Lange war in der Europäischen Union über ein mögliches Importverbot von russischem Gas diskutiert worden. Jetzt scheint Moskau den Überlegungen aber zuvorzukommen: Mehrere EU-Staaten meldeten heute Unregelmäßigkeiten bei den Lieferungen. Der Energiekonzern Gazprom erklärte, dies hänge mit den Sanktionen des Westens gegen Russland zusammen.
Rückgang in Deutschland bereits bei 60 Prozent - nun auch weitere EU-Länder betroffen
Bereits am Mittwoch kündigte das Unternehmen an, seine Ausfuhren nach Deutschland zu reduzieren. Seit Donnerstagfrüh würden pro Tag nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter Erdgas durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 an die Bundesrepublik geliefert. Das entspricht einem Minus von etwa 60 Prozent im Vergleich zu den täglichen Mengen der Vorwoche. In Frankreich, Italien, Österreich, Tschechien und der Slowakei gibt es jetzt offenbar ebenfalls Probleme.
Das italienische Energieunternehmen Eni teilte mit, man habe nur noch 65 Prozent der angeforderten Menge von Gazprom erhalten. Auch am Mittwoch habe es auch schon weniger gegeben. Italien bezieht 40 Prozent seiner Gasimporte aus Russland. Auch ein Sprecher des tschechischen Versorgers CEZ sagte, es gebe Einschränkungen, die mit technischen Problemen zusammenhingen. Der slowakische Gasimporteur SPP teilte mit, eine Reduzierung von rund 30 Prozent festzustellen.
Gazprom verweist weiter auf Probleme bei Reparaturen der Pipeline
Lieferrückgänge gaben auch das französische Unternehmen Engie und der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV bekannt. Ein OMV-Sprecher sagte, Gazprom habe über eine Reduzierung informiert. Dort wolle man den Rückgang falls nötig aber durch Speichermengen und Mengen vom Spotmarkt ersetzen. "Die Versorgung unserer Kunden ist derzeit sichergestellt", hieß es.
Der russische Anbieter Gazprom begründet die Drosselung der Liefermengen nach wie vor mit den verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Diese würden zu Verzögerungen bei der Reparatur von Gas-Kompressoren führen. Gazprom erklärte, keine Lösung für die Probleme zu sehen. Die Sanktionen gegen Russland, die im Zuge des Angriffs auf die Ukraine verhängt wurden, verhinderten die Lieferung wichtiger Teile aus Kanada. Das Angebot werde deswegen auf 40 Prozent der Pipeline-Kapazität gesenkt.
Habeck wirft Kreml "politische Aktion" vor
Ähnlich argumentierte der russische Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow: Die Lieferkürzungen seien nicht vorausgeplant, sondern würden durch Probleme mit der Wartung von Turbinen verursacht, die wiederum auf die westlichen Sanktionen zurückzuführen seien. Der russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge könnten Gaslieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 bald komplett ausgesetzt werden. Sie zitiert damit den russischen Botschafter bei der EU.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte, es gehe um Verdichterstationen in der Pipeline, die regelmäßig gewartet werden müssten. Die Wartung der Gasturbinen könne nur in Kanada erfolgen. Der Minister hält die Einschränkungen aber für politisch motiviert. "Der Gaspreis soll hoch sein und die Gasmenge wird sukzessive verknappt", sagte der Grünen-Politiker in Bremen.
Technische Schwierigkeiten bei Wartungsarbeiten seien nur von der Führung in Moskau vorgeschoben, so Habeck. Die bittere Wahrheit sei, Deutschland sei noch immer auf Gas aus Russland angewiesen. Die Antwort darauf bleibe, erneuerbare Energien rasch auszubauen, Energie einzusparen und die Gasspeicher vor dem Winter zu füllen. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, hat die Bundesregierung kürzlich dem Energieunternehmen Gazprom Germania eine Finanzhilfe in Milliardenhöhe zugesagt.
Wachsende Sorge vor Engpässe in Deutschland
In deutschen Regierungskreisen hieß es, es wachse die Sorge, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Gas als politische Waffe einsetze. "Es kann sehr ungemütlich werden, wenn Putin ernst macht." Die eingeschränkten Gaslieferungen schüren Sorgen, die Speicher könnten womöglich für den Winter nicht ausreichend gefüllt werden. Sie könnten auch eine Reaktion auf den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi in Kiew sein. Habeck wies dies aber zuletzt vehement zurück.
Gazprom-Chef Alexej Miller verteidigte das Vorgehen seines Unternehmens. "Unser Produkt, unsere Regeln", sagte er am Rande des Wirtschaftsforums in St. Petersburg. "Wir spielen nicht nach Regeln, die wir nicht gemacht haben."
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