Aktivisten der "Letzten Generation" auf einer Straße (Archivbild)
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Aktivisten der "Letzten Generation" auf einer Straße (Archivbild)

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"Letzte Generation": Kritik nach Beschlagnahmung von Website

Polizei und Staatsanwaltschaft haben in sieben Bundesländern Razzien bei der "Letzten Generation" durchgeführt. Auch deren Website wurde beschlagnahmt. In diesem Zusammenhang räumte die Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem BR Fehler ein.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Direkt zum aktuellen Artikel: "Tabubruch": Streit über Razzia bei "Letzter Generation"

Im Auftrag des bayerischen Landeskriminalamts und der Generalstaatsanwaltschaft München sind Ermittlerinnen und Ermittler am Mittwoch mit einer bundesweiten Razzia gegen die "Letzte Generation" vorgegangen.

Insgesamt wurden ab etwa 7.00 Uhr morgens 15 Objekte in sieben Bundesländern durchsucht, wie die Behörden mitteilten. Vier Durchsuchungen davon fanden in Berlin statt, jeweils drei in Bayern und in Hessen. Zudem wurden Konten beschlagnahmt und Vermögenswerte gesichert. Auch die Website der "Letzten Generation" wurde beschlagnahmt. Das löste heftige Kritik aus.

Generalstaatsanwaltschaft räumt Fehler ein

Die Generalstaatsanwaltschaft München hat gegenüber dem Bayerischen Rundfunk eingeräumt, dass sie in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt einen missverständlichen Hinweis auf der Homepage der "Letzten Generation" veröffentlicht habe. Die Website war im Zuge der Razzien beschlagnahmt und mit folgendem Hinweis versehen worden: "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!" Dieser Hinweis sei, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München jetzt auf BR-Anfrage erklärt, "missverständlich" gewesen und habe auf dem Durchsuchungsbeschluss basiert. Korrekt hätte es heißen müssen, dass der Verdacht bestehe, dass die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB darstelle. Mittlerweile haben Polizei und Staatsanwaltschaft ihren Fehler korrigiert und von der Seite genommen. Das Bayerische Landeskriminalamt schrieb in einem Tweet, dass die Grundlage der Warnung der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Münchens gewesen sei:

Nach der Beschlagnahmung ihrer Website www.letztegeneration.de richteten die Aktivisten unterdessen eine neue Internetpräsenz mit anderer Domain-Endung ein. Nach einem Hinweis, dass die ursprüngliche Seite vom LKA Bayern gesperrt wurde, heißt es dort: "Das staatliche Vorgehen soll einschüchtern, Angst machen. Doch wir können und werden uns nicht erlauben, in dieser Angst zu verharren."

Tatvorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung

Hintergrund der Aktion ist ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft, welches sich den Angaben zufolge gegen insgesamt sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren richtet. Gegen diese werde wegen des Tatvorwurfes der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Das Verfahren wurde der Anklagebehörde zufolge "aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung, die seit Mitte des Jahres 2022 eingingen", eingeleitet.

Konkret wird den Beschuldigten zur Last gelegt, eine Spendenkampagne zur Finanzierung "weiterer Straftaten" für die "Letzte Generation" organisiert, diese über deren Homepage beworben und dadurch mindestens 1,4 Millionen Euro an Spendengeldern eingesammelt zu haben. Das Geld sei auch überwiegend für die Begehung weiterer Straftaten eingesetzt worden, hieß es. Zwei Beschuldigte stehen zudem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.

Bisher keine Festnahmen

Ziel der Durchsuchungen war das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur der “Letzten Generation“, die weitere Aufklärung ihrer Finanzierung sowie die Beschlagnahme von Vermögenswerten. Festnahmen erfolgten bisher nicht, wie das Bayerische LKA in einer Pressemitteilung schreibt. Die Vertreter der Klimaschutz-Initiative "Letzte Generation" blockieren seit rund einem Jahr überall in Deutschland Straßenkreuzungen, indem sie sich an die Fahrbahn kleben, oder machen etwa mit Farbaktionen auf ihre Forderungen aufmerksam.

170 Beamte bundesweit bei Razzien im Einsatz

Betroffen waren Objekte in sieben Bundesländern, konkret in Hessen im Landkreis Fulda, in Hamburg, Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Bayern (Augsburg und München), Berlin und im Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein. Zudem wurde auf Anweisung der Staatsanwaltschaft die Homepage der Gruppe beschlagnahmt und abgeschaltet, wie ein Polizeisprecher sagte. Laut Polizei waren bundesweit etwa 170 Beamte im Einsatz. Die Durchsuchungen verliefen friedlich.

