Minderheitsregierungen gab es in Deutschland bereits viele, fast alle auf Landesebene. Die meisten waren kurzlebig, unfreiwillig und gerieten schnell in Vergessenheit: Ein Koalitionspartner war ausgestiegen, Abgeordnete hatten die Fraktion gewechselt – oder der Landtag wählte überraschend einen Kandidaten der Opposition zum Ministerpräsidenten. Letzteres war 1976 in Niedersachsen der Fall, als der CDU-Politiker Ernst Albrecht mit Stimmen der sozialliberalen Koalition Regierungschef wurde.
Höppners "Tabubruch“
Die wohl bekannteste Minderheitsregierung währte allerdings acht Jahre – von 1994 bis 2002. Ihr Chef, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner, sollte später von ihr sagen, sie sei stabiler gewesen als manche Koalition. Der Sozialdemokrat ließ sich von der PDS tolerieren. Dass Höppner die Nachfolgepartei der SED von der Regierungsbank fernhielt, milderte den Tabubruch, den damals viele in dem Pakt sahen.
Das "Magdeburger Modell" könnte sich als lehrreich für eine Minderheitsregierung im Bund erweisen: Gesetze mussten vorher mit der PDS abgestimmt werden. Irgendwie befand man sich ständig in "Koalitionsverhandlungen". Höppner hatte leichtes Spiel: Die auf Reputation bedachte PDS wagte es nicht, die Regierung ins Messer laufen zu lassen. Auch dann nicht, als die SPD die CDU als Mehrheitsbeschaffer gewann.
Parteien in der Verantwortung
Auf einen so treuen Partner im Dauerduldungsmodus kann eine künftige Minderheitsregierung im Bund wohl nicht hoffen: Sie muss sich darauf einstellen, wechselnde Mehrheiten zu finden. Das kann auf ein permanentes Geschacher um Zustimmung und Belohnung hinauslaufen und am Ende die Effizienz der Regierungsarbeit beeinträchtigen. Das ist ein Nachteil.
Der Vorteil: Eine Minderheitsregierung nimmt die Nicht-Regierungsparteien in die Pflicht. Sie müssen von Fall zu Fall entscheiden, ob sie mit der Regierung ein Ergebnis anstreben oder nicht. Flexibilität statt Parteiräson und Parlamentsroutine: Das fördert die Konzentration auf konkrete Problemlösungen. Wer sich verweigert, kann sich nicht auf eine Oppositionslogik berufen, sondern muss sich die Frage nach der Verantwortung gefallen lassen.
Ungewisse Zukunft
Die klassische Konfrontation zwischen Mehrheitsregierung und Opposition gibt es unter eine Minderheitsregierung nicht mehr. Es sei denn, die Nicht-Regierungsparteien schalten auf Totalblockade – was schnell ein konstruktives Misstrauensvotum gegen die Regierung und Neuwahlen zur Folge hätte. In verfahrenen Situationen wäre der Weg zu diesem Notausgang kurz.
Über Minderheitsregierungen schwebt deshalb das Damoklesschwert einer ungewissen Zukunft. Doch ihr Ende könnte unter anderem so aussehen: Aus einer guten parlamentarischen Zusammenarbeit erwächst doch noch eine regelrechte Koalition. Eine Minderheitsregierung muss keineswegs Instabilität bedeuten.