Ende März, es ist ein sonniger Tag in Paris. An einem riesigen Kreisverkehr mit freiem Blick auf den Eiffelturm sitzen Dutzende Menschen dicht an dicht im Café du Trocadéro. Sowohl draußen an der frischen Luft als auch im Innenraum. Dort, an einem kleinen Tisch für zwei Personen, wartet ein Mann mit breiten Schultern, er trägt einen schwarzen Pullover und eine Hornbrille.
Sergej Zhirnov ist derzeit ein gefragter Mann. Nur wenige Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine erschien sein Buch "L’Éclaireur", zu Deutsch: Der Aufklärer. Es ist ein Bestseller. 60 Jahre ist Zhirnov alt und er hat eine besondere Geschichte. Er ist Russe, war Spion des KGB, infiltrierte nach dem Mauerfall die französische Elitehochschule ENA, die vier Präsidenten und neun Premierminister besuchten. Anfang der 2000er setzte er sich nach Frankreich ab. Ins Exil, wie er sagt.
"Nahezu alle wichtigen Kandidaten sind pro Putin"
Seit Jahren beobachtet er den Einfluss des Kremls auf die französische Spitzenpolitik: "Nahezu alle wichtigen Kandidaten sind pro Putin. Angefangen bei Marine Le Pen", sagt er. Marine Le Pen, die Kandidatin des extrem rechten Rassemblement National, machte sich 2017 vor der Stichwahl auf nach Moskau.
Damals ist der Tisch des russischen Präsidenten noch kein sechs Meter langes Monstrum, sondern hat eher die Ausmaße eines Nachttisches mit Leselampe. Le Pen wirkt offensichtlich angefasst und spricht mit zittriger Stimme: "Wie Sie wissen, plädiere ich schon lange dafür, dass Frankreich und Russland wieder Beziehungen pflegen."
Marine Le Pen zu Besuch am 24.März 2017 bei Wladimir Putin im Kreml.
Bis heute schuldet Le Pens Partei russischen Gläubigern Geld
Putins Unterstützung dauert schon seit Jahren an und beschränkt sich nicht allein auf einen netten Empfang und warme Worte. 2014 leiht die russische First Czech Russian Bank Le Pens Partei, damals hieß sie noch Front National (FN), über neun Millionen Euro. Es ist dasselbe Jahr, in dem Russland die Krim annektiert. Le Pen verteidigt sich bis heute: Keine französische Bank habe dem FN einen Cent leihen wollen. Russische Politiker sollen darauf hingewirkt haben, dass das Darlehen gewährt wird. Und 2017, im Präsidentschaftswahlkampf, wird Le Pen öffentlich erklären, dass die Annexion der Krim nicht illegal sei.
Ein Moskauer Gericht erklärte 2016 die First Czech Russian Bank für insolvent. Die Kreditforderungen an Le Pens Partei wurden jedoch an verschiedene russische Investoren transferiert. Etwa an ein russisches Staatsunternehmen für Luftfahrt, das Exporte an das syrische Verteidigungsministerium tätigte.
Die zurückgezahlten Tranchen des Darlehens von Le Pens Partei gehen also an ein Unternehmen, das Geschäfte mit dem Assad-Regime macht. Da die Partei, die heute Rassemblement National heißt, in den vergangenen Jahren finanziell klamm war, ist der Kredit bis heute noch nicht zurückgezahlt. Bis Kriegsausbruch bestehen also noch russische Forderungen an den Rassemblement National.
"Später, weil es ein schlechtes Licht auf sie (Le Pen) warf, hat Putin dann seinen Freund Viktor Orban angehauen. Jetzt trägt eine ungarische Bank die Fackel weiter", sagt Sergej Zhirnov. Tatsächlich wurde Anfang März bekannt, dass der Rassemblement National nunmehr einen Kredit von 10,6 Millionen Euro von einer ungarischen Bank erhalten hat, um Le Pens Wahlkampf zu finanzieren. In Frankreich ist es ähnlich wie in Deutschland: Für die Finanzierung des Wahlkampfs sind die Parteien verantwortlich. Erst nach der Wahl werden je nach Ergebnis die Kosten durch den Staat erstattet.
Le Pen kommt zugute: Kaum jemand hat eine weiße Weste
Zum Kriegsbeginn distanzierte sich Le Pen schnell und deutlich von Wladimir Putin. In mehreren Fernsehsendungen sagte sie: "Er hat Unrecht. Er hat die rote Linie überquert. Das ist unzumutbar, das ist inakzeptabel." Sie sei immer jemand gewesen, die die Souveränität der Nationen über alles andere gestellt habe. Diesen Grundsatz habe Putin nun verletzt.
