Ein Teil des internationalen Flughafens von Cherson
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Ein Teil des internationalen Flughafens von Cherson

    Kriegsschäden und Wiederaufbau: Was auf die Ukraine zukommt

    Die Schätzungen gehen weit auseinander, von 350 bis über 1.000 Milliarden Dollar – allein um die bisherigen Schäden in der Ukraine zu beheben. Wirtschaftswissenschaftler haben nun genauer untersucht, wie der Wiederaufbau aussehen könnte.

    "Es ist eine dunkle Stunde für die Menschheit, aber wir müssen darüber nachdenken, wie die Ukraine wiederaufgebaut werden wird, wenn der Krieg zu Ende sein wird." Die Herausgeber der Studie des renommierten "Centre for Economic Policy Research" räumen gleich zu Beginn des knapp 500-seitigen Werks ein, dass es schwerfällt, angesichts des beispiellosen menschlichen Leids und des ungewissen Fortgangs des russischen Zerstörungskriegs Pläne für den Neubeginn zu entwickeln.

    Aus zwei Gründen sei es dennoch entscheidend, die Grundlagen für die künftigen Wiederaufbau-Bemühungen zu debattieren: Dies gebe der ukrainischen Bevölkerung Hoffnung, "die in den denkbar schwierigsten Umständen Mut und Stärke" gezeigt hätten. Und: Die Erfolgschancen des Landes nach Kriegsende seien deutlich höher, wenn jetzt bereits das Fundament für die "Herkules-Aufgabe" gelegt werde.

    Enorme wirtschaftliche Schäden in der Ukraine

    Die Schätzungen der bisherigen, materiellen Schäden, die der zehn Monate andauernde Krieg Russlands gegen die Ukraine verursacht hat, weichen naturgemäß erheblich voneinander ab. Denn mit jedem Tag, den Putin den Krieg fortsetzt, nimmt das Ausmaß an Tod, Leid und Zerstörung zu. Hatten Weltbank, EU-Kommission und die ukrainische Regierung Anfang Juni die Wiederaufbaukosten mit knapp 350 Milliarden Dollar angesetzt, so prognostizierte die Europäische Investitionsbank ebenfalls im Juni die Kosten bereits auf 1,1 Billionen Dollar.

    Geringere Schätzungen seien "vollkommen unrealistisch", gab der Chef der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, gegenüber Bloomberg zu Protokoll. Die ukrainische Privatuniversität "Kyiv School of Economics" bezifferte bereits im September die Kosten der zerstörten Infrastruktur auf 127 Milliarden Dollar. Diese Schätzung umfasste noch nicht die enormen Schäden seit Beginn der flächendeckenden, systematischen Luftangriffe Russlands auf die ukrainischen Energie-, Strom- und Wasserversorgungs-Einrichtungen vor zwei Monaten. Im nationalen Wiederaufbauplan der Ukraine wird geschätzt, dass allein für den energieeffizienten Wiederaufbau Investitionen von 45 bis 55 Milliarden Dollar erforderlich seien.

    Wiederaufbau als "Transformation" in Richtung EU

    Allen offenkundigen Ungewissheiten über den weiteren Kriegsverlauf zum Trotz, plädieren die Herausgeber der Wiederaufbau-Studie ("Rebuilding Ukraine: Principles and policies", Centre for Economic Policy Research) für den Abschied von der Vorstellung, die Ukraine müsse genauso wieder aufgebaut werden wie es vor dem russischen Angriffskrieg. Vielmehr gehe es um "Transformation" der Ukraine zu einem modernen, demokratischen Staat, mit einer rechtstaatlich funktionierenden Justiz und Verwaltung.

    Das endgültige Ziel der ukrainischen Regierung sei die vollständige Mitgliedschaft in der EU und der NATO. Dementsprechend könnten jetzt schon die Weichen für die Annäherung an die Europäische Union gestellt werden. Dies würde unter anderem zum Aufbau von stabilen, staatlichen Institutionen führen und zu "einem niedrigen Korruptionsniveau." Die Ukraine werde nach Kriegsende die Gelegenheit haben, "ihre Infrastruktur, Wirtschaft, Bildungs- und Gesundheitssystem zu modernisieren" und zugleich ihr "politisches System und das Justizwesen."

    Zu blauäugig argumentieren die ukrainischen und ausländischen Wirtschaftswissenschaftler in ihrer Studie nicht: Angesichts der Summen und der Komplexität der Nachkriegs-Aufgaben, sollte eine EU-geführte "Wiederaufbauagentur" errichtet werden, die transparent Aufträge vergeben und strengen Buchhaltungsregeln unterliegen müsse. Wie beim "Marshall-Plan" nach Ende des Zweiten Weltkriegs, so benötige die Ukraine für die Zeit nach dem Krieg eine gemeinsame Behörde für den Wiederaufbau und die Integration in die Europäische Union.

    Öffentliche Gelder werden nicht reichen

    Es sei klar, dass öffentliche Gelder nicht ausreichen würden, um die Ukraine wiederaufzubauen und zugleich zu modernisieren. Private Investoren seien entscheidend. Diese, so argumentiert die Studie, würden allerdings nur das Investitionsrisiko eingehen, wenn es eine Art "Kriegsversicherung" gebe, also die Übernahme der Ausfall-Bürgschaften. Entscheidend für die Nachkriegszeit sei es allerdings, dass die ukrainische Regierung unter Beteiligung der Bevölkerung darüber bestimme, welche Richtung des Land einschlagen will.

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