Der Gender Wealth Gap beschreibt, wie viel Vermögen Frauen im Gegensatz zu Männern besitzen. Forschende der Wirtschaftsuniversität in Wien kamen 2017 zu dem Ergebnis, das Männer in Deutschland rund 32 Prozent mehr Vermögen besitzen als Frauen. Dass Frauen in Deutschland häufiger von Altersarmut betroffen sind, ist also nur ein Aspekt einer grundlegenden finanziellen Ungleichheit.
Der Mann arbeitet, die Frau bleibt zuhause
Helma Sick ist Finanzexpertin und Gründerin des Beratungsunternehmens "Frau & Geld". Seit über 30 Jahren engagiert sich die heute 81-Jährige für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. Dass Frauen in Deutschland heutzutage weniger Vermögen zur Verfügung haben als Männer, ist für sie auch das Ergebnis politischer Entscheidungen - vor allem in der ehemaligen BRD -, die das traditionelle Familienbild in den Mittelpunkt der Gesellschaft gestellt haben.
"Frauen wurden Jahrhunderte, wenn nicht länger ferngehalten von Geld, weil Geld einfach immer auch für Männer Macht und Einfluss bedeutete. Frauen durften immer das kleine Geld verwalten, aber nicht das große Geld, mit dem man wirklich auch Geld verdienen konnte und Vermögen machen konnte. Bis 1962 durfte eine Frau nicht mal ein Bankkonto haben. Wenn Sie sich das mal vorstellen. Oder im Bürgerlichen Gesetzbuch stand noch: Hatte eine Frau Vermögen bei der Heirat, dann wurde das Vermögen der Verwaltung des Mannes unterstellt, weil man ihr nicht zutraute, dass sie das im Kopf hatte, dass sie das kann." Helma Sick
Ein strukturelles Problem
Bis 1977 durften Frauen in der BRD sogar nur dann einer Erwerbsarbeit nachgehen, wenn es mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. "Das ist für ein entwickeltes Land unglaublich", so Sick. Die Finanzexpertin geht in ihrer Kritik aber noch weiter. Dadurch, dass staatlich ein traditionelles Familienbild präferiert wurde, sagt Sick, musste man auch nicht in soziale Infrastruktur investieren, also Kindertagesstätten oder Seniorenheime. Die Frau war ja sowieso zuhause. Dass Frauen sich auch heute noch schlechter in Finanzangelegenheiten auskennen, entspreche also einem strukturellen Problem.
"Da liegt der Hauptgrund. Und in den Köpfen hat sich das natürlich sehr, sehr lange festgesetzt. Frauen haben sich nicht um Geld gekümmert, weil sie keins hatten. [...] Wir leiden unter dieser Vergangenheit, unter diesen Bedingungen, die da geschaffen worden sind von konservativen Regierungen. Und das muss vollkommen geändert werden." Helma Sick
Wie groß der Vermögensunterschied heutzutage zwischen Frauen und Männern ist, lässt sich auch gut am Gesamterwerbseinkommen und dem Rentenbezug darstellen. Frauen verdienen, laut dem zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2017, in ihrem Leben 49 Prozent weniger als Männer und beziehen Renten, die im Schnitt 53 Prozent niedriger sind.
Unbezahlte Sorgearbeit
Ein entscheidender Grund dafür, dass Frauen in ihrem Leben weniger Vermögen anhäufen als Männer, liegt unter anderem am Gender Pay Gap, also der Tatsache, dass Frauen im Durchschnitt weniger Stundenlohn beziehen als Männer; in Deutschland sind es rund 20 Prozent weniger. Des Weiteren kommt hinzu, dass Frauen häufig in Berufen mit prekären Arbeitsbedingungen mit niedrigeren Löhnen beschäftigt sind, zum Beispiel in der Pflege oder der Gastronomie.
Entscheidend scheint jedoch die Tatsache zu sein, dass Frauen deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit machen als Männer. Laut der Sachverständigenkommission zum zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung von 2017, sind es rund 50 Prozent mehr an Zeit, die Frauen für Hausarbeit, Pflege und Kinderbetreuung aufwenden. In diesem Zusammenhang stehen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Bereich Erwerbsarbeit in Teilzeit. Während 2020 ganze 66 Prozent der Mütter in Teilzeit gearbeitet haben, waren es nur 7 Prozent der Väter.
