Nach zwei Anschlägen in Ost-Jerusalem wächst die Sorge vor einer neuen Eskalation im Nahost-Konflikt. Am Freitag näherte sich ein Angreifer einer Synagoge im Viertel Newe Jaakow in Ost-Jerusalem und schoss auf mehrere Menschen in der Umgebung. Sieben Menschen kamen dabei ums Leben, drei weitere wurden verletzt. Ihr Gesundheitszustand wird als stabil beschrieben. Der Angreifer wurde der Polizei zufolge bei der Flucht getötet. Die Polizei sprach von einem der schlimmsten Angriffe der vergangenen Jahre. Nur wenige Stunden später erfolgte ein weiterer Angriff. Ob beide Fälle in Zusammenhang standen, ist unklar.
Erneuter Angriff in Jerusalem am Samstag
Bei dem zweiten Angriff am Samstag nahe der Jerusalemer Altstadt wurden zwei Menschen verletzt. In einem Notruf sei von einem Terroranschlag im Viertel Silwan im von Israel annektierten Ostteil die Rede gewesen, teilte der israelische Rettungsdienst Magen David Adom mit. Laut Polizei handelte es sich bei dem Schützen um einen 13-jährigen Palästinenser. Er sei von der Polizei überwältigt worden - dabei wurde er den Angaben zufolge verletzt.
Die beiden bei dem zweiten Angriff verletzten Männer seien zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht worden, erklärte der israelische Rettungsdienst. Medienberichten zufolge handelt es sich um einen Vater und seinen Sohn. Die Opfer seien in einem kritischen, aber stabilen Zustand. Die Polizei geht von einem erneuten palästinensischen Terrorangriff aus. Die Einsatzkräfte waren mit einem Großaufgebot vor Ort.

Police officers close the area of a shooting attack near a synagogue in East of Jerusalem.
Israel verstärkt Sicherheitskräfte
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief noch am Freitagabend die Bevölkerung dazu auf, das Gesetz nicht in die eigenen Hände zu nehmen. Dafür habe man eine Armee und eine Polizei, die vom Kabinett Anweisungen erhalte. Man werde entschlossen und ruhig handeln, versprach Netanjahu. Am Samstagabend kam das Sicherheitskabinett zusammen. Dabei soll unter anderem darüber beraten werden, die Waffengesetze zu lockern, damit die Bürger leichter an Waffen kommen, und die Wohnhäuser von Terroristen und deren Familien beschleunigt abzureißen.
Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant hatte erklärt, dass Sicherheitskräfte in Jerusalem und im Westjordanland bereits verstärkt worden seien. Israels Polizeichef Kobi Schabtai rief laut Medienberichten die höchste Alarmbereitschaft aus. Für die Einsatzkräfte wurden demnach Zwölf-Stunden-Schichten angeordnet.
Nach dem Anschlag vom Freitag nahm die israelische Polizei am Samstagmorgen eine Razzia im Viertel At-Tur vor, wo der mutmaßliche Täter gewohnt hatte. Nach ersten Erkenntnissen war der Attentäter 21 Jahre alt. Laut Polizei handelte er allein. Dennoch nahmen die Beamten 42 Familienangehörige, Nachbarn und andere aus dem Umfeld des mutmaßlichen Attentäters fest. Was ihnen zur Last gelegt wird, war zunächst nicht bekannt.
Am Samstagabend gingen in Tel Aviv aber auch erneut Zehntausende gegen die rechtsgerichtete Regierung Netanjahus auf die Straße. Die Demonstranten kritisierten - wie bereits seit Wochen - die geplante Justizreform, n der Kritiker vor allem eine Schwächung des Obersten Gerichts sehen. Die Demonstranten schwenkten israelische Fahnen und bezeichneten auf Transparenten Netanjahu, den ultrarechten Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir und andere Kabinettsmitglieder als "eine Bedrohung des Weltfriedens". Der Opfer der beiden Anschläge gedachten die Demonstranten mit einer Schweigeminute.
Weltweites Entsetzen nach Anschlag
Die Vereinten Nationen haben den Anschlag in Ost-Jerusalem scharf verurteilt. Es sei besonders abscheulich, dass der Angriff an einem religiösen Ort erfolgt sei und an genau dem Tag, an dem man dem Holocaust gedenke, so UN-Generalsekretär António Guterres. Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, drückte sein Mitgefühl aus. Auf Twitter sprach er von einem "bösen Terrorakt".
