Was wollen die Klima-Aktivisten der "Letzten Generation"?
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Klimaaktivisten der Umweltschutzbewegung "Letzte Generation" blockieren auf der Prinzregentenstraße den Verkehr (Archivbild).

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"Letzte Generation": Was die Klimaaktivisten fordern und warum

Seit Monaten sorgen Klimaaktivisten mit Straßenblockaden, Klebe-Attacken in Museen und Störaktionen bei Veranstaltungen bundesweit für Wirbel. Was will die Gruppe "Letzte Generation" damit erreichen? Wie ist sie organisiert?

Mit ihren Straßen- und Flughafenblockaden sowie Klebe-Attacken auf Kunstwerke haben Klimaaktivisten in den vergangenen Wochen und Monaten kontroverse Debatten ausgelöst. Diskutiert wird, wie weit Protest gehen darf - und ob die Strafen für solche Aktionen verschärft werden sollten. Politiker sowohl von Union und AfD als auch der Ampelkoalition kritisierten die Gruppe "Letzte Generation". Der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte sogar vor der Entstehung einer "Klima-RAF".

Allein in München wurden in den vergangenen Wochen mehr als drei Dutzend Klimaaktivisten in polizeiliche Gewahrsam genommen - ein Großteil von ihnen für eine Woche oder länger. Es gab Dutzende Anzeigen wegen Nötigung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Ordnungswidrigkeiten nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz sowie eine Reihe Fälle von Präventivgewahrsam von bis zu 30 Tagen. Die Stadt München erließ am Freitag ein Versammlungsverbot im Zusammenhang mit Festklebe-Aktionen.

Was will die "Letzte Generation" eigentlich erreichen? Welche Forderungen hat die Gruppe? Und wie ist sie organsiert? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum protestiert die "Letzte Generation"?

Die "Letzte Generation" sieht die Welt wegen der Klimakrise am Rande des Abgrunds - und wirft zugleich der Bundesregierung vor, alle Warnungen zu ignorieren. "Wir sind nicht länger bereit, dieses Verbrechen an der Menschheit widerstandlos hinzunehmen", schreibt die Gruppe auf ihrer Internetseite. "Wir sind der Überlebenswille dieser Gesellschaft."

Da der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kein Bewusstsein für die existenzielle Bedrohung der Gesellschaft durch den Klimanotfall erkennen lasse, blockiere die Gruppe immer wieder Straßen. "Wir tun das nicht gerne. Doch wir sehen diesen zivilen Widerstand als unsere beste Chance, auf unserem zerstörerischen Kurs die notwendige Umkehr zu bewirken."

Woher kommt der Name der Gruppe?

In einem Brief an die Bundesregierung warnte die "Letzte Generation" im Herbst: "Wenn Sie (...) entschlossene Maßnahmen gegen den Klimakollaps im Alltagsgeschäft für lediglich zwei bis drei weitere Jahre hintenan stellen, dann wird es zu spät sein." Es drohten Krisenzeiten, wie sie die Menschheit noch nie erlebt habe. "Wir alle sind die letzte Generation, die das Schicksal der Menschheit noch entscheiden kann." Ein Satz, der in verschiedenen Abwandlungen immer wieder fällt - und aus dem der Name der Gruppe stammt. Sie ist überzeugt, der "letzten Generation" anzugehören, die das Ruder noch herumreiß kann.

Wann hat sich die Gruppe gegründet?

Laut "Letzte Generation"-Sprecher Theo Schnarr geht die Gründung auf den Hungerstreik mehrerer Klimaaktivisten in Berlin im Sommer 2021 zurück: Er dauerte vom 30. August bis 25. September. Zuletzt verweigerten zwei der Teilnehmer auch das Trinken, bis sich der damalige SPD-Kanzlerkandidat Scholz zu einem Gespräch bereit erklärte. "Nicht alle Menschen, die an diesem Hungerstreik teilgenommen hatten, sind noch dabei", schildert Schnarr.

