Trotz heftigem Protest von Union und Linkspartei ist im Bundestag die Reform des Wahlrechts zu einer festen Begrenzung der Abgeordnetenzahl beschlossen worden. Für das Gesetz stimmten 400 Abgeordnete, dagegen 261. Es gab 23 Enthaltungen. Mit dem Gesetz soll der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert werden.
Hitzige Debatte: Ampel für Reform, CSU tobt
In der zweistündigen hitzigen Debatte hatten Vertreter der Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Reform als überfällig und gerecht verteidigt. Dagegen äußerten Politiker von CDU/CSU und Linkspartei scharfe Kritik, beklagten eine Benachteiligung und erneuerten die Ankündigung, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Beide Seiten warfen sich wechselseitig ein populistisches Vorgehen im Stil von Ex-US-Präsident Donald Trump vor.
Unmittelbar vor der Abstimmung forderte Unionsfraktionschef Friedrich Merz die Ampel auf, die Entscheidung um zwei Wochen zu verschieben, um einer gemeinsamen Lösung näherzukommen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich entgegnete, es habe in den vergangenen drei Wochen immer wieder Gespräche und intensives Ringen gegeben. Es werde nicht besser, "wenn wir noch mal 14 Tage warten".
Dobrindt: "Ein großes Schurkenstück"
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf der Ampel "einen Akt der Respektlosigkeit" gegenüber Wählerinnen und Wählern, gegenüber der Opposition und gegenüber der Demokratie vor. "Sie machen hier eine Reform für sich selbst." Mit dem Gesetz würden zwei der drei Oppositionsfraktionen – die Union und die Linke – strukturell benachteiligt. Mit offensichtlicher Freude werde "das Existenzrecht der CSU in Frage" gestellt. Die Ampel versuche, ihren Machtanspruch zu zementieren.
Dobrindt beklagte einen Versuch der Wahlrechtsmanipulation. Es werde ein Wahlrecht geschaffen, "in dem direkt gewählte Abgeordnete nicht mehr in den Bundestag einziehen", kritisierte er. "Das fördert nicht das Vertrauen in die Demokratie, sondern das fördert ausschließlich Politikverdrossenheit in Deutschland." Dieses Wahlrecht sei "ein großes Schurkenstück".
Merz: "Beschädigung des Vertrauens in unsere Demokratie"
CDU-Chef Merz kritisierte insbesondere, dass die Ampel kurzfristig die Abschaffung der Grundmandatsklausel vorgeschlagen habe. Diese Änderung habe zur Folge, dass ganze Bundesländer "mit direkt gewählten Abgeordneten im Deutschen Bundestag nicht mehr vertreten sind". Das könne Bayern betreffen, aber auch andere Bundesländer. "Einer solchen Beschädigung des Vertrauens in unsere Demokratie werden wir zu keinem Zeitpunkt zustimmen", betonte der Unionsfraktionsvorsitzende. "Und wir werden jeder Zeit jede Gelegenheit nutzen, das wieder zu ändern, was Sie hier heute mit ihrer Mehrheit gegebenenfalls beschließen werden."
Die Grundmandatsklausel regelt, dass eine Partei auch mit weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen in Fraktionsstärke in den Bundestag kommt, wenn sie mindestens drei Direktmandate geholt hat. Davon profitierte bei der Wahl 2021 die Linkspartei. Aber auch die CSU könnte von der Änderung in Zukunft betroffen sein - bei der Bundestagswahl 2021 holten die Christsozialen in Bayern zwar fast alle Direktmandate, kamen deutschlandweit aber nur auf knapp 5,2 Prozent der Stimmen.
Linke: "Wir werden uns in Karlsruhe sehen"
Jan Korte von der Linkspartei betonte, der Grundpfeiler der Demokratie sei das Wahlrecht. Die Reform sei der "größte Anschlag, den es auf diesen Grundpfeiler gab seit Jahrzehnten". Es profitierten SPD, FDP und Grüne, während zwei Parteien aus dem Bundestag eliminiert werden sollten.
Die Grundmandatsklausel habe demokratisch großen Sinn, argumentierte Korte. Sie gebe beispielsweise einem relevanten Teil der ostdeutschen Bevölkerung eine Stimme. "Sie überlassen mit dem, was sie heute machen, der AfD den Osten." Die Linke repräsentiere im Bundestag 2,3 Millionen Stimmen. Die Wahlrechtsreform der Ampel sei vergleichbar mit den Tricksereien der Republikaner Donald Trumps, kritisierte Korte. "Wir werden uns in Karlsruhe sehen."
AfD kritisiert die Ampel
Der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser beklagte, dass die Reform der Ampel keinen demokratischen Fortschritt bringe. Dies sei der Grund für die Enthaltung der AfD. Seine Fraktion habe eine Listenwahl vorgeschlagen, bei der die Wähler direkten Einfluss auf die Reihenfolge der Kandidaten hätten. Das wolle die Ampel nicht. Zudem warf der der Koalition vor, das Wohl ihrer Parteien vor das öffentliche zu stellen.