Bundesregierung reagiert besorgt
Das Auswärtige Amt zeigte sich besorgt über eine mögliche weitere Eskalation des Konflikts. "Die Spirale der Gewalt, die in diesem Jahr bereits zu viele Opfer auf beiden Seiten gefordert hat, darf sich nicht weiterdrehen", sagte eine Sprecherin. Man verurteile den Angriff aufs Schärfste. "Am Internationalen Holocaust-Gedenktag jüdische Gläubige vor einer Synagoge anzugreifen, während sie Schabbat begehen, ist abscheulich und ein Verbrechen, das durch nichts zu rechtfertigen ist."
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich schwer betroffen. "Die Nachrichten über die schrecklichen Attentate in Jerusalem erschüttern mich zutiefst", erklärte er auf Twitter. "Es hat Tote und Verletzte im Herzen Israels gegeben". Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückte dem israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog per Telefon seine Anteilnahme aus. "Meine Gedanken sind bei den Familien der Opfer und allen Trauernden in Israel“, sagte Steinmeier.
Biden betont Unterstützung der USA
Auch die US-Regierung verurteilte die Tat. Man sei schockiert und traurig über den Verlust von Menschenleben, sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. Die USA böten der Regierung und der israelischen Bevölkerung ihre volle Unterstützung an. US-Präsident Joe Biden hat bereits mit Netanjahu telefoniert. Biden habe dabei die eiserne Verpflichtung der USA mit Blick auf die Sicherheit Israels betont, so ein US-Sprecher.
Der Angriff auf Zivilisten zur Zeit des Gebets und am Tag des internationalen Gedenkens an die Opfer des Holocaust sei besonders verabscheuungswürdig, teilte das französische Außenministerium mit. Auch der britische Außenminister James Cleverly sagte Israel Beistand zu.
Riad warnt vor ernsthafter Eskalation der Lage
In einem seltenen Schritt hat Saudi-Arabien auf den Terroranschlag in Ost-Jerusalem mit mehreren Toten reagiert. "Das Königreich verurteilt alle Angriffe auf Zivilisten", teilte das Außenministerium mit. Der einflussreiche Golfstaat, der keine diplomatischen Verbindungen zu Israel unterhält, warnte zugleich, dass die Situation zwischen Palästinensern und Israelis in eine weitere ernsthafte Eskalation abgleiten könne. Saudi-Arabien hat sich in der Vergangenheit zwar oft zur Lage der Palästinenser, nicht aber zu Terror, der auf Israelis abzielt, geäußert.
EU mahnt Israel: Einsatz von tödlicher Gewalt nur als "letztes Mittel"
Angesichts der eskalierenden Gewalt appellierte die Europäische Union an Israel, tödliche Gewalt nur als "letztes Mittel" einzusetzen. Die EU erkenne "Israels legitime Sicherheitsbedenken, die von den jüngsten Terroranschläge erneut gerechtfertigt werden, voll und ganz an, aber es muss betont werden, dass tödliche Gewalt nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf, wenn sie zum Schutz von Leben absolut unvermeidlich ist", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
"Freudenfeiern" im Gazastreifen und Westjordanland
Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland reagierten mit "Freudenfeiern" auf den Terroranschlag. Augenzeugen berichteten, wie Militante am Freitagabend in die Luft schossen und auf die Straßen strömten. Ein Sprecher der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas erklärte, der Anschlag sei eine "natürliche Reaktion" auf die Angriffe auf die Al-Aksa Moschee und auf den Überfall der israelischen Armee auf das Flüchtlingslager Dschenin.
Am Tag zuvor war es an mehreren Orten im Westjordanland zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Auslöser war eine Razzia in Dschenin, bei der sich israelische Soldaten mit militanten Palästinensern ein Feuergefecht lieferten. Neun Menschen wurden dabei getötet, darunter mehrere Mitglieder der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad. 20 Menschen wurden verletzt.

Israelischer Ministerpräsident Benjamin Nethanjahu besucht den Tatort in Ost-Jerusalem
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