Die Ampel-Bundesregierung ist zu einer Klausur auf Schloss Meseberg bei Berlin zusammengekommen.
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Die Ampel-Bundesregierung ist zu einer Klausur auf Schloss Meseberg bei Berlin zusammengekommen.

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Kabinett in Klausur: Die Problempaare der Ampel

Das Kabinett zieht sich zur Klausur zurück. Die Themen: Zeitenwende, Energie, künstliche Intelligenz. Vielleicht löst das einige Konflikte. Denn die Koalition hat sich in vielen Punkten völlig verkeilt. Drei Paarungen zeigen das besonders deutlich.

Die selbst erklärte Fortschrittskoalition hat sich im Regierungsalltag verheddert. Aktuell ringen SPD, Grüne und FDP darum, wofür künftig Geld ausgegeben wird. Auf der Wunschliste der Ministerinnen und Minister stehen unter anderem: Kindergrundsicherung, Bundeswehr, Aktienrente.

Kabinettsklausur als Paartherapie?

Was der eine unbedingt will, hält der andere für nicht so wichtig. Und der dritte hat wieder ganz andere Prioritäten. Bestes Beispiel: schnellere Planungen. Die Grünen wollen vor allem für Windräder, Stromnetze und Schienen den Turbo zünden. Die FDP mahnt, den Straßenausbau nicht zu vergessen. Die SPD steht irgendwo dazwischen.

Die Kabinettsklausur im Gästehaus der Bundesregierung im brandenburgischen Schloss Meseberg kann möglicherweise helfen, ein paar Knoten in der Koalition zu lösen – und so etwas wie eine Paartherapie werden.

Wortkarger Wolkentexter und wortreiche Klartexterin: Scholz und Baerbock

Sie könnten das Dream-Team der Bundesregierung bilden: Annalena Baerbock und Olaf Scholz. Sie, die emotionale, wortreiche Klartexterin, er, der rationale, wortkarge Wolkentexter. Der Kanzler und seine Außenministerin könnten sich also hervorragend ergänzen. Nur tun sie das nicht.

"Wir treiben uns nicht zum Wahnsinn", sagte Baerbock diese Woche in einem Interview. Aber die Grenze zum Wahnsinn scheint manchmal auch nicht sehr weit weg zu sein. Allzu leicht und flockig läuft es nicht zwischen den beiden. Oder wie es die Außenministerin diplomatisch ausdrückt: "Reibung erzeugt bekanntlich auch immer Wärme und deswegen ist es gut, dass wir bei schwierigen Fragen intensiv miteinander diskutieren."

Wer bestimmt die Außenpolitik?

Nun war Außenpolitik schon immer auch Chefsache, aber in der zeitengewendeten Welt, in der so vieles um den Ukraine-Krieg kreist, fallen die Dissonanzen zwischen dem Kanzler und seiner Außenministerin besonders ins Gewicht. Während Baerbock forsch auf Waffenlieferungen für die Ukraine drängt, bleibt Scholz bei seinem Stil – der das Gegenteil von forsch und stürmisch ist. Der Kanzler rühmt sich selbst dafür, in schwierigen Zeiten die Nerven zu behalten. Das sei sein Versprechen an die Menschen.

Abseits der Temperamente liefern sich Kanzler und Außenministerin auch ein Fernduell um die Oberhoheit in der Außenpolitik. Zuletzt bei der Ausarbeitung der Nationalen Sicherheitsstrategie. Federführend dabei: das Außenministerium. Das Kanzleramt aber mischt kräftig mit und will mehr Kompetenzen. Die Folge: Die Strategie stockt.

Opposition sieht eine Schwächung Deutschlands

Außenpolitik aus einem Guss hatte man sich im Koalitionsvertrag vorgenommen – die Opposition nimmt die Differenzen zwischen Baerbock und Scholz gerne auf. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen attestiert: "Zwischen Kanzler und Außenministerin wird nicht die gleiche Politik betrieben – und das schwächt Deutschland."