Augsburg und München: Solidaritätsaktionen am Mittwochabend

Aus Protest gegen die bundesweite Razzia versammelten sich am Mittwochabend rund 50 Menschen zu einer Kundgebung auf dem Platz vor dem Staatstheater in Augsburg. Die Polizei war mit einem größeren Aufgebot vor Ort. Auch Ingo Blechschmid, dessen Augsburger Wohnung am Mittwoch durchsucht worden war, war vor Ort und wandte sich mit einer emotionalen Ansprache an die Polizisten. Sie würden sich in einigen Jahren von ihren Kindern fragen lassen müssen, was sie gegen die Klimakrise getan hätten. "Ich habe versucht, meinen Anteil zu leisten", so Blechschmidt.

Ebenfalls zu einer kurzfristigen Solidaritätskundgebung versammelten sich am frühen Mittwochabend am Münchner Friedensengel laut Polizei rund 80 Menschen. Nach rund einer halben Stunde zogen rund 50 Teilnehmer zum Max-Weber-Platz, wo die Kundgebung endete. Nach Polizeiangaben verlief alles friedlich.

Staatsanwältin: Letzte Generation nicht extremistisch

Die Leiterin der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, Gabriele Tilmann, hält die Klimaaktivisten der Letzten Generation derzeit nicht für extremistisch. Im Interview mit der Bayern 2 radioWelt sagte Tilmann: "Die Mitglieder der Letzten Generation begehen zwar laufend Straftaten - und zeigen damit, dass sie zumindest in diesem Bereich die Rechtsordnung nicht akzeptieren - trotzdem scheinen sie aber bislang jedenfalls unseren demokratischen Rechtsstaat nicht in Frage zu stellen. Ich würde sie daher im Moment nicht als extremistisch bezeichnen."

Den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung bei der "Letzten Generation" hält sie hingegen für gegeben: "Um als kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuchs zu gelten, brauche ich eine gewisse Organisationsstruktur, ich brauche ein übergeordnetes, gemeinsames Interesse und eben auch entweder den Zweck der Organisation, Straftaten mit einer gewissen Strafandrohung zu begehen oder eben die Tatsache, dass diese Straftaten einfach Tätigkeit der Organisation sind." Das sehe man bei der Letzten Generation durch die laufende Begehung von verschiedenen Straftaten - wie Nötigung oder gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr - als gegeben an.

"Wir werden jetzt die sichergestellten Unterlagen auswerten - und werden zu dem Ergebnis kommen, ob aus unserer Sicht der Tatnachweis einer kriminellen Vereinigung möglich ist oder nicht", sagte Tilmann. Sollte dies der Fall sein, werde letztlich ein Gericht im Rahmen eines Strafverfahrens zu der endgültigen Bewertung kommen.

Im Video: Interview mit der Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann

Leiterin der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, Gabriele Tilmann
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Leiterin der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, Gabriele Tilmann

Faeser: "Rechtsstaat lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verteidigte zuvor die Razzia: "Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln - so wie es ihre Pflicht ist", sagte sie der Funke-Mediengruppe. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden. "Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln", sagte die SPD-Politikerin.

Deutsche Polizeigewerkschaft hält Durchsuchungen für richtig

Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft hat die Durchsuchungen von Objekten der Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" gutgeheißen. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt am Mittwoch in Berlin. "Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbst ernannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen." Die Gewerkschaft begrüße das konsequente Handeln der bayerischen Justiz.

"Letzte Generation" ruft zu Protestmärschen auf

Die "Letzte Generation" bestritt unterdessen den Vorwurf, kriminell zu sein. Aimée van Baalen, Sprecherin der Aktivisten, forderte bei einer Pressekonferenz alle Bürger dazu auf, sich am nächsten Mittwoch an Protestmärschen in vielen Städten zu beteiligen. An diesem Tag sollte bereits eine Demonstration in Berlin stattfinden. In München hatten sich am Abend rund 80 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung am Münchner Friedensengel versammelt, laut Polizei verlief die Kundgebung friedlich.

"Die 15 Hausdurchsuchungen haben alle Unterstützer hart getroffen. Sie machen uns Angst, aber wir dürfen nicht in dieser Angst verharren", sagte van Baalen. "Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die 'Letzte Generation' für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?", kritisierte die Sprecherin weiter. Die Klimaschutzgruppe wolle weiter Widerstand leisten.

Mit Informationen von dpa und AFP

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