Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich am Donnerstag mit einer Straftat befasst, die deutsche Gerichte nur selten behandeln - Versklavung. Über den Fall der deutschen IS-Rückkehrerin Jennifer W. verhandelte der dritte Strafsenat in Karlsruhe. Die Anhängerin der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) soll im Irak tatenlos dabei zugesehen haben, wie ihr Mann ein fünfjähriges jesidisches Mädchen in sengender Sonne festband. Das Kind starb.
Zehn Jahre Freiheitsstrafe in minderschwerem Fall
Das OLG München sprach Jennifer W. in dem Fall im Oktober 2021 unter anderem eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren.
Das Münchner Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass Jennifer W. tatenlos dabei zusah, wie ihr damaliger Ehemann das jesidische Kind qualvoll sterben ließ. Das Mädchen sei wehrlos und hilflos der Situation ausgesetzt gewesen. Die Angeklagte habe nichts unternommen, um dem Kind zu helfen - obwohl ihr das "möglich und zumutbar" gewesen sei. Zudem habe sie der Mutter der Fünfjährigen später - als diese um ihr Kind weinte - gedroht, sie zu erschießen, wenn sie nicht aufhöre.
Die Richter gingen aber zugleich von einem minderschweren Fall aus, weil die Angeklagte nur eingeschränkte Möglichkeiten gehabt habe, die Versklavung des Kindes und seiner Mutter zu beenden und sie erst sehr spät erkannt habe, dass das Mädchen sterben könnte.
Bundesanwaltschaft sieht keine strafmildernden Gründe
Gegen das Urteil legten sowohl der Generalbundesanwalt und die 31-Jährige Revision ein. Die Bundesanwaltschaft hatte vor dem Oberlandesgericht eine lebenslange Haftstrafe gefordert - die Verteidigung eine maximal zweijährige Haftstrafe mit der Argumentation, W. dürfe nur wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden.
Verhandelt wird in Karlsruhe allerdings zunächst nur über den Antrag der Bundesanwaltschaft, der sich auf die Höhe der Strafe bezieht. Vor dem BGH forderte die Bundesanwaltschaft nun erneut ein härteres Urteil. Das Oberlandesgericht München hätte bei der Strafzumessung nicht von strafmildernden Gründen ausgehen dürfen, sagte der Vertreter der Anklagebehörde in Karlsruhe. Der BGH solle die zehnjährige Freiheitsstrafe aufheben.
Unmittelbar nach dem Münchner Urteilsspruch hatte Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwältin Claudia Gorf, noch erklärt, man könne mit dem Urteil leben. "In so einem Verfahren geht es nicht um Sieg oder Niederlage. Hier geht es darum, die Schuld einer Angeklagten festzustellen", sagte sie: "Für mich ist vor allem entscheidend, dass eine Tat, von der niemand mehr geglaubt hat, dass sie noch aufgeklärt wird, heute in einem strafrechtlichen Verfahren aufgeklärt wurde."
Verteidiger hofft, dass das Münchner Urteil bleibt
Die Verteidigung hatte vor dem Oberlandesgericht eine maximal zweijährige Haftstrafe gefordert. Aus ihrer Sicht sollte Jennifer W. lediglich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden. Der Anwalt von Jennifer W., Ali Aydin, sagte auf Anfrage von BR24, es gebe "nur wenige vergleichbare Verfahren, in denen es um Sklaverei geht. Wir hoffen, dass die Revision der Bundesanwaltschaft keinen Erfolg hat und der Bundesgerichtshof das Urteil hält."
Über die Revision der Frau, die seit ihrer Festnahme in Deutschland bereits viereinhalb Jahre abgesessen hat, wird der BGH separat entscheiden. Er könnte auch in diesem Fall eine Verhandlung ansetzen, das ist aber - anders als bei einer Revision der Bundesanwaltschaft - keine Pflicht. In beiden Fällen prüft der BGH das Münchner Urteil ausschließlich auf Rechtsfehler. Er hört keine Zeugen und erhebt keine Beweise. Der BGH kann das Urteil der Vorinstanz bestätigen, selbst abändern oder aufheben. Im letzten Fall müsste in München neu über die strittigen Teile verhandelt werden.
Der dritte Strafsenat am BGH will sein Urteil zur Revision des Generalbundesanwalts am 9. März verkünden.
Ehemann erhielt lebenslange Haft
Den Ex-Mann von Jennifer W. hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im November 2021 des Völkermordes, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eines Kriegsverbrechens mit Todesfolge für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Zudem muss er der Mutter des Mädchens 50.000 Euro Schadenersatz zahlen. Dieses Urteil bestätigte der BGH im Januar auf die Revision des Mannes hin.
Jesiden leben im Irak, Syrien, der Türkei und dem Iran und bilden eine religiöse Minderheit. Mehr als 5.000 Angehörige der jesidischen Religionsgemeinschaft hatte die Terrormiliz IS im Jahr 2014 ermordet. Vergangene Woche erkannte der Bundestag die Massaker als Völkermord an. In Deutschland lebe die größte jesidische Diaspora weltweit, heißt es in dem Text weiter. Der Bundestag werde sich mit Nachdruck für den Schutz jesidischen Lebens hierzulande einsetzen.
Mit Informationen von dpa und AFP
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