Was fordert die "Letzte Generation"?

Die konkreten Forderungen der "Letzten Generation" haben sich seit der Gründung gewandelt. Eine Zeitlang verlangte die Gruppe von der Bundesregierung in erster Linie eine Agrarwende hin zu nachhaltiger Landwirtschaft sowie ein Essen-Retten-Gesetz: Supermärkte müssten verpflichtet werden, noch genießbares Essen nicht wegzuwerfen, sondern zu spenden.

Bei den aktuellen Blockadeaktionen stehen zwei andere Kernforderungen im Fokus: Zum einen verlangt die "Letzte Generation" ein sofortiges Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen, um "jährlich bis zu 5,4 Millionen Tonnen CO2" einzusparen. "Es ist sofort umsetzbar und das nahezu kostenlos." Zum anderen pochen die Aktivisten auf ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket: "Bezahlbare Bahnen sind in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten nur gerecht! Außerdem würde ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket sogar noch mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit."

Diese beiden Maßnahmen seien der erste Schritt, sagt Schnarr. Darüber hinaus habe die Gruppe grundlegende Werte und Visionen. Nötig sei beispielsweise, das Wirtschaftssystem zu "einer Art Notfallwirtschaft umzustellen" sowie Wege zu finden, "die Demokratie so zu bauen, dass wir als Gesellschaft stärker daran teilnehmen können".

Auf welche Aktionen setzt die Gruppe?

Die häufigste Protestform der "Letzten Generation" sind Verkehrsblockaden - sowohl in Innenstädten als auch auf Autobahnen. Da sich Aktivisten dabei festkleben, dauert die Räumung in der Regel länger, was zu Staus führt. Betroffen waren im vergangenen Jahr Städte in ganz Deutschland. Mehrfach gab es Aktionen an Flughäfen und in Häfen. Darüber hinaus wurden Hörsäle in Hochschulen besetzt, Parteizentralen mit Farbe besprüht, ein Herz aufs Kanzleramt gemalt, im Bundestag und bei großen Veranstaltungen der Feueralarm ausgelöst. Mehrere Male mussten Spiele der Fußball-Bundesliga und andere Sportevents wegen Klima-Protesten unterbrochen werden. Auch Tanklager wurden blockiert und Öl-Pipelines besetzt.

Sehr kontrovers diskutiert wurden Aktionen in Museen: In Potsdam warfen Unterstützer der "Letzten Generation" Kartoffelbrei auf ein Monet-Gemälde, in Berlin klebten sich Aktivisten an ein Cranach-Bild, in München an ein Rubens-Werk, in Dresden an Raffaels "Sixtinische Madonna". Spott in den sozialen Netzwerken ernteten zwei Mitglieder der "Letzten Generation", die sich vor einem Konzert der Sächsische Staatskapelle in der Hamburger Elbphilharmonie am Geländer des Dirigentenpults festklebten: Die Haltestange ließ sich problemlos aus der Halterung ziehen - ein Mitarbeiter des Orchesters beförderte die Aktivisten samt Geländer aus dem Saal. Die Gesamtzahl der bisherigen Aktionen schätzt Schnarr auf einen "mittleren oder höheren dreistelligen Bereich".

Wie werden Aktionen geplant?

Mit ihren Protestaktionen will die "Letzte Generation" Aufsehen erregen. "Was wir tun, ist letztlich darauf ausgelegt, eine möglichst große Spannung zu erzeugen oder eine möglichst große Störung des Alltags, die dann eben zu dieser Spannung führt", schildert der Sprecher. Und es seien vor allem Straßenblockaden, "die die Spannung bringen". Dagegen sei zum Beispiel das Abdrehen von Ölpipelines nicht so stark öffentlich diskutiert worden. Neben Blockaden habe es aber auch viele Aktionen gegeben, "die eher künstlerisch waren".

