Ukrainische Soldaten nahe Bachmut
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Ukrainische Soldaten nahe Bachmut

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Kampf um ein Symbol: Ukraine will Bachmut nicht aufgeben

Seit Monaten kämpfen ukrainische und russische Truppen erbittert um die ostukrainische Stadt Bachmut, tausende Soldaten starben. Obwohl Bachmut kaum strategische Relevanz hat, hat es für beide Seiten große symbolische Bedeutung.

Die ostukrainische Bachmut ist bereits seit dem vergangenen Sommer heftig umkämpft. Dabei handelt es sich um die bisher am längsten andauernde Schlacht im Ukraine-Krieg, tausende Soldaten beider Seiten sind bereits getötet worden. Experten zufolge ist die Stadt von geringer strategischer Bedeutung, eine Einnahme hätte für Russland demnach vor allem symbolischen Wert.

Ukraine will Stellungen verstärken

Inzwischen ist die Stadt von drei Seiten von russischen Streitkräften umzingelt. Beobachter zweifeln an, ob die ukrainischen Soldaten ihren Widerstand in Bachmut aufrecht erhalten sollten. Die militärische Führung will jedoch nicht aufgeben - im Gegenteil: Kiew kündigte am Montag an, dass die ukrainische Armee ihre Stellungen in Bachmut verstärken werde. Armeechef Walerij Saluschnyj und der Kommandeur der ukrainischen Bodentruppen, Oleksandr Syrskyj, hätten sich bei einem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag für eine "Fortsetzung des Verteidigungseinsatzes" und eine "Stärkung unserer Stellung in Bachmut" ausgesprochen, erklärte das Präsidialamt in Kiew nach Spekulationen über einen möglichen Abzug der ukrainischen Soldaten.

Ukrainischer Offizier: "Die Ukraine hält die Verteidigung"
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Ukrainischer Offizier: "Die Ukraine hält die Verteidigung"

Industriestadt in Trümmern

Bachmut ist eine kleine Industriestadt in der Ostukraine, die für ihre Salzminen bekannt ist. Vor dem russischen Angriff lebten dort etwa 70.000 Menschen. Monatelanger Artilleriebeschuss legte große Teile der Stadt in Schutt und Asche und zwang die Bewohner zur Flucht. Die wenigen tausend verbliebenen Bewohner verstecken sich in Kellern. Ukrainische und ausländische Freiwillige riskieren ihr Leben, um sie zu versorgen.

Im Kampf um die Stadt schicken die russische Armee und die Söldnergruppe Wagner schlecht ausgebildete Rekruten in Wellen an die Front, wie ukrainische Soldaten berichten. Die jungen Männer würden als "Kanonenfutter" in den Tod geschickt. Auch auf ukrainischer Seite sollen viele Soldaten ums Leben gekommen sein. Westliche Quellen schätzen, dass jeden Tag hunderte Soldaten im Kampf um die Stadt verwundet oder getötet werden.

Kritik aus der ukrainischen Armee

Bisher hält die ukrainische Armee den russischen Angreifern zwar noch stand, am Sonntag hatte das in den USA ansässige Institute for the Study of War (ISW) aber erklärt, das ukrainische Oberkommando werde wahrscheinlich eher aus Bachmut abziehen als eine vollständige Einkreisung zu riskieren. "Die ukrainischen Kräfte könnten sich, angesichts der durch Bilder mit Geolocation bestätigten Zerstörung der Eisenbahnbrücke über den Fluss im Nordosten von Bachmut am 3. März, von ihren Positionen am Ostufer des Bachmutka-Flusses zurückziehen", schrieb das ISW.

Auch aus der ukrainischen Armee wurden zuletzt Forderungen laut, Bachmut besser aufzugeben, um Leben zu retten. "Wir sollten unsere Leute rausholen", sagte ein Soldat der Zeitung "Kyiv Independent", ansonsten werde es in den nächsten Wochen "schlimm". Kämpfer kritisieren dem Bericht zufolge zudem, dass es an Munition und Ausrüstung fehle. Zudem seien viele Soldaten in Bachmut schlecht ausgebildet, sie würden bereits nach kurzem Training an die Front geschickt.

Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Keine strategische Bedeutung

Experten messen Bachmut nur wenig oder gar keine strategische Bedeutung zu. "Der Kampf um Bachmut hat enorme militärische und menschliche Ressourcen verschlungen", sagt der frühere australische Generalmajor Mick Ryan von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. "Diese Investitionen stehen in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Stadt".

Beide Seiten hätten sich auf die Stadt fixiert, was aber nur dazu geführt habe, "ihr Potenzial gegenseitig zu schwächen", sagt der belgische Militärexperte Joseph Henrotin. Doch sei Bachmut "nur ein Teil des Puzzles. Ihr Fall ist bedeutungslos, wenn die anderen Stellungen halten." Die Einnahme des Ortes könnte es den Russen ermöglichen, nach Westen in Richtung Kramatorsk vorzudringen. Kramatorsk jedoch sei gut verteidigt, sagt Henrotin.

"Strategisch gesehen ist Bachmut von geringer Bedeutung, da die Russen die Stadt mit ihrer Artillerie vollständig zerstört haben", räumte selbst der ukrainische Präsident Selenskyj im Februar in einem Interview mit der französischen Zeitung "Le Figaro" ein.

Symbolischer Kampf

Je länger die Schlacht um Bachmut dauerte, desto größer wurde die symbolische Bedeutung der Stadt. Selenskyj besuchte sie im Dezember und sprach von der "Festung Bachmut". Für Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin ist die Einnahme der Stadt ein beinahe persönliches Ziel, das die Bedeutung seiner Söldner beweisen würde.

Eine Eroberung Bachmuts bedeute "einen dringend benötigten Sieg für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Armee", sagt Ex-Generalmajor Ryan. Thibault Fouillet von der französischen Denkfabrik Fondation pour la Recherche Stratégique weist darauf hin, dass es der erste Sieg Moskaus seit den erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensiven im Herbst wäre. Die Stadt sei "ein echtes Symbol - für die Ukrainer und die Russen gleichermaßen", sagt er.

Schauplatz russischer Rivalitäten

Der Kampf um Bachmut hat die Rivalität zwischen dem russischen Verteidigungsministerium und Wagner-Chef Prigoschin zutage gebracht. Ende Februar warf Prigoschin dem Verteidigungsministerium vor, militärische Fortschritte in der umkämpften Stadt zu behindern, weil es seinen Söldnern nicht genügend Munition liefere. "Prigoschin hat ein Problem damit, sich mit der Nische zu begnügen, die Putin für ihn vorgesehen hat. Er ist der Meinung, der Kreml sollte ihm ein größeres Mandat geben", sagt die Politologin Tatjana Stanowaja von der US-Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace und prognostiziert, dass die Spannungen zwischen Prigoschin und dem Ministerium noch zunehmen werden.

Mit Informationen von AFP und dpa.

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