Le Pen, meint Zhirnov, hat so versucht, das Thema schnell abzuräumen. Sie spricht lieber darüber, wie die Franzosen ihre Kaufkraft steigern können. Ihr kommt vor allem zugute, dass andere Kandidaten auch keine weiße Weste haben, wenn es um Putin-Russland geht. Bei der früheren konservativen Volkspartei Les Républicains bekleidete Ex-Präsidentschaftskandidat François Fillon zwei Aufsichtsratsposten in russischen Staatsunternehmen, die er – im Gegensatz zum früheren deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder – zu Anfang des Krieges niederlegte.
Mit der aktuellen Kandidatin der Partei, Valérie Pécresse, in den Umfragen weit abgeschlagen, verbindet Sergej Zhirnov eine persönliche Geschichte. Als er nach dem Fall der Mauer noch Spion des KGB war, saß eine junge Praktikantin der Elitehochschule ENA in der französischen Botschaft in Moskau. Diese Praktikantin war niemand anderes als Pécresse: "Sie war es, die sich dafür einsetzte, dass ich an die Schule kam und sie damit infiltrieren konnte." Pécresse machte sich noch bis kurz vor Kriegsbeginn für ein gutes Verhältnis mit Russland stark. Ihr Russisch, sagt der Ex-Spion, habe einen markanten französischen Akzent.
Der Absturz des Éric Zemmour
Derjenige, der nach dem russischen Einmarsch jedoch am heftigsten in den Umfragen abstürzte, ist der rechtsextreme Polemiker Eric Zemmour. Etwa wegen früherer Aussagen wie im Jahr 2014, wonach Putin ein russischer Patriot sei: "Deshalb verteidigt er die Interessen seines Landes und das ist es, was ich an ihm bewundere." Dutzende Beispiele dieser Art kursieren momentan im Netz. Als Russland fast 200.000 Truppen an der Grenze versammelte, sprach Zemmour davon, die Russen würden immer als "schlechte, die Amerikaner als gute, weil schlaue Invasoren" dargestellt.
Lange hatte sich der Ex-Spion Sergej Zhirnov bei Zemmour die Frage gestellt: Cui bono? Wer profitiert? Wie hat Putin den rechtsextremen Kandidaten in der Hand, der durch seine Tiraden im Fernsehen berühmt wurde? Irgendwann kam er zu dem Schluss: Zemmour ist nichts weiter als ein nützlicher Idiot, wie Lenin es einst ausdrückte: "Ich hätte es verstanden, wenn er gekauft wäre, wenn er für Geld arbeiten würde. Aber nein, das ist es nicht. Er ist einfach nur jemand, der wirklich glaubt, dass Putin der beste Diktator der Welt ist", sagt Zhirnov sehr überzeugt.
Zemmour tut sich seit Wochen schwer, den richtigen Ton zu finden, um sich von Putin zu distanzieren. Er versucht dabei, sein Stammklientel nicht zu vergraulen. Putin übt auf viele Zemmour-Wähler eine Faszination aus, weil auch sie sich einen starken Mann an der Spitze des Staates wünschen.
Éric Zemmour gilt als "Putin-Versteher".
Große Russland-Faszination in Frankreich
Zemmour sagt, er unterwerfe sich in keinerlei Hinsicht dem russischen Machthaber. Er sehe sich in einer Reihe mit französischen Staatschefs, die sich immer darum bemüht hatten, Russland die Hand zu reichen und es als Teil Europas zu sehen: "Das war die Politik des Generals de Gaulle, von Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und, daran möchte ich Sie erinnern, von Emmanuel Macron."
Damit trifft Zemmour einen wunden Punkt. Macron empfing Putin glamourös 2019 in seiner Sommerresidenz zur Vorbereitung auf den G7-Gipfel im baskischen Biarritz. Auch der extrem linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon wird nimmermüde zu sagen, die Nato trage durch ihre Osterweiterung eine große Schuld an der Invasion.
Noch immer gibt es in Frankreich eine große Faszination für Russland, vor allem für dessen Kultur, Schriftsteller wie Tolstoi und Dostojewski sowie für Musiker wie Rachmaninow und Schostakowitsch. Doch dieses Russland, sagt Ex-KGB-Spion Zhirnov, ist eine Illusion und hat nichts mit Putin-Russland zu tun. Der Kreml hat über Jahrzehnte Beziehungen in die französische Politik geknüpft und durch seine Propaganda Zwietracht in der Gesellschaft gesät. Nun, durch den Krieg in der Ukraine, sei Russland so präsent wie nie zuvor in einem Wahlkampf um den Amtssitz im Élysée-Palast.
Europäische Perspektiven zur Wahl in Frankreich
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