Seit Donald Trump das Amt des US-Präsidenten angetreten hat, verunsichert er Europa und die NATO. Zwar heißt es aus dem US-Sicherheitsrat, Trump bekenne sich nach wie vor zur NATO-Beistandspflicht im Angriffsfall. Doch gleichzeitig setzt Trump die NATO-Mitglieder unter Druck: "Wenn sie nicht zahlen, werde ich sie nicht verteidigen." General Markus Laubenthal ist seit September 2024 Chef des Stabes im militärstrategischen Hauptquartier der NATO. Könnte es am Ende wirklich zum Bruch zwischen den USA und der NATO kommen? BR-Chefredakteur Christian Nitsche hat mit ihm in "7 Fragen Zukunft" gesprochen. (Das vollständige Interview hier im Artikel im Video.)
Christian Nitsche: Herr General Laubenthal, was wäre die NATO wert ohne die Amerikaner, ohne deren Flugzeugträger, ohne ihre Satellitenaufklärung, ohne den amerikanischen Atomwaffenschirm?
General Laubenthal: Wir brauchen die Amerikaner in der NATO, das steht völlig außer Frage. Ich glaube aber auch, dass die Amerikaner Europa brauchen. Ich sehe zumindest keine Tendenzen, dass das infrage gestellt wird. Ich sehe hier aber klar die Erwartungshaltung von amerikanischer Seite, dass die Europäer mehr tun.
Wir haben seit 2014 bereits viel getan, wir haben aber dafür zu lange gebraucht und es war auch nicht schnell und umfassend genug, und ich glaube, das wird jetzt mehr und mehr eingefordert. Das ist keine Neuigkeit unter Präsident Trump, das war unter Präsident Biden und unter Präsident Obama so. Das geht eigentlich zurück bis Präsident Eisenhower. Sie haben es immer gefordert, dass die Europäer mehr für ihre Sicherheit tun müssen. Ich glaube, wir können das, wir können begrenzt Fähigkeiten der Amerikaner kompensieren. Ich glaube, die nukleare Komponente komplett aufzufangen, wird in kurzer Zeit in Europa nicht möglich sein. Aber ich glaube auch nicht, dass das durch die Amerikaner infrage gestellt werden würde, wenn wir in der Lage wären, sie in anderen Bereichen zu entlasten.
Im Video: Hoher NATO-General: Kann Europa Putin standhalten?
"Dürfen nicht Amerika aus Europa herausreden"
Nitsche: Allerdings erlebt man ja, dass Trump oder sein Umfeld immer wieder etwas kommuniziert, zum Beispiel auf der Münchner Sicherheitskonferenz, und dann löst das doch große Zweifel aus, ob diese Beistandspflicht von den Amerikanern eingehalten wird?
Laubenthal: Da gibt es aber keine Signale, die wir aus der amerikanischen Administration hören. Nicht in meinem Hauptquartier unter dem amerikanischen Befehlshaber. Auch nicht vom Generalsekretär der NATO, der sehr intensiv mit Präsident Trump und der Administration Verbindung hält. Wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir jetzt die 32 NATO-Staaten unterminieren und schwächen, indem wir Amerika aus Europa herausreden. Das kann nicht in unserem Interesse sein, das kann auch nicht im amerikanischen Interesse sein.
Nitsche: Da reibt sich Putin die Hände, wenn wir das tun?
Laubenthal: So ist es. Wir haben auch die Möglichkeiten, amerikanische Interessen hier in Europa zu verteidigen und wahrzunehmen. Ich glaube, dass es deswegen auch nicht im amerikanischen Interesse ist, das zu wollen.
"Amerika hat ein Interesse an einem starken Europa"
Nitsche: Ist dieser europäische Pfeiler der NATO für Trump wirklich wichtig?
Laubenthal: Amerika hat ein Interesse an einem starken und stabilen Europa. Amerika hat ein Interesse an dem Einstehen der NATO, der Geschlossenheit der Allianz. Ich glaube, dass ein amerikanisches Interesse sehr darin besteht, ein geschlossenes Europa zu haben, das auch die amerikanischen Interessen in der Lage ist zu vertreten und auch zu verteidigen.
Nitsche: Weil wir Europäer auch Amerika schützen?
Laubenthal: Richtig. Erinnern Sie sich an die einzige "Artikel 5"-Erklärung, die es gegeben hat? Nach dem Angriff auf das World Trade Center und auf das Pentagon, das war ein Tag später. Und diese Art von Geschlossenheit, glaube ich, ist das Zeichen an Solidarität und auch der Beweis, der notwendig ist, um zu sagen, dass dieses Bündnis wertvoll ist. Und ich denke, dieses Vertrauen hat auch die jetzige amerikanische Administration so wie ihre Vorgänger.
Nitsche: Also müssen wir vielleicht den Amerikanern auch immer wieder sagen, dass wir nach dem 11. September den USA sofort geholfen haben?
Laubenthal: Ja, ich glaube, es ist wichtig, dass man daran erinnert. Ich bin mir aber bewusst, dass das viele in der amerikanischen Gesellschaft noch in Erinnerung haben und auch, dass das im amerikanischen Senat und im Kongress eine Rolle spielt.
Nitsche: Können Sie uns am Ende noch verraten, wie Sie in Ihrem Hauptquartier miteinander umgehen, also die Amerikaner mit den Europäern?
Laubenthal: Ja, das ist sehr freundschaftlich […] die militärische Zusammenarbeit basiert auf einer tiefen Vertrauensbasis, die über 75 Jahre NATO-Erfahrung, von amerikanischer wie auch von europäischer Seite, gewachsen ist. Ich glaube, wir sehen in Uniform dem politischen Treiben und den Nachrichten, die sehr häufig morgens über den Atlantik kommen, mit einer gewissen Gelassenheit entgegen. Wir Militärs haben einen alten Grundsatz, der sagt: "Never trust the first report", also man kann sich nie sicher sein, ob die erste Meldung auch wirklich konkret ist. Deswegen schauen wir da mit einer gewissen Gelassenheit drauf.
Nitsche: Danke für das Gespräch.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!