Deutscher Bundestag im Reichstagsgebäude
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Deutscher Bundestag im Reichstagsgebäude

    Jahresrückblick: Ampel lässt Federn, Opposition im Aufwind

    Nach ihrem ersten Regierungsjahr hat die Ampel in Umfragen keine Mehrheit mehr. Teile der Opposition dagegen erstarken. Was sind die Gründe dafür? Eine Analyse.

    In diesen Tagen "geht ein besonders schweres Jahr zu Ende". So formuliert es der Kanzler vor Kurzem im Bundestag. Widerspruch ist da im Plenarsaal nicht zu vernehmen. Zu bedrückend sind die Bilder aus der Ukraine. Und zu groß die Probleme, die die Ampel-Koalition infolge des Kriegs zu bewältigen hat. Doch Olaf Scholz macht an diesem Dezembertag auch klar: "Wir haben die Herausforderung angenommen!" Dann zählt er auf: die Waffenlieferungen für das angegriffene Land, die Pläne zur Modernisierung der Bundeswehr, den Umbau der deutschen Energieversorgung.

    SPD fällt ins Umfragetief

    Das alles scheint der Kanzlerpartei allerdings kaum zu nützen. Die Umfragewerte der SPD bleiben im Keller. Der jüngste ARD-Deutschlandtrend sieht sie lediglich bei 18 Prozent. Ein "bemerkenswert schlechter Wert", sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch im BR24-Interview. Denn eigentlich könnten Regierungsparteien in Krisenzeiten durchaus punkten, so die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Und tatsächlich habe die Ampel-Koalition "im Großen und Ganzen viel auf den Weg gebracht". Im Blick hat Münch beispielsweise die Schritte hin zu einer Unabhängigkeit von Energieimporten aus Russland. Die Leute müssten sich zurzeit zwar Sorgen machen, "aber keine existenziellen Sorgen".

    Diskussion über Ukraine-Politik des Kanzlers

    Dass die SPD trotzdem in ein Umfragetief gefallen ist, erklärt Münch unter anderem mit der Vielstimmigkeit innerhalb der Koalition. Damit meint sie die beständige Kritik der Koalitionspartner Grüne und FDP – etwa an einer angeblichen Zögerlichkeit des Kanzlers, was militärische Unterstützung für die Ukraine betrifft. Auch die mediale Berichterstattung hat aus ihrer Sicht dazu beigetragen, den Kurs von Scholz mit einem negativen Zungenschlag zu belegen. Dabei könne man die behauptete Zögerlichkeit auch als Besonnenheit deuten, findet Münch.

    Kritik an Kommunikation von Olaf Scholz

    So jedenfalls beschreibt Scholz seine Ukraine-Politik. Immer wieder warnt er vor der Möglichkeit einer atomaren Eskalation, um sein Nein zur Lieferung von deutschen Kampfpanzern zu begründen. Dass er mit dieser wohlmeinenden Sicht auf seinen außenpolitischen Kurs nur bedingt durchdringt, liegt in den Augen von Münch auch an eigenen Fehlern. Selbst Erfolge kleide der Kanzler in "nichtssagende Worte" – das komme nicht gut an. Sie ist der Ansicht, "dass ihm die Grünen den Rang ablaufen". Dem Koalitionspartner gelinge es deutlich besser, eigene Erfolge auch als solche zu vermitteln.

    Grüne Spitzenleute mit Zugkraft

    Tatsächlich belegen Annalena Baerbock und Robert Habeck Spitzenplätze auf den Beliebtheitslisten von Meinungsforschungsinstituten. Und das, obwohl die Zeitenwende gerade der Anhängerschaft der Grünen einiges abverlangt. Aufrüstung und Waffenhilfen sind eigentlich nicht der Stoff, aus dem das Programm der einstmals pazifistischen Partei gestrickt ist. Doch der Spagat zwischen Realpolitik und Prinzipientreue scheint die Grünen nicht zu zerreißen – im Gegenteil. Gerade im Verhältnis zu Regimen wie denen in Russland oder China bescheinigt die Politikwissenschaftlerin den Grünen eine "große Glaubwürdigkeit". Sie verweist darauf, dass die Partei schon zu Oppositionszeiten eine Moskau-kritische Position vertreten hat.

    Expertin schreibt Baerbock hohe Bindekraft zu

    Vor diesem Hintergrund hat die gegenwärtige Stärke der Grünen in Umfragen nach Einschätzung von Münch durchaus Substanz. Auch wenn an der Basis manche den Kurs der Partei in Sachen Waffenlieferungen eher verhalten beurteilten, könne insbesondere Baerbock mit einer "wertegebundenen Außenpolitik" bei der Anhängerschaft der Grünen punkten. Letztlich gehe es auch in der Ukraine darum, Menschenrechte zu schützen – ein traditioneller Bestandteil der Parteiprogrammatik.