Die "Letzte Generation" verstehe sich als lernende Bewegung, erläutert Schnarr. "Wir werten aus, inwiefern sich Aktionen eignen, Spannung zu erzeugen und die Diskussion darüber zu entfachen." Dafür gebe es ein Strategieteam. Das sei eine "Gruppe von Menschen, die sich generell damit auseinandersetzen, wie ziviler Ungehorsam früher funktioniert hat und wie das übertragbar ist auf die heutige Zeit". Darüber hinaus werde in den Kanälen der Gruppe die "Schwarmintelligenz" eingeladen, Aktionen vorzuschlagen.

Wo sind die Hotspots der Aktionen?

Die meisten Aktionen fanden von Anfang an in Berlin statt. "Da sitzt die Regierung", sagt Schnarr. Daher biete die Bundeshauptstadt die Möglichkeit, "den Protest relativ nah an die Bundesregierung zu bringen". Darüber hinaus gab es in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Protesten in größeren und kleineren Städten in vielen Regionen Deutschlands.

Seit wenigen Wochen entwickelte sich München zu einem zweiten Schwerpunkt. Bayern sei ein Symbol für "bisheriges Versagen in der Klimapolitik in Deutschland, das Ignorieren, das Verdrängen und für das 'Ja-aber-die-anderen-sollen-es-machen'", teilte die Letzte Generation dazu auf BR24-Anfrage mit. Der Freistaat sei ein Hauptakteur der Automobilbranche, habe aber keinen Plan für die Verkehrswende. Für die Blockaden in München reisten Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet in die Landeshauptstadt.

Welche Prinzipien gelten bei den Protesten?

Großen Wert legt die "Letzte Generation" bei ihrem zivilen Ungehorsam auf Disziplin der Teilnehmer: "Wir sind absolut gewaltfrei – sowohl in unseren Handlungen als auch in unserer Sprache", heißt es auf der Internetseite. "Wir treten ruhig und respektvoll, aber entschlossen und standfest auf. Wir vermeiden Schuldzuweisungen und Beleidigungen und führen Menschen nicht vor." Der Konsum von Alkohol oder Drogen vor und während der Proteste ist tabu. "Es ist nicht Teil unserer Strategie, Menschen anzuzeigen, auch wenn sie uns Gewalt antun."

Wie gehen die Aktivisten mit Strafen um?

Die Devise für die Aktivisten lautet: "Wir akzeptieren die Konsequenzen unserer Taten und stehen mit unserem Gesicht und unserem Namen dazu." Die "Letzte Generation" will "hohe Gebühren, Straftatvorwürfe und Freiheitsentzug unerschrocken" hinnehmen. Wer nach einer Aktion juristischen Beistand braucht, kann sich ans "Legal Team" wenden. "Wir helfen dir bei rechtlichen Fragen, bei Anträgen zur Kostenerstattung und können dich auch zum psychologischen Support vermitteln."

Die Gruppe hat auch eine Liste mit "solidarischen Anwälten". In Berlin vertrat kürzlich der Linken-Politiker Gregor Gysi Unterstützer der "Letzten Generation". Bei Prozesskosten gibt es den Angaben zufolge in vielen Fällen Hilfe aus dem Umwelt-Treuhandfonds.

Wie ist die "Letzte Generation" organisiert?

Dem Sprecher zufolge gibt es neben dem zentralen Strategieteam mehrere Gruppen für verschiedene Belange wie zum Beispiel die Pressearbeit. "Und wir haben Gruppen vor Ort, die die Vorträge organisieren, die wir bundesweit geben, um zu informieren." Organisiert seien die Aktivistinnen und Aktivisten in kleineren Gruppen, "in denen wir aufeinander Acht geben können", sagt Schnarr. "Denn das sind krass belastende Situationen. Auf die Straße zu gehen, das macht ja kein Mensch gerne - angeschrien zu werden, Polizeikontakt zu haben, eingesperrt zu sein, auch mal für längere Zeit." Da sei es dann wichtig, Menschen zu haben, "die mir dann emotionale Unterstützung geben können".