Offene Konfrontationen zwischen dem Sozialdemokraten und der Grünen gibt es allerdings nicht, im Gegenteil. Bei der jüngsten Regierungserklärung zur Zeitenwende vielmehr ein ostentativer Schulterschluss des Kanzlers: "Ich bin Annalena Baerbock sehr dankbar für ihr intensives Werben im Vorfeld dieser Sitzung." Die Außenministerin bekam das aber nicht mit. Sie war schon zum G20-Treffen nach Indien abgeflogen. Wenige Tage davor war der Kanzler dort.

Öffentliche Wertschätzung und kleine Lästereien

Die öffentliche zur Schau getragene Wertschätzung hält die beiden jedenfalls nicht davon ab, hinter vorgehaltener Hand gelegentlich zu lästern. Treiben sie sich gegenseitig also langsam doch in den Wahnsinn, Frau Baerbock? "Wie in jeder guten Ehe würde ich fast sagen", antwortet sie im Interview.

Beide werden nicht aufhören, sich auf ihrem jeweiligen Feld zu profilieren: Baerbock hat ihre Kanzlerinnen-Ambitionen längst nicht aufgegeben, und Olaf Scholz keinerlei Absicht, die Schlüssel für das Kanzleramt so schnell herauszurücken. Das macht die Aussichten für eine geschmeidige Zusammenarbeit unter Zeitenwende-Vorzeichen nicht rosiger.

Mehr Konkurrenten als Kollegen: Habeck und Lindner

Wie gut arbeiten Christian Lindner und Robert Habeck zusammen? Eines verbindet die beiden jedenfalls von Anfang an: die Konkurrenz. Sie scheint sich wie ein roter Faden durch ihr Verhältnis zu ziehen – vom Kampf um das Finanzministerium während der Regierungsbildung bis zum vorläufigen Höhepunkt vor wenigen Wochen in Form eines Briefwechsels.

Streit um den Bundeshaushalt 2024

Aus dem vertrauten "Du" zwischen dem Grünen-Politiker und dem Liberalen wird in einem Schreiben von Habeck an Lindner ein "Sehr geehrter Herr Kollege" und damit ein "Sie". Es geht um den Bundeshaushalt 2024. Robert Habeck und die anderen grünen Kabinettsmitglieder drängen auf die Finanzierung verschiedener Ampel-Vorhaben.

Der Finanzminister lässt sich allerdings nicht beirren und schreibt dem ebenfalls "sehr geehrten Herr Kollegen": Stellvertretend für die von der FDP geführten Ministerien "darf ich feststellen, dass Steuerbelastungen oder sonstige strukturelle Mehrbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger oder die Wirtschaft vom Koalitionsvertrag ausgeschlossen sind".

Auf die Frage, warum der Wirtschaftsminister ihm dennoch schreibe, antwortete Lindner in der ARD: "Das weiß ich nicht." Was viele im politischen Berlin aber wissen wollen: Es soll kein Zufall gewesen sein, dass die Briefe an die Öffentlichkeit gelangten. Es ist ein Streit auf öffentlicher Bühne mit klaren Botschaften an die jeweils eigenen Anhänger.

Keine höheren Steuern, keine höheren Schulden

Vor allem Christian Lindner – trotz Ministeramt weiterhin FDP-Chef – weist in regelmäßigen Abständen auf die "liberalen Leitplanken" in der Koalition hin: "Schuldenbremse bleibt erhalten, keine Steuererhöhungen." Innerhalb dieser Leitplanken könne man sprechen. Doch meist wird nicht mit einer Stimme gesprochen. FDP und Grüne sind bei vielen Themen weit voneinander entfernt. Das spiegelt sich auch im Verhältnis Lindner und Habeck wider.

