Serbischer Journalist, sitzt auf Treppe
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Milan Jovanović, Journalist beim serbischen Portal Žig Info

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Journalismus in Serbien: "Wer gibt Dir das Recht, zu berichten?"

Unabhängiger Journalismus in Serbien steht unter Druck. "Reporter ohne Grenzen" bemängelt, der Staat nehme einen großen Einfluss auf die Medien, Journalisten würden bedroht. Der Investigativ-Journalisten Milan Jovanović überlebte drei Mordversuche.

Unabhängiger Journalismus in Serbien unter Druck

"Die Pressefreiheit in Serbien ist noch nicht ganz erstickt worden. Du kannst schreiben was du möchtest, aber es gibt keine Garantie, dass du das überlebst." Milan Jovanović, Journalist beim serbischen Portal Žig Info

"Auf mich gab es drei Mordversuche"

Dass Milan Jovanović noch lebt, hat er seiner Frau Jela zu verdanken. In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 2018 entwickelt sie ungeahnte Kräfte und schleppt ihren Mann aus den Flammen ins Freie. Mitten in der Nacht wirft ein Mann einen Molotowcocktail durch die Garage, die mit dem Haus der Jovanovićs verbunden ist. Das Auto fängt Feuer, die Flammen breiten sich blitzschnell aus und innerhalb kurzer Zeit steht das einstöckige Haus in Vrčin in der Gemeinde Grocka in Flammen und teilweise herrschen bis zu 1.300 Grad. Als der Anschlag erfolgt, schläft Milan Jovanović im Erdgeschoss, angeschlossen an sein Atemgerät. Er verliert in dem giftigen Rauch das Bewusstsein. Nachdem ihn seine Frau gerettet hat, kommt er ins Krankenhaus, die Feuerwehr löscht das Feuer und die Polizei beginnt mit Ermittlungen. Die Jovanovićs können nur das nackte Leben retten und stehen nach dem Brandanschlag vor dem Nichts. Küche, Betten, Bad, Decken, Kleidung – alles ist verbrannt, die Hauswände, die Möbel, alles ist rabenschwarz. "Es war der dritte Mordversuch", erzählt Milan Jovanović. Der ruhig wirkende Mann Anfang 70 schreibt für das serbische Portal Žig Info, das 2015 gegründet wurde und investigativ arbeitet.

Ex-Gemeindepräsident nach Brand in erster Instanz verurteilt

Nach dem Brandanschlag wird Dragoljub Simonović festgenommen. Bis März 2019 Gemeindepräsident in Grocka bei Belgrad und einflussreicher Kommunalpolitiker. Ein Belgrader Gericht verurteilt ihn am 23. Februar 2021 in erster Instanz – nicht rechtskräftig – wegen Anstiftung zur Brandstiftung zu vier Jahren und drei Monaten Gefängnis. Ein mitangeklagter Polizist bekam vier Jahre Gefängnis, laut Gericht hat er den mutmaßlichen Brandstifter über einen weiteren Mann vermittelt. Der Brandstifter ist auf der Flucht und wurde in Abwesenheit zu vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Simonović hält den Prozess für politisch motiviert und sein Anwalt kündigte nach dem Urteil Berufung an.

"Hier handelt es sich offensichtlich um einen konstruierten Prozess, seitens polizeilicher Strukturen und der Staatsanwaltschaft..." Dragoljub Simonović, ehemaliger Gemeindepräsident von Grocka

Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre gefordert und auch sie will berufen. Der Fall wird von unabhängigen Medien in Serbien aufmerksam verfolgt. Dragoljub Simonović war auch hoher Funktionär der regierenden Fortschrittspartei (SNS) des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Inzwischen legte der Ex-Gemeindepräsident seine Parteiämter zurück. Parteichef Vučić hatte die Festnahme des Kommunalpolitikers zwar begrüßt, doch auch er übt immer wieder unverhohlen Druck auf unabhängige Medien und Journalistinnen und Journalisten aus. Hinzu kommen wirtschaftliche Abhängigkeiten – etwa durch das Verteilen staatlicher Inserate – und Drohungen in regierungsnahen Medien.

