kaunertal, das erst in diesem Jahr von der UN-Welttourismusorganisation für seinen sanften und nachhaltigen Tourismus ausgezeichnet worden ist, würde für die zehnjährige Bauzeit zur Großbaustelle. Anita Hoffmann, die Obfrau des Vereins "Lebenswertes Kaunertal" betont, dass das Tal vom Tourismus lebe: "Wir müssten mit allen negativen Auswirkungen leben, mit Staub und Dreck. Wir haben aber auch große Bedenken bezüglich der Sicherheit. Wir wollen unseren wertvollen Lebensraum nicht für eine Großbaustelle und für die Gewinnmaximierung von großen Energiekonzernen einfach hergeben."

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80 % des Wassers aus der Ötztaler Ache sollen für das Pumpspeicherprojekt abgeleitet werden. Für die weltberühmte Kajakstrecke wäre dies das Aus.

DAV fordert länderübergreifende Raumplanung

Weil aber der Druck auf die Natur durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien steigen wird, fordert der Deutsche Alpenverein eine länderübergreifende Raumplanung mit einem übergeordneten Konzept. Darin müsste klar ausgewiesen sein, in welchen Räumen ein weiterer Ausbau der Erneuerbaren möglich ist und welche Regionen absolut schützenswert und damit für solche Projekte tabu sind.

80 Prozent der Ötztaler Ache sollen abgeleitet werden

Die Alarmglocken schrillen aber auch im Ötztal. 80 Prozent des Wassers der Ötztaler Ache sollen abgeleitet werden. Das hätte nicht nur Folgen für die wertvolle Biologie des Flusses, sondern auch für die touristische Nutzung im Ötztal - zum Beispiel durch Kajakfahrer. Das Bewusstsein um die kostbare Ressource Wasser ist im Tal gerade nach dem vergangenen, extrem trockenen Sommer noch einmal gewachsen.

Reinhard Scheiber, der Obmann der Agrargemeinschaft in Hochgurgl und Sprecher von insgesamt 18 landwirtschaftlichen Kleingruppen im Ötztal, berichtet, dass auf den Almen schon im Juli teilweise kein Wasser mehr aus den Quellen gekommen sei. "Der warme Sommer, der heuer war, der hat direkt an der Gletschersubstanz gearbeitet. Also das ganze Wasser, was jetzt rausrinnt ist eigentlich der Knochen, das ist wirklich die Gletschersubstanz. Das Wasser kommt nie wieder, das ist weg", so Scheiber.

Schneekanonen brauchen viel Wasser und viel Strom

Die Ötztaler Gletscher über Vent und Hochgurgl sind so etwas wie die Wasser-Sparkasse des ganzen Tals. In trockenen und heißen Sommern liefern sie das kostbare Nass – noch: Denn wie überall in den Alpen geht es mit dem "ewigen" Eis rasant dahin: Der Vernagtferner hat seit 1985 30 Prozent der Fläche verloren. Selbst in den Alpen, wo Schnee und Niederschläge eigentlich für einen guten Wasserhaushalt sorgen, ist der Klimawandel deutlich spürbar.

Die Forderungen nach Wasser kommen trotzdem weiterhin von allen Seiten - auch von den Hochgurgler und Söldener Seilbahnunternehmen, bei denen deutsche Skifahrer zur Hauptkundschaft zählen. Ihre Kunstschneemaschinerie braucht das Wasser dringend, gleichzeitig allerdings auch viel Strom, für den die Tiwag nun wiederum das Wasser haben will. Die Grenzen des Wachstums zeigen sich hier ganz unmittelbar. Auch Wolfgang Stroppa, dem Leiter der Projektentwicklung bei der Tiwag, ist der Konflikt bewusst: "Letztendlich muss die Gesellschaft wissen, was will ich, wie nutze ich meine Ressourcen. Und dieser Energiehunger, der da ist in der Gesellschaft, der muss gedeckt werden."

Völlig unerschlossene Gebiete sollen tabu bleiben

Das Dilemma ist auch den großen Naturschutzorganisationen klar. Tobias Hipp vom DAV fordert deshalb eine Neuausrichtung. Er verweist auf das große Potential beim Energiesparen, fordert eine Effizienzsteigerung bei bestehenden Kraftwerken und den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Bereichen, die bereits erschlossen sind. Was aber nicht gehe, sei in neue, komplett unerschlossene Gebiete zu gehen und sie zu verbauen, weil sie dann auf Dauer verloren gingen.

Pumpspeicherpläne für Bayern?

Auch in Bayern hat Energieminister Hubert Aiwanger erst kürzlich einen Bau von Pumpspeicherkraftwerken für "dringend erforderlich" erklärt. Projekten wie am Jochberg und im Berchtesgadener Lattengebirge, die vor Jahren schon einmal zur Debatte standen, erteilt Tobias Hipp umgehend eine Absage: "da werden wir uns sehr klar dagegen positionieren". Für neue Pumpspeicherwerke fehle in Bayern jeglicher Raum.

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