Schon in früheren Debatten spielten der Finanz- und der Wirtschaftsminister in unterschiedlichen Teams – als es beispielsweise um Entlastungen in der Energiekrise, die Gasumlage oder um eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ging.

Opposition: Habeck und Lindner wie Tom und Jerry

Oppositionspolitiker wie Jens Spahn spotten: "Habeck und Lindner – das ist eher wie Tom und Jerry, wie Katz und Maus."

Doch es gibt auch andere Szenen: der Finanzminister- und der Wirtschaftsminister gut gelaunt auf der Regierungsbank im Bundestag. Sie lachen, klopfen sich auf die Schultern, zeigen sich als ein Team. Alles nur Show? Der kumpelhafte Umgang, wenn die Kameras laufen, kann über die Gräben und den Konkurrenzkampf hinter den Kulissen jedenfalls nicht hinwegtäuschen.

Die unnachgiebigen Juristen: Faeser und Buschmann

Nancy Faeser und Marco Buschmann sind beide Juristen. Beide sehen das Recht auf ihrer Seite – im Fall der Vorratsdatenspeicherung den Koalitionsvertrag. Die Frage ist: Welche Daten dürfen Ermittler speichern, um schwere Verbrechen zu verfolgen.

Innenministerin Faeser von der SPD will das große Besteck: Telekommunikationsanbieter sollen alle IP-Adressen ihrer Kunden speichern. So könnten Ermittler leichter herausfinden, wer was im Internet macht. Die 52 Jahre alte Mutter begründet das immer wieder mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt. Das habe für sie "höchste Priorität".

Faeser ist im Wahlkampf

Sie gibt sich nahbar und sieht sich als Frau der Tat. Mit ihrer Arbeit in Berlin will sie auch im Wahlkampf in Hessen glänzen und dort Ministerpräsidentin werden. Als Faeser ihre Kandidatur erklärt und für die Doppelrolle viel Kritik einstecken muss, verteidigt Buschmann sie in einem Tweet. Engste Kollegen sind beide nicht, aber selbst im kleinen Kreis fällt kein schlechtes Wort übereinander.

Der Justizminister sieht sich als oberster Verteidiger der Bürgerrechte – und neigt dabei zum Monolog. Wenn er über die liberale Demokratie und die Verteidigung der Grundrechte redet, klingt es manchmal wie im Hörsaal.

Buschmann sieht sich im Vorteil

Der FDP-Mann will, dass Ermittler nur bei einem konkreten Verdacht Daten speichern dürfen – deutlich weniger als Faeser. Die Grünen sieht er dabei an seiner Seite.

Buschmann gehört zum engsten Führungszirkel um FDP-Chef Lindner. Der 45-Jährige sitzt beim Koalitionsausschuss regelmäßig mit am Tisch – anders als Faeser. Er ist sich deshalb sicher, dass sich dort seine Position durchsetzen wird.

Mieterschutz als Druckmittel?

Buschmann führt ein eher unscheinbares Ministerium. Aber praktisch alle Gesetzesvorhaben der Ampel gehen über seinen Schreibtisch. Und dieser Macht ist sich der Justizminister bewusst.

Schon länger macht zum Beispiel die SPD Druck: Der vereinbarte Mieterschutz muss endlich her – inklusive einer längeren Mietpreisbremse. Doch Buschmanns Gesetzentwurf lässt auf sich warten. Wie du mir – so ich dir. Faesers Vorschläge für ein strengeres Waffenrecht hält Buschmann für überflüssig.

Faeser zeigte sich im Herbst zuversichtlich, dass sie und Buschmann sich in den nächsten Wochen über die Vorratsdatenspeicherung einigen werden. Noch ist das aber nicht in Sicht. Die beiden Juristen Faeser und Buschmann bleiben hart.

Brandenburg, Meseberg: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD - M), Robert Habeck (Grüne -r), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP).
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Kay Nietfeld

Ampel-Koalition im Stresstest (Archivbild)

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