"Ich habe vor Žig Info in Belgrad mit einigen Medien zusammengearbeitet und ihnen meine Recherchearbeiten gegeben. Einige wurden inzwischen von der regierenden Partei gekauft, ich nenne sie jetzt nicht. Sie wurden zu Pressesprechern der Serbischen Fortschrittspartei." Milan Jovanović, Žig Info

Milan Jovanović steht seit dem Brandanschlag rund um die Uhr unter Polizeischutz. In Städten wie Belgrad oder Novi Sad ist unabhängiger Journalismus riskant, doch Recherchen in kleinen Gemeinden wie Grocka sind oft ungleich schwieriger. Während der Recherchen rund um Dragoljub Simonović wurde Milan Jovanović von diesem persönlich bedroht und direkt und indirekt bei Recherchen behindert. Auch der Chefredakteur von Žig Info, Željko Matorčević, wurde etwa zwei Monate vor dem Brandanschlag auf das Haus der Jovanovićs zusammengeschlagen. In seinem Fall verliefen die Ermittlungen im Sand. Jovanović war früher Polizist in Belgrad und ging im Jahr 2000 in den Ruhestand. Dann wandte er sich investigativen Recherchen zu.

"Wenn ich als Polizist Straftaten ermittelt habe, hatte ich es viel leichter. Der investigative Journalismus ist viel schwieriger. Niemand steht hinter Journalisten, die etwas recherchieren." Milan Jovanović, Žig Info

Veruntreuung von Millionen Euro

"Wir beschäftigen uns mit Politikern, denen Bürger bei Wahlen ihr Vertrauen gegeben haben", so Milan Jovanović. Ein Vertrauen, das mit Füßen getreten werde, da Politiker öffentliche Gelder in ihre Tasche stecken würden. Laut Žig Info wurde auch Dragoljub Simonović in wenigen Jahren steinreich, mit Hilfe eines intransparenten Firmen- und Subfirmennetzes, das alle Aufträge der Gemeinde Grocka bekommen habe. Etwa den lukrativen Gasnetzausbau der Gemeinde. Milan Jovanović und seine Kollegen förderten die Veruntreuung von vielen Millionen Euro zutage: "Wir haben unter anderem Anzeige wegen Veruntreuung von 24 Millionen Euro erstattet, sowie wegen Veruntreuung von 29.360.000 Euro. Den Anzeigen haben wir auch Beweise beigefügt. Wir haben ein gerichtliches Verfahren erwartet, aber bis zum heutigen Tag ist nichts passiert." Dabei habe inzwischen auch die Gemeinde Grocka die Recherchen von Žig Info überprüft und bestätigt. Stattdessen bekamen die Rechercheure Schwierigkeiten. Milan Jovanović wurde der Wasseranschluss, sowie der Anschluss an die Kanalisation gekappt. 37 Mal sei die Bauinspektion gekommen, um sein Haus abzureißen. Dragoljub Simonović behinderte Milan Jovanović direkt bei Recherchen, die mit ihm zu tun hatten.

"Als er (Anm. Simonović) mich sah, nahm er einen großen Holzbalken, nahm Anlauf und wollte mich am Kopf treffen. Zum Glück stellte sich seine Frau davor und verhinderte das mit der Hand. Er sagte, er werde meinen Schädel zerschlagen, um zu sehen, ob ich überhaupt ein Hirn habe und fragte, wer mir das Recht gegeben habe, über ihn zu schreiben." Milan Jovanović, Žig Info, über einen Vorfall im Jahr 2015

Als Milan Jovanović einmal auf seiner Terrasse sitzt, nähert sich ein junger Mann. Dieser teilt ihm mit, der Gemeindepräsident habe seine Ermordung in Auftrag gegeben. Nach ihm sei Željko Matorčević an der Reihe. “Wir gingen sofort zur Polizei und meldeten alles. Bis zum heutigen Tag hat uns niemand informiert, was aus dieser Anzeige wurde. Der Polizeichef in Grocka ist ein persönlicher Freund von Dragoljub Simonović.“, erzählt Jovanović von diesem Fall, den er als Mordversuch wertet.

