Es ist möglicherweise der größte Korruptionsskandal im Europäischen Parlament: Die Abgeordneten suchen nach Wegen der Schadensbegrenzung, nachdem übers Wochenende ungeheuerliche Vorwürfe aufgetaucht sind.
Die belgische Staatsanwaltschaft hat zunächst sechs Personen festnehmen lassen, vier von ihnen wurden später in Untersuchungshaft genommen. Ihnen wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Korruption und Geldwäsche vorgeworfen.
Sie sollen Geld und Geschenke angenommen haben, um politischen Einfluss zu Gunsten des Golfstaates und WM-Gastgebers Katar auszuüben. Das Emirat hat das dementiert. Bei Hausdurchsuchungen in Brüssel haben die Ermittler am vergangenen Freitag laut Medienberichten säckeweise Bargeld gefunden, insgesamt 600.000 Euro.
Visa-Erleichterungen auf Eis?
Zu den Beschuldigten zählt Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili, die für die sozialistische Pasok-Partei in Griechenland gewählt wurde. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hat Kaili von ihren Aufgaben entbunden. Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament, zu der auch die SPD gehört, hat die Mitgliedschaft der 44-jährigen ehemaligen Fernsehmoderatorin suspendiert.
Aber das wird nicht reichen - zu groß ist der Imageschaden für die Institution, die sich in Europa als Vorkämpferin im Kampf für Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption sieht. Die Abgeordneten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen am Nachmittag - aus Brüssel und den Wahlkreisen kommend - in Straßburg ein, wo in dieser Woche das Plenum stattfindet.
- Zum Artikel: "EU-Parlament: Barley schockiert über Korruptionsaffäre"
Visa-Erleichterungen für Katar wohl auf Eis
Ein erster und naheliegender Schritt könnte sein, Kaili formell als stellvertretende Präsidentin abzusetzen. Dazu braucht es einen Parlamentsbeschluss. Weiter wird das Parlament wohl geplante Visa-Erleichterungen für Katar auf Eis legen.
Die EU-Kommission hatte im April vorgeschlagen, das Emirat auf die Liste der Länder zu setzen, deren Bürgerinnen und Bürger für Reisen unter 90 Tage in die EU kein Visum brauchen. Der zuständige Parlamentsausschuss hatte die Visa-Erleichterung Anfang Dezember empfohlen, was nun vom Plenum bestätigt werden müsste. Damit ist nicht zu rechnen. Christdemokraten und Grüne haben gefordert, den Prozess zunächst auszusetzen.
Transparenz-Regeln nachschärfen?
Aus den Reihen der Grünen-Fraktion kommen Forderungen, außerdem die Transparenz-Regeln im Parlament zu verschärfen. Die Vorgaben fürs Europäische Parlament sind nach Ansicht von Fachleuten schon vergleichsweise streng.
Geschäftsleute, die mit Abgeordneten ins Gespräch kommen wollen, müssen sich in einem Lobbyregister verzeichnen lassen. Das gilt allerdings nicht für Diplomaten. Politiker von Grünen und CDU verlangen deshalb, die Transparenz- und Lobbyregeln für Drittstaaten und Firmen von dort zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern.
So fordert die Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke, ins Lobbyregister Vertreter aus Drittstaaten wie Katar aufzunehmen. Dies schafft nach Reintkes Ansicht mehr Transparenz, wenn es darum geht, mit wem sich die Abgeordneten in ihrer Funktion als Mitglieder des Europäischen Parlaments treffen.
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