    FDP in schwieriger Lage

    Ganz anders stellt sich die Situation für die FDP dar: Nach schweren Niederlagen bei den zurückliegenden Landtagswahlen steckt sie auch auf Bundesebene im Popularitätstief. Wäre demnächst schon Bundestagswahl, müssten die Liberalen um den Wiedereinzug bangen. Deren bürgerliche Anhängerschaft fremdelt mit einem Regierungsbündnis, das manche in der Opposition gern als "links-gelb" schmähen. Die FDP-Spitze hält dem entgegen, dass die Partei mit dem Eintritt ins Ampel-Bündnis Verantwortung fürs große Ganze übernommen habe. Deutschland müsse in Krisenzeiten regierbar bleiben, so der Gedanke.

    Opposition gegen die eigene Regierung?

    Doch solche Überlegungen verfangen offenbar nicht. Eine Erfahrung, die vor der FDP schon die SPD machen musste, als sie sich nach dem Jamaika-Aus in der vergangenen Wahlperiode doch noch zu einer Neuauflage der großen Koalition durchrang. Jetzt versuchten die Liberalen, woran damals schon die Sozialdemokraten gescheitert seien, analysiert Münch: nämlich gegen das eigene Regierungsbündnis zu opponieren. Gleichzeitig müsse die FDP in der Ampel aber Dinge mittragen, die sie früher für "Teufelszeug" gehalten habe. Ein Dilemma.

    Neuwahl für Liberale wohl keine Option

    Würde also ein Ausstieg aus der Koalition den Liberalen auf die Beine helfen? Münch bezweifelt das. Denn dann würde es wohl auf eine Neuwahl hinauslaufen – und daran habe die FDP kein Interesse. Die Politikwissenschaftlerin hält es für wahrscheinlich, dass die Partei Teil des Regierungsbündnisses bleibt. Aus ihrer Sicht wäre die FDP gut beraten, sich stärker dem Ausbau der Infrastruktur zu widmen, denn auch dafür sei sie gewählt worden. Und nicht nur für das Versprechen solider Staatsfinanzen, in Krisenzeiten ohnehin schwer zu erfüllen.

    Münch: Union in Opposition angekommen

    Für CDU und CSU endet das erste Ampel-Jahr mit ordentlichen Umfragewerten. Auf fast 30 Prozent kommt die Union im zurückliegenden ARD-Deutschlandtrend – und ist damit klar stärkste Kraft. Münch führt das darauf zurück, dass die Union nach einer Warmlaufphase in der Rolle als stärkste Oppositionsfraktion angekommen ist. Das gilt nach Ansicht der Politikwissenschaftlerin gerade auch für Fraktionschef Friedrich Merz. Dessen Aufgabe bestehe darin, die Regierungspolitik nicht kritiklos hinzunehmen, ohne aber in eine unpopuläre Fundamentalopposition abzudriften. Und der Chef der Unionsfraktion mache das gut, sagt Münch.

    Wissenschaftlerin sieht klare Arbeitsteilung zwischen CDU und CSU

    Zum Umfragehoch der Union dürfte auch beitragen, dass die beiden Schwesterparteien zurzeit recht geräuschlos zusammenarbeiten. Das Verhältnis zwischen CDU-Chef Merz und CSU-Chef Markus Söder sei "keine ganz große Männerfreundschaft", aber das sei auch nicht nötig. Söder könne sich problemlos von München aus gegen die Ampel positionieren. Mit anderen Worten: Die Berliner Bühne überlässt er weitgehend Merz, vorerst jedenfalls.

    Konfrontation mit Ampel als Vorteil für CSU?

    Denn im nächsten Jahr steht an, was manche in der CSU die "Mutter aller Wahlen" nennen: die bayerische Landtagswahl. In der Konfrontation mit der Berliner Ampel-Koalition sieht Münch einen strategischen Vorteil für die CSU. Söders Unterscheidung in einen "Ampel-Norden" und einen "freien Süden" komme nicht von ungefähr, sagt sie. Die Koalition im Bund liefere ihm laufend neue Punkte, an denen er ansetzen könne – als Beispiel nennt sie die Diskussion über die Erbschaftsteuer.

    Auch AfD im Umfrage-Hoch

    Wie die Union beendet auch die AfD das Jahr mit guten Umfragewerten. Der ARD-Deutschlandtrend sieht sie bei 15 Prozent. Die Partei hat es Münch zufolge geschafft, ein krisenbedingtes "Unmutspotenzial" zu mobilisieren. Anscheinend kümmere es die Anhängerschaft nicht, "wie zerstritten die AfD ist". Diese werde nach wie vor als Anti-Establishment-Partei wahrgenommen. Also als eine Kraft, die sich gegen vermeintlich abgehobene Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien stellt.

    Linke bleibt im Umfrage-Keller

    Anders als der AfD gelingt es der Linken bisher nicht, von der Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung zu profitieren. Zwar hat die sozialistische Partei im Spätsommer einen "heißen Herbst" angekündigt, doch der Zulauf zu den Demos blieb insgesamt hinter den Erwartungen zurück. Und im jüngsten ARD-Deutschlandtrend liegt die Linke bei gerade einmal fünf Prozent.

    Fazit: Seit der zurückliegenden Bundestagswahl hat sich der Rückhalt für die im Parlament vertretenen Parteien zum Teil deutlich verschoben: im Regierungslager zugunsten der Grünen und zulasten von SPD und FDP. Und in den Reihen der Opposition zugunsten von Union und AfD. Doch Umfragewerte sind Momentaufnahmen – erst recht in Krisenzeiten.

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