Mehrere Kilo Beweise sind noch da

Durch den Brandanschlag sollten die Unterlagen vernichtet werden, ist Milan Jovanović sicher. „Sie schafften es nicht, fast 90% sind noch da,“ meint er. Er sitzt am Wohnzimmertisch und blättert durch einen Stapel seiner Recherche-Akten. Sie wurden durch die Flammen teilweise rabenschwarz verkohlt, überstanden das Feuer aber durch einen Zufall. Dokazi – Beweise, steht auf einem blauen Ordner, den Milan Jovanović aus einem kleinen Schrank zieht. Es sind aussagekräftige Papiere. Zum Beispiel eine Liste mit Namen, die an die regierende Fortschrittspartei SNS gespendet hätten. Hinter allen Namen steht gleiche Summe, 40.000 serbischen Dinar (umgerechnet rund 340 Euro). Dies weckt Zweifel, ob diese Spenden freiwillig waren. Žig Info hat auch umfassend über gefälschte Diplome recherchiert. Ergebnis: In Serbien soll es mindestens 26.000 nicht korrekte Diplome geben. Eine Fakultät soll sich formal sogar in der Gemeinde Grocka befunden haben. Viele der falschen Abschlüsse seien auf dem Papier von der Universität Prishtina (mit Sitz in Nord-Mitrovia) ausgestellt. Wie die Hintergründe der falschen Diplome aussehen, hätten sie nicht weiter recherchiert.

"Was sollen wir erwarten, wenn Orbán das in der EU kann?"

Journalisten wie Milan Jovanović werden direkt unter Druck gesetzt und mit dem Tode bedroht. Doch auch über Strukturen kann man die Unabhängigkeit von Medien untergraben. Zurzeit fürchtet der Fernsehsender N1 um seine Zukunft. N1 ist für seine politisch unabhängige Berichterstattung bekannt. Und damit eine Seltenheit in Serbien – sagt Željko Bodrožić, Präsident des Unabhängigen Journalistenverbands Serbiens NUNS:

"Wir sehen schon seit Jahren, dass die Mehrheit der Medien die schlimmste Propaganda zugunsten Aleksander Vučićs und des Regimes bringt. Während N1 und seit Neustem auch Nova bemüht sind, den Bürgern das, was in der Realität passiert, so gut und so professionell wie sie können zu zeigen." Željko Bodrožić, Präsident des Unabhängigen Journalistenverbands Serbiens NUNS

Unabhängige Berichterstattung ist in Serbien schwierig. Und auch Mitarbeiter von N1 beklagen sich seit dem Sendestart regelmäßig darüber, diskreditiert, behindert und bedroht zu werden. Aktuell macht den N1-Mitarbeitern ein geplanter Deal auf dem serbischen Kabelnetzmarkt Sorgen. Sie fürchten, dass sie auf diese Weise vom Markt gedrängt werden sollen. Igor Božić ist geschäftsführender Produzent von N1. Er formuliert das so: "Der Markt wird als Ausrede für die Politik benutzt."

Ein wichtiger Akteur bei dem anvisierten Deal: Die staatliche Telekom, der größte Telekommunikationsanbieter des Landes, der auch Teile des Kabelnetzes besitzt. Telekom will sich nun mit dem Unternehmen Telenor des tschechischen Milliardärs Petr Kellner auf dem serbischen Kabelnetzmarkt zusammenschließen. Ein internes Papier der serbischen Telekom gelangte an die Öffentlichkeit. Es formuliert unter anderem ein Ziel des geplanten Deals, das aufhorchen lässt: die "ultimative Zerstörung" des Mitbewerbers SBB – des Kabelnetzbetreibers, über den die unabhängigen Sender Nova und N1 zu empfangen sind. Der Plan könnte aufgehen – fürchtet Igor Božić von N1:

