Angela Merkel im Gespräch mit Alexander Osang.
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Angela Merkel im Gespräch mit Alexander Osang.

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Merkel erklärt sich und ihre Russland-Politik

Spärlich waren die Auftritte der Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel. Hier ein paar dürre Zeilen zum Ukraine-Krieg, da eine Rede zum Abschied des DGB-Vorsitzenden. Am Abend nun hatte Merkel neunzig Minuten und eine Bühne für sich, und sie nutzte sie.

Wie sie da sitzt, auf dieser Bühne im Berliner Ensemble, im blauen Merkel-Blazer mit der Merkel-Kette aus schweren Steinen um den Hals. Es ist, als sei sie nie weggewesen. Angela Merkel ist da. Nur eben nicht als Bundeskanzlerin, sondern als Bürgerin. Als Bundeskanzlerin außer Dienst. Eine Rolle, die sie für sich selbst erst noch definieren muss, sagt sie. Vorsicht ist geboten. Schließlich will sie ja nicht in den Verdacht geraten, ihren Amtsnachfolger von der Seitenlinie zu bewerten oder zu kritisieren.

Der Aufbau Verlag und das Theater Berliner Ensemble, beides Ikonen ostdeutscher Geschichte, haben Angela Merkel diese Bühne bereitet. Sie wird im Anschluss an die 90-minütige Veranstaltung noch ein Büchlein mit einigen ihrer Reden signieren. "Was also ist mein Land" heißt der schmale Band. Widmungen wird sie keine schreiben, das würde sie jetzt überfordern, sagt die Altkanzlerin da tatsächlich, und lacht dieses leicht verschämte Merkel-Lachen, die Schultern unmerklich hochgezogen.

Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel am 07.06.2022 im Berliner Ensemble.
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Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel am 07.06.2022 im Berliner Ensemble.

Jetzt erstmal nur Wohlfühltermine

"Was also ist mein Land" ist auch der Titel der Veranstaltung, auf ihre sehr direkte Art gibt Merkel dem Moderator, dem Spiegel-Autor Alexander Osang, am Ende zu verstehen, dass beide darüber nur sehr wenig geredet haben. Aber sie wollte es bestimmt nicht anders, denn Osang stellt keine kritischen, harten Marietta-Slomka-Fragen. Merkel hat sich Osang aus guten Gründen ausgesucht.

Sie wolle jetzt das machen, was sie wolle und was gut für das Land sei – und wenn man ihr nun vorwerfe, sie mache nur noch Wohlfühltermine, dann sei es eben so. Ein bisschen Bockigkeit schwingt da mit, noch mehr aber das Bedürfnis, sich und ihre Politik zu erklären. Dafür hat sie dann fast eineinhalb Stunden Zeit. Die Menschen erwarten das vielleicht auch, dass Merkel sagt, was war und was ist, in diesen wilden, ungewissen Zeiten.

Merkel erklärt sich und ihre (Russland-)Politik

Und so nutzt die Kanzlerin diesen ersten langen Auftritt nach ihrem selbst gewählten Ausscheiden aus der Politik für viele Erklärungen, von denen einige verdächtig nach Rechtfertigung klingen. Etwa, als sie ausführt, warum sie 2008 so strikt gegen die Aufnahme der Ukraine in die Nato war: Das Land nicht demokratisch gefestigt, große Korruptionsprobleme und die Befürchtung, Putin schon damals aufs Äußerste zu reizen. Dessen Nato-Phobie ja hinlänglich bekannt sei.

Und der die EU zerstören wolle, weil er sie als Vorstufe der Nato sieht. Für den der Zerfall der Sowjetunion so etwas wie die Ursünde war, während der Fall der Mauer für Merkel ein Glücksfall war. Aber auch wenn ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen auseinanderklaffen und trotz aller Differenzen, Merkel weicht kein Jota von ihrer damaligen Russland-Politik ab, pragmatisch bis ins Mark: "Ich muss ja mit ihm leben." Man werde sich auf Dauer nicht ignorieren können.

Merkel: Hochachtung für die Ukraine und Lob für Scholz

Sie begründet ihr Festhalten am Normandie-Format, das nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 dazu führen sollte, Frieden in die Ostukraine zu bringen, letztlich aber der Ukraine Zeit gekauft habe, um sich auf- und auszurüsten. Zeit, die das Land sehr gut investiert habe, wie Merkel betont. Natürlich hat sie Hochachtung vor der Leistung der Ukraine und deren Präsidenten. Natürlich verurteilt sie Putins Krieg.

Eigene Versäumnisse mag sie kaum erkennen, sie habe sich nichts vorzuwerfen, entschuldigen werde sie sich nicht. Sorgen mache sie sich eigentlich auch keine, denn das Kanzleramt befinde sich in guten Händen, keine Newcomer am Werk, das beruhige sie trotz der Weltlage.

Eine "normale Bürgerin"? Gilt nicht für Merkel

Es ist Merkel anzumerken, dass es in ihr gearbeitet hat, in diesen vergangenen sechs Monaten Auszeit, als sie an der Ostsee lange Spaziergänge unternahm, nur von Hörbüchern begleitet, Macbeth, Don Carlos, die großen Fragen: Zweifel, Macht, Ohnmacht. Sie habe sich nicht verkrochen, stellt sie klar, ein halbes Jahr Erholung nach dreißig Jahren Politik und 16 Jahren Kanzlerschaft, was ist das schon?

Und Urlaub in Italien muss dann eben auch mal sein, man kann ja nicht immer nur in die Uckermark verreisen. Noch allerdings gilt: Das Private ist im Fall Merkel nach wie vor sehr nah am Politischen. Dafür sorgen schon die Papparazzi. Der Merkel’sche Abkopplungsprozess von der Politik wird seine Zeit brauchen.

Was nun, Frau Merkel?

Was kommt nun für die Bürgerin Angela Merkel, die keine ganz normale Bürgerin ist und die ihrem Land dienen will? Die Transsibirische Eisenbahn, ein Traum Merkels, fällt jetzt wohl erst mal aus. Vielleicht eine Reise nach Bhutan, wo das Glück der Bevölkerung als Ziel der Politik definiert ist; das hat sie in ihren 16 Jahren Amtszeit nicht hinbekommen, hätte vielleicht auch zu sehr nach Wellness-Reise ausgesehen. Nicht, dass diese Kanzlerin mit ihrem Arbeitspensum jemals in den Verdacht geraten wäre, sich in ihrer Kanzlerschaft über Gebühr erholt zu haben.

Merkel, das wird sehr deutlich, ist mit sich im Reinen. Was aber ist nun also das Merkel-Land? Das war an diesem Abend nicht zu erfahren.

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