16.10.2022, Bonn: Klimaaktivisten protestieren vor der Veranstaltungshalle beim Grünen-Bundesparteitag.
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Scholz' Machtwort - Grüne Jugend entrüstet

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Habeck für Scholz' AKW-Entscheidung - Grüne Jugend entrüstet

Der Kanzler spricht ein Machtwort im Atomstreit - Ruhe kehrt danach aber nicht ein. Die Grünen reagieren zurückhaltend, teils kommt deutliche Kritik. Wirtschaftsminister Habeck versucht, die Reihen zu schließen.

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Kanzler Scholz' Entscheidung zur Verlängerung der Atomlaufzeiten kommt bei den Grünen nicht gut an. Wirtschaftsminister Robert Habeck versucht nun, zu vermitteln - und appelliert an das Verantwortungsbewusstsein seiner Partei.

Habeck: "Kann damit leben"

Dass Olaf Scholz nun in der Frage der Laufzeiten der verbleibenden drei Atomkraftwerke seine "maximale Autorität" eingesetzt habe, sei eine "unübliche Lösung einer verfahrenen Situation", sagte Habeck in der ARD. "Er ist voll ins Risiko gegangen, und ich werbe dann dafür, dass wir jetzt diesen Weg auch gehen, weil alles andere staatspolitisch nicht verantwortlich wäre", so Habeck.

Zugleich wies Habeck darauf hin, dass es sich beim Thema Atom um eine politisch "hochaufgeladene Frage" handele. "Diese Frage hat Generationen geprägt, hat die deutsche Politik geprägt, und insofern ist das schon eine Ausnahmesituation." Scholz habe in der "verfahrenen Situation" nun einen Vorschlag gemacht, "mit dem ich arbeiten kann, mit dem ich leben kann", sagte Habeck.

Appell an Verantwortungsbewusstsein

Die Änderung des Atomgesetzes muss vom Bundestag verabschiedet werden. Habeck geht nicht davon aus, dass dies wegen fehlender Stimmen der Grünen scheitern könnte. "Deutschland und Europa befinden sich in einer schweren Krise", sagte Habeck in der ARD. "In dieser Situation die Regierung aufs Spiel zu setzen, scheint mir überhaupt nicht verhältnismäßig. Das kann eigentlich nicht passieren", betonte der Grünen-Politiker.

Nouripour: Scholz-Machtwort akzeptieren

Der Co-Parteivorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, erklärte Scholz' Entscheidung sei zu akzeptieren. Man halte zwar nichts davon, auch das AKW Emsland weiter laufen zu lassen, "auch weil wir sehen, dass das fachlich nichts bringt", aber "unter dem Strich ist das jetzt (...) nicht Grund, eine große Diskussionskrise auszulösen", sagte er im rbb24 Inforadio.

Grüne wollen "Gespräche führen"

Die Grünen wollten eigentlich nur einen sogenannten Streckbetrieb für die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April 2023 mittragen. Die Kraftwerke sollten in eine sogenannte Einsatzreserve überführt werden, um damit bei Bedarf einen Weiterbetrieb bis Mitte April zu ermöglichen. Den Weiterbetrieb des Meilers Emsland lehnte die Partei dagegen ab.

Folglich wird Scholz' Machtwort nun kritisiert: "Die Entscheidung ist fachlich nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch den Stresstest gedeckt, sie ist politisch außerordentlich fragwürdig", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin dem ZDF. "Das wird glaube ich noch eine ganz schwierige Operation." Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann kündigten an, in der Fraktion zu beraten, "wie wir mit der Entscheidung des Kanzlers umgehen".

Hauptanliegen erfüllt: Keine neuen Brennstäbe

Auch die Grüne Parteispitze hat noch Gesprächsbedarf. "Das AKW Emsland ist für die Netzstabilität nicht erforderlich", schrieb Parteichefin Ricarda Lang auf Twitter. "Der Kanzler hat nun von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. Wir werden dazu Gespräche führen." Sie wies aber auch darauf hin, dass ein Hauptanliegen der Partei erfüllt wird: dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und letztlich alle deutschen AKW vom Netz gehen werden.

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"Basta-Politik brauchen wir nicht"

Die Grüne Jugend reagierte entrüstet: "Das ist Basta-Politik, und die brauchen wir nicht", so der Co-Chef der Grünen-Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. "Wir brauchen eine Debatte im Bundestag zu dem Thema."

Die Grüne Jugend halte die Entscheidung auch inhaltlich für falsch, sagte Dzienus. "Sie entbehrt jeglicher Faktengrundlage." Es gebe zu viele offene Fragen. "Ein Weiterbetrieb des AKW Emsland könnte dafür sorgen, dass die Stromnetze in Niedersachsen verstopfen und Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen. Das ist doch absurd." Es gebe kein Problem mit der Strom-Versorgungssicherheit in Norddeutschland.

FDP erwartet sinkende Strompreise

Führende FDP-Politiker reagierten hingegen erfreut auf den Beschluss des Kanzlers - obwohl er auch hinter ihren Forderungen zurückblieb. Die Liberalen wollten auch das dritte Atomkraftwerk Emsland am Netz halten und alle drei Meiler bis ins Jahr 2024 hinein laufen lassen. Gegebenenfalls sollten bereits stillgelegte AKW reaktiviert werden.

"Die Vernunft setzt sich durch", kommentierte Bundesjustizminister Marco Buschmann. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, verbuchte die Entscheidung als Unterstützung für seine Partei. "Das Verhandlungsergebnis zeigt, dass sich gut begründete Positionen durchsetzen." Er erwartete als Folge auch sinkende Preise, weil das Signal gesendet werde, dass mehr Strom zur Verfügung stehen werde.

Union enttäuscht, Bartsch spricht von "Schmierentheater"

Bei der Union erntete Scholz für seinen Vorstoß Kritik. Seine Entscheidung sei kein Machtwort, sondern ein "Zeichen von Schwäche", teilte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner, mit. "Die Bürger und Unternehmen warten auf echte Entlastung, die nur durch ein Mehr an Energie erreicht werden kann." CDU-Chef Friedrich Merz sagte der "Welt", Scholz' Entscheidung greife zu kurz: "Die deutschen Atomkraftwerke müssen - wie es die FDP gefordert hat - bis 2024 mit neuen Brennstäben weiterlaufen." CSU-Chef Markus Söder sprach von einer Enttäuschung. "Die Gefahr eines Blackouts im kommenden Jahr bleibt bestehen."

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kanzelte die Entscheidung von Scholz als "absurdes Schmierentheater" ab. "Nach der Wahl in Niedersachsen und nach dem Bundesparteitag der Grünen kommt diese Entscheidung. Hier ging es weder um die Bürger, noch um die Versorgungssicherheit, sondern ausschließlich um die Egos von Habeck und Lindner", sagte Bartsch den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Mit Material von dpa

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