"Wir werden dann keinen normalen und gleichberechtigten Wettbewerb am Markt führen können, wenn jemand absolut alle Mittel des Staates mit der Absicht verwendet, bestimmte Medien zu zerstören." Igor Božić von N1:

Die Formulierung aus dem internen Papier hat die staatliche Telekom nicht dementiert. Sie bleibt dabei – der geplante Zusammenschluss sei rein wirtschaftlicher Natur und soll den Wettbewerb am Markt sogar stärken. So ähnlich äußert sich auch das Unternehmen Telenor. Wirtschaftsprofessor Petar Đukić war bis 2010 Mitglied der serbischen Kommission für den Konkurrenzschutz – also des serbischen Kartellamtes. Aus seiner Sicht ist die Sachlage klar:

"Hier gibt es nichts mehr zu beweisen oder zu analysieren. Es existiert ein Dokument mit Unterschrift. Authentisch? Ja. Und darin steht, das Ziel des Deals sei die Zerstörung eines Dritten – er soll verdrängt werden und in Serbien für alle Zeit nicht mehr funktionieren. Das ist aus der Sicht eines Wettbewerbshüters absolut ausreichend, um von Amts wegen "Stop" zu sagen." Wirtschaftsprofessor Petar Đukić

Ob die serbische Kartellbehörde den Deal stoppen wird, ist offen. Željko Bodrožić bedauert das. Der Präsident des Unabhängigen Journalistenverbands NUNS sagt, dass in Serbien auf dem Papier zwar so etwas wie eine Medienvielfalt existiere. Doch praktisch alle reichweitenstarken Sender seien direkt oder indirekt unter der Kontrolle der regierenden Fortschrittspartei von Präsident Aleksander Vučić oder Geschäftsleuten mit guten Kontakten zur Regierung. Unabhängige Sender wie N1 würden da nur stören.

"Ihre Tendenz ist, den Medienbereich komplett zu beherrschen. Es ist offensichtlich, dass der Staat mit Telenor einen Partner gefunden hat, der dazu bereit ist – das sehen wir in Tschechien, der Slowakei und in Ungarn – mit den Mächtigen zusammenzuarbeiten und eine Illusion von Demokratie und Medienpluralismus zu schaffen." Željko Bodrožić, Präsident des Unabhängigen Journalistenverbands Serbiens NUNS

Serbien ist seit 2012 EU-Beitrittskandidat und bekommt aus Brüssel regelmäßig schlechte Bewertungen in Sachen Presse- und Medienfreiheit. Aus der EU-Kommission heißt es nun, dass man den geplanten Zusammenschluss der staatlichen Telekom mit dem Unternehmen Telenor mit Blick auf die Pressefreiheit in Serbien genau beobachte. Und auch die Organisation Reporter ohne Grenzen zeigt sich besorgt. Doch mahnen und warnen könnte nicht ausreichen, fürchten viele in Serbien – auch Željko Bodrožić vom Journalistenverband NUNS.

"Unsere Sorge: Wenn Orbán so etwas in der EU machen kann – was sollen wir dann erwarten, die wir erst an der Schwelle zur EU stehen." Željko Bodrožić, Präsident des Unabhängigen Journalistenverbands Serbiens NUNS

Pressefreiheit in Serbien

    Die Organisation Reporter ohne Grenzen führt Serbien auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 93 von insgesamt 180 Staaten. (Hier eine kleine Auswahl zum Vergleich: Deutschland: Platz 11, Norwegen: Platz 1, Bosnien und Herzegowina: Platz 58, Kroatien Platz: 59, Ungarn: Platz 89, Bulgarien: Platz 111). Bemängelt wird von der Organisation, dass Journalistinnen und Journalisten in Serbien bedroht und unter anderem auch von Regierungsvertretern verleumdet würden und dabei weder auf Sicherheit, noch auf Schutz durch den Staat zählen könnten. Außerdem sei der Medienmarkt sehr stark konzentriert und der Staat übe als größter Geldgeber und Werbekunde großen Einfluss auf die Berichterstattung aus.