Die Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer der "Letzten Generation" schätzt er auf mehrere hundert. "Es sind ja nicht nur die Menschen, die auf der Straße sind." Vielmehr gebe es vor Ort auch viele Helfer, die beispielsweise Vorträge bewerben. "Über die letzten Wochen sind ganz viele Menschen dazugekommen." In Bayern gibt es laut Internetseite der "Letzten Generation" sieben Ortsgruppen.

Engagiert seien ganz unterschiedliche Menschen - Studierende, Handwerker, Mütter, Senioren. "Es sind viele junge Menschen dabei, aber es ist auch gut durchmischt." Der Altersdurchschnitt der Unterstützer liege nach wie vor über 30.

Wie finanziert sich die Gruppe?

Die "Letzte Generation" erhält nach eigenen Angaben "einen Großteil der Mittel für Recruitment, Training und Weiterbildung aus dem Climate Emergency Fund". Seit April 2022 sei die Gruppe Teil eines internationalen Netzwerks ziviler Widerstandsprojekte mit den Namen "A22 Network". Weitere Mittel kommen darüber hinaus über Spenden.

Wie lange wollen die Aktivisten protestieren?

Die "Letzte Generation" gibt sich auch für die Zukunft kämpferisch: Sie werde ihre Störungen nicht einstellen, "bis sich die Regierung entschließt, jetzt Maßnahmen für einen entschlossenen Klimaschutz zu treffen", heißt es. Dabei bleibe man aber immer gesprächsbereit, hieß es im Brief an die Bundesregierung: Sobald die Politik ernsthaft bereit sei, die ersten notwendigen Schritte zu unternehmen, "werden wir die Störungen unterlassen beziehungsweise einstellen".

Wo liegen Gefahren des Protests?

Die Aktionen der Gruppe sind umstritten. Für Aufregung sorgte in dieser Woche die 45-minütige Blockade der nördlichen Start- und Landebahn des Münchner Flughafens. Vier Männer hatten sich am Rollweg festgeklebt. Dabei konnte ein Flugzeug mit einem 80-Jährigen mit Verdacht auf Herzinfarkt erst mit 20 Minuten Verspätung landen. Dem Mann geht es mittlerweile wieder gut.

Politiker kritisierten die "Letzte Generation" für dieses Vorgehen. Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) hält die Blockadeaktionen für nicht legitim: "Mit diesen kriminellen Machenschaften gefährden die Aktivisten den gesellschaftlichen Konsens." Auch Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) verwies auf die möglichen Folgen: "Das ist alles mit großen Gefahren verbunden, für Sicherheit, auch für Leib und Leben."

Wie steht es um die Akzeptanz in der Gesellschaft?

Umfragen zufolge ist die Akzeptanz sogar bei jungen Menschen gering. In einer Civey-Umfrage im November lehnten 71 Prozent der 20- bis 40-Jährigen Straßenblockaden ab. In der Gesamtbevölkerung glauben 86 Prozent, dass das Festkleben dem Anliegen des Klimaschutzes sogar schadet.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke äußerte im BR24-Interview-der-Woche zwar Verständnis für die Anliegen der Gruppe, kritisierte aber deren Vorgehensweise. Sie könne den Frust junger Menschen nachvollziehen, dass es mit der Verfolgung der Klimaschutzziele nicht schnell genug gehe. Die Politik müsse sich fragen lassen, ob sie genug getan habe. Protestformen, die Menschen gefährden könnten, seien aber abzulehnen, so die Ministerin. "So weit dürfen die Proteste nicht gehen."

Klimaaktivist in München
Bildrechte: picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Ein letzter von vier Klimaaktivisten sitzt mit angeklebter Hand auf dem Zubringer einer Start-und Landebahn am Airport Franz-Josef-Strauß.

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