"Eine echte Unabhängigkeit kann es nicht geben, wenn ich finanziell an jemanden gebunden bin und um Geld bitten muss", sagt Helma Sick. "Selbst wenn die Vereinbarung beidseitig ist, ist es eine Unwucht in der Paarbeziehung."
- Zum Artikel: "Münchner Runde live: Ist unser Wohlstand fair verteilt?"
Corona: Frauen leisten noch mehr unbezahlte Sorgearbeit
Die finanzielle Ungleichheit zwischen Männern und Frauen hat sich durch die Corona-Pandemie nochmal verstärkt. Auch hier gereichte es den Frauen zum Nachteil häufig in Berufsfeldern tätig gewesen zu sein, die stark von Corona-bedingten Einschränkungen betroffen waren, wie zum Beispiel der Gastronomie oder dem Tourismus. Aber auch geschlossene Kindertagesstätten haben dazu beigetragen, dass primär Frauen noch mehr unbezahlte Sorgearbeit geleistet haben. Der dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung von 2021 - welcher sich ausschließlich damit beschäftigt, wie Digitalisierung gleichberechtigt gestaltet werden kann - unterstreicht dies: "Frauen und Männer weiteten im Homeoffice ihre unbezahlte Sorgearbeit aus, allerdings Frauen stärker als Männer."
"Da wäre jeder überfordert. Kinder betreuen, womöglich noch die Eltern pflegen und dann noch Vollzeit arbeiten. Das geht nicht. Das muss geteilt werden. Kinder haben nicht nur eine Mutter, sie haben auch einen Vater. Und ich finde, die Männer müssen da mehr Verantwortung übernehmen." Helma Sick
Knackpunkt finanzielle Bildung
Aber nicht nur beim realen Vermögen besteht ein erheblicher Unterschied zwischen Männern und Frauen in Deutschland, sondern auch bei der Finanzbildung. Das betont auch Tabea Bucher-Koenen. Die Professorin für Finanzmärkte kann aus eigenen Forschungen bestätigen, dass Frauen heute zwar durchschnittlich über ein höheres Bildungsniveau verfügen, dies aber interessanterweise kaum Auswirkungen auf ihr Finanzwissen habe.
"Die jüngeren Frauen haben immer noch genau so eine Lücke im Vergleich zu den jüngeren Männern, wie es die älteren Frauen im Vergleich zu den älteren Männern haben." Für Frauen, so Bucher-Koenen, sei es daher sehr wichtig, dieses "unangenehme Thema" nicht vor sich herzuschieben. "Teilzeitarbeit oder eben Mutterschaft oder möglicherweise auch Pausen in der Erwerbsbiografie, das hat alles direkte Konsequenzen für die eigene finanzielle Absicherung auch später im Leben."
"Was ist in Beziehungen, wenn eine scheitert? Was steht mir zu? Womit kann ich da rechnen? Mir haben sehr viele Anwältinnen gesagt, dass sie oft erschüttert sind, wie viele Frauen Illusionen haben, was ihnen nach einer Scheidung zustehen würde." Helma Sick
Das sieht auch Helma Sick so. Früher, sagt Sick, mussten Frauen nicht unbedingt Finanzwissen erwerben, da sie vergleichsweise nur wenig oder gar kein Geld besaßen. Dies sei heute anders. "Es gibt viele gut verdienende Frauen, es gibt viele Frauen, die Single sind, die sich um ihr Geld kümmern. Da hat sich schon was verändert. Es haben ja auch heute die meisten Frauen eine Ausbildung oder ein Studium."
Trotzdem, so Sick, stelle auch sie fest, dass die Finanzbildung von Frauen hinter der von Männern zurückstehe. Dies merke man zum Beispiel bei der Geldanlage. Frauen seien risikoscheuer. Wenn jemand aus Angst immer nur in Tages- oder Festgeld (oder Bausparverträge) investiere und nicht auch ein bisschen Risiko eingehe, zum Beispiel auf dem Aktienmarkt, hätte er auch schlechtere Chancen, etwas mehr aus seinem Geld zu machen. "Dann wird das nix."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!