Der Auftritt ist schrill: Blitzlichtgewitter, auf der Bühne fünf Männer in bunten Lack- und Lederuniformen, grell geschminkt, mit aufgeklebten Bärte. Sie machen seltsame Verrenkungen und leiern einen monotonen Text: "Mama hat einen Traktor gekauft - ŠČ! - Mama hat einen Traktor gekauft - ŠČ! - Traj na nina, Amargeddon nona". "Traj na nina" - das heißt erstmal nur so viel wie im Deutschen "Tralala...". In der zweiten Strophe singen sie: "Mama küsste einen Idioten". So weit so verwirrend, doch dann könnte der Refrain etwas Klarheit bringen:
Welchen Idioten küsst Mama?
Wer ist damit gemeint? Die Männer auf der Bühne singen: "Dieser kleine Psychopath, kleiner fieser Psychopath, krokodil-hafter Psychopath, Mama, ich gehe in den Krieg.“
Im Netz wird seit dem ESC-Vorentscheid in Kroatien am Text des Siegerliedes rumgedeutet, was das Zeug hält. "Mama", schreiben viele, stehe wahrscheinlich für "Mütterchen Russland", der Traktor für die in den ehemaligen Sowjetländern bekannte Traktoren-Marke "Belarus".
Putin - das Krokodil?
Die Interpretation: Mütterchen Russland habe also Lukaschenkos Belarus gekauft und der Idiot, den Mama geküsst hat und der Psychopath, für den Mamas Kinder in den Krieg ziehen, das könnte Wladimir Putin sein. Kann sein, muss nicht. Aber es gibt noch einen Hinweis auf Russland. Einer der Performer der Band, der zwei große Plastikraketen über die Bühne trägt, hat "Njinle" auf seiner Stirn geschrieben, ein Anagram für die kroatische Schreibweise von Lenin – "Lenjin" - kroatischer Buchstabensalat: "Njinle".
"Let 3" - Kult in Kroatien
Die Gruppe "Let 3" ist eine kroatische Kultband, die es schon seit den 80er Jahren gibt, eine linke Satire-Punkband aus der Hafenstadt Rijeka. Sie provozieren gern, schon lange. Im erzkatholischen Kroatien treten sie gerne in sexy Netzanzügen auf oder auch schon mal nackt. Und sie haben den populären rechtsextremen kroatischen Volkssänger Thompson auf die Schippe genommen, mit Herumhopserei in kroatischen Trachten.
Satire - erklärt sich selbst?
Dabei weigert sich die Band, ihre Satire zu erklären. Sie selber geben immer ironische Antworten, zum Beispiel auf die Frage, was das der Titel ihres Eurovision-Songs "Mama ŠČ!" bedeutet. Steht das "ŠČ" (gesprochen: "Schtsch... ."), für das russische Alphabet, also für Russland? Damit wäre es für den ESC eigentlich zu politisch und damit nicht zulässig. "Let 3"- Bassist Damir Martinović erklärt das "ŠČ" aber ganz anders.
"Schtsch...uh" auf dem Kopf - so wird ein Schuh draus
Damir - ganz ernst: "Das ist ein Wörtchen, das man in der Meditation benutzt. Du stellst dir einen Schuh auf den Kopf und sagst "ŠČ" - und wenn der Schuh herunterfällt, trinkst du ein Bier, damit sich der Körper beruhigt. Und dann stellst Du den Schuh wieder auf den Kopf und sagst "ŠČ" - und trinkst wieder ein Bier, wenn der Schuh herunterfällt und du wiederholst das Ganze so lange, bis sich der Körper vollständig beruhigt hat."
Peinlich oder große Kunst?
Der Song "Mama ŠČ!" löst in Kroatien geteiltes Echo aus. Während vor allem konservativere Kroaten das Ganze albern und peinlich finden, bejubeln ihn die Musikkommentatoren der großen Medien. Beispiel: Hrvoje Horvat von der Tageszeitung "Večernji List" ("Abendblatt"): "'Let 3' hat gezeigt, dass wir Kroaten in diesem Jahr ein relevantes Lied ins Rennen schicken können. Ein Lied über die Dinge, die passieren und die die heutige Welt interessieren." Oder Aleksandar Dragaš von der Zeitung "Jutarnji List" ("Morgenblatt"): "Vielleicht wurde so viel Staub aufgewirbelt, weil es das ESC-Publikum nicht gewohnt ist, dass so ein Song aus Kroatien kommen kann. Das sehen wir an den Reaktionen auf Youtube." Youtuber kommentieren dieses Lied gerade massenhaft mit Reaction-Videos. Sie finden, den Clip "Mama ŠČ!" von "Let 3" muss man gesehen haben.
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