SPD: "Wir beweisen Reformfähigkeit"
Der Obmann der SPD in der Wahlrechtskommission, Sebastian Hartmann, verteidigte die Wahlrechtsreform. Sie sei ein deutliches Signal, dass die Politik sich selbst nicht von Veränderungen ausnehme. "Wir beweisen die eigene Reformfähigkeit." Der Bundestag erhalte eine feste Größe, zugleich werde der Grundcharakter des Wahlrechts als Verhältniswahlrecht klargestellt.
Eine "Verzerrung des Wahlergebnisses zugunsten der CSU" und die "Privilegierung einzelner Gruppen" werde künftig ausgeschlossen. sagte der SPD-Abgeordnete. Union und Linkspartei warf Hartmann eine unwürdige Tonalität in der Debatte vor. "Sie legen die Axt an den demokratischen Grundkonsens und gefährden den demokratischen Zusammenhalt."
Grüne: Ampel löst Versprechen ein
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann warf der CSU vor, eine Wahlrechtsreform in den vergangenen Jahren stets verhindert zu haben. Sie respektiere die regionale Sonderstellung der CSU, aber die Partei trete in 15 Bundesländern nicht an. "Es kann nicht sein, dass die CSU als Regionalpartei dem Deutschen Bundestag diktiert, wie das Wahlrecht aussieht." Die Ampel löse das Versprechen ein, den Bundestag zu verkleinern.
Durch das jetzige Wahlrecht könne das Wahlergebnis massiv verzerrt werden, weil drei Überhangmandate unausgeglichen bleiben könnten, bemängelte Haßelmann. Und ein Überhangmandat entspreche bis zu 16 Ausgleichsmandaten. Dies könne dazu führen, dass die Ampel trotz einer Mehrheit der Stimmen keine Mehrheit im Bundestag hätte. Künftig werde gelten: "Wer die Mehrheit der Stimmen bei einer Wahl erzielt, wird auch die Mehrheit im Parlament darstellen können."
Das bisher gültige Wahlrecht sah vor, Überhangmandate einer Partei nur teilweise durch Ausgleichsmandate zu kompensieren. Beim Überschreiten der Regelgröße des Bundestags sollten bis zu drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden.
FDP: Es geht nicht um die CSU
FDP-Vize-Fraktionschef Konstantin Kuhle betonte, mit der Wahlrechtsreform zeige der Bundestag die Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Künftig könnten nur so viele Abgeordnete einer Partei in den Bundestag einziehen, wie ihr nach Zweitstimmenanteil zustehen. Bisher habe jede Wahlrechtsdiskussion in Deutschland ihren Endpunkt bei der CSU genommen. "Die CSU macht aus jeder Diskussion über die Verkleinerung des Deutschen Bundestags eine Diskussion über die CSU." Es gehe aber nicht um die CSU, "sondern um unser Land", sagte Kuhle.
Söder: Noch vor der Sommerpause vors Verfassungsgericht
Verärgert reagierte später der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder auf die Verabschiedung der Wahlrechtsreform. Er sprach von einer "Hardcore-Attacke auf die CSU" und von bewusster Manipulation.
"Es ist ein einmaliger Vorgang in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass eine Mehrheit im Parlament sich ein Wahlrecht zimmert ausschließlich zu ihrem eigenen Vorteil", sagte Söder. Ganz bewusst werde versucht, ganze Teile Deutschlands – den Osten und ganz Bayern – auszublenden. Söder hält die Reform für verfassungswidrig. Deswegen werde der Freistaat noch vor der Sommerpause vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Auch CSU-Landesgruppenchef Dobrindt setzt auf die Karlsruher Richter. Das neue Wahlrecht sei eine "Missachtung des Föderalismusprinzips, der Bundesstaatlichkeit, der regionalen Besonderheiten", sagte Dobrindt der "radioWelt" auf Bayern 2. "Das hat das Verfassungsgericht schon mal öfters mal formuliert." Er gehe von einem Erfolg in Karlsruhe aus. Dass Abgeordnete gewählt werden und trotzdem nicht in den Bundestag einziehen dürfen und der Föderalismus ausgehebelt werde, sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Bundestag soll dauerhaft kleiner werden
Die Wahlrechtsreform soll dafür sorgen, dass der Bundestag ab der nächsten Wahl dauerhaft auf 630 Mandate verkleinert wird. Künftig soll auf Überhang- und Ausgleichsmandate ganz verzichtet werden. Durch diese war der Bundestag immer weiter gewachsen, auf zuletzt 736 Abgeordnete. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mit den Erststimmen mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach Zweitstimmen Bundestagsmandate zustehen. Davon profitierte zuletzt vor allem die CSU. Um das Zweitstimmenverhältnis weiter korrekt abzubilden, bekommen die anderen Parteien dann Ausgleichsmandate.
Nach den neuen Regeln kann es künftig vorkommen, dass ein Bewerber in seinem Wahlkreis die relative Mehrheit der Stimmen holt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht. Darüber hinaus soll die sogenannte Grundmandatsklausel entfallen.
Das BR24live mit der Bundestagsdebatte zum Nachschauen:

Alexander Dobrindt im Bundestag
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