Das Osloer Friedensnobelpreis-Komitee stand vor der Herausforderung, in Zeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein politisches Signal auszusenden: "Wenn die Zivilgesellschaft der Diktatur weichen muss, ist der Frieden häufig das nächste Opfer", wie die Vorsitzende des Komitees, Berit Reiss-Andersen, formulierte.
Verteidiger der Menschenrechte ausgezeichnet
Die Preisvergabe ist eine umfassende Würdigung, Ehrung und Hervorhebung der Bedeutung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und einer besonders herausragenden Persönlichkeit bei der Verteidigung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit: Mit der diesjährigen Entscheidung hat das Osloer Friedensnobelpreis-Komitee sein Augenmerk gleich in mehrfacher Hinsicht auf die fatalen Folgen des Verlusts von demokratischen Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit gerichtet – Folgen, die seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in aller zynischen Brutalität unübersehbar zu erkennen sind.
Entscheidung gegen Putins Versuch, Menschenrechtler mundtot zu machen
Mit der Auswahl der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial", der ukrainischen Menschenrechtsorganisation "Zentrum für zivile Freiheiten" und des belarussischen Menschenrechtsaktivisten Ales Bjaljatzki stärkt das Nobelpreis-Komitee diesen Gruppierungen und deren Wirken für zivilgesellschaftlichen Wandel nachhaltig den Rücken.
Memorial, mitgegründet von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, wurde vom Kreml vor Kriegsbeginn geschlossen – ein letzter Akt des russischen Präsidenten und seines Unterdrückungsapparats, das Dokumentationszentrum mundtot zu machen. Das Berliner Büro von Memorial erklärte nach der Preisbekanntgabe, der Friedensnobelpreis sei eine "Anerkennung unserer Arbeit für Menschenrechte und vor allem unserer Kolleginnen und Kollegen in Russland, die unter unbeschreiblichen Angriffe und Repression litten und leiden".
Memorial verliert Stammsitz in Moskau
Memorial verliert indes auch ihren Stammsitz in Moskau. Ein Gericht in der russischen Hauptstadt schlug das Gebäude am Freitag in einem als politisch motiviert kritisierten Verfahren dem russischen Staat zu. Memorial kündigte an, seinen Kampf um die Menschenrechte trotzdem fortzusetzen und den Nobelpreis zu feiern.
Dokumentation von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine
Mit der Preisvergabe an die ukrainische Menschenrechtsorganisation "Zentrum für zivile Freiheiten", das seit Kriegsbeginn die, wie es in der Würdigung heißt, "russischen Kriegsverbrechen in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen dokumentiert", unterstützt das Osloer Nobelkomitee die unerlässliche Arbeit, "die für die Verbrechen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen". Angesichts des Ausmaßes und der nahezu unüberschaubaren Anzahl von Verbrechen an der Zivilbevölkerung eine unerlässliche Würdigung dieser Aufklärungsarbeit.
Nobelpreis-Komitee hofft auf Freilassung Bjaljatzkis
Mit Ales Bjaljatzki, der schon als Student in der damaligen Sowjetunion Mitte der 80er-Jahre für Freiheitsrechte kämpfte, ist der bekannteste und anerkannteste Menschenrechtsaktivist in Belarus geehrt worden. Der promovierte Literaturwissenschaftler, der im Juli letzten Jahres vom Lukaschenko-Regime unter fadenscheinigen Gründen wieder inhaftiert worden ist, besteht zusammen mit der von ihm gegründeten Menschenrechtsorganisation "Wjasna" (Frühling) auf der Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in Belarus.
Friedensnobelpreis für Menschenrechts-Aktivisten aus Belarus
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Im August 2020, in den Tagen und Wochen der Massendemonstrationen gegen die massive Wahlfälschung bei der Präsidentschaftswahl, zählten Bjaljatzki und seine MitarbeiterInnen jeden Abend, wie viele Menschen verhaftet, geschlagen, gefoltert und umgebracht worden sind. Auf die Frage, wie lange er dies durchhalten könne, sagte Ales Bjaljatzki im Spätsommer 2020 in der ARD: "Ich bin eindeutig noch nicht müde. Ich werde weitermachen, solange meine moralischen und physischen Kräfte reichen." Jetzt hofft das Nobelpreis-Komitee auf seine Freilassung.