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Retouren im Onlinehandel werden immer beliebter: Rund 300 Millionen Pakete werden pro Jahr wieder zurückgeschickt. Das belastet die Umwelt. Die meisten Retouren sind kostenlos. Und hier liegt der Kern des Problems.

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#FragBR24💡: Sollten Retouren Geld kosten?

Retouren im Onlinehandel werden immer beliebter: Rund 300 Millionen Pakete werden pro Jahr wieder zurückgeschickt. Das belastet die Umwelt. Die meisten Rücksendungen sind kostenlos. Hier liegt der Kern des Problems. Doch es gibt auch Lösungsansätze.

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Von
  • Alexander Dallmus
  • Josef Häckler

Der Onlinehandel boomt ungebrochen und wird – trotz einer kleinen Delle zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns im März – auch heuer weiter zulegen. Jahr für Jahr meldet die Branche Umsatzzuwächse im zweistelligen Bereich (ein Plus von elf Prozent im Jahr 2019). Laut Handelsverband Deutschland (HDE) sind allein 2019 fast 60 Milliarden Euro über den Einkauf im Internet umgesetzt worden.

Natürlich zum Leidwesen der ortsansässigen Einzelhändler, die zudem Mieten und häufig Personalkosten zahlen müssen. Aber viele Online-Besteller lieben eben die Bequemlichkeit. Die Waren auf einen Blick, die Filtermöglichkeiten. In aller Ruhe zuhause im Internet eine Jeans bestellen; dann warten, bis der Transporter die bestellte Ware ausliefert.

Wie umweltfreundlich ist Onlinehandel wirklich?

Das klingt nicht nur stressfrei, sondern überdies ökologisch sinnvoll. Die Kaufhäuser und auch kleine Läden, eben der gesamte stationäre Handel, müssen das ganze Jahr über aufwendig klimatisiert werden. Ware wird nicht nur gelagert, sondern auch entpackt und präsentiert. Dann wieder verpackt, und womöglich fährt der Kunde auch noch mit dem Auto hin.

In der Theorie hört sich das Ergebnis demnach eindeutig an: Online-Shopping ist umweltfreundlicher, selbst wenn man den Stromverbrauch des Notebooks für die Bestellung und das Datenvolumen für den logistischen Prozess mit einrechnet. Schließlich bleibt das Auto in der Garage. Gerade bei Einkäufern in ländlichen Regionen macht sich das bemerkbar. Zumindest dann, wenn sie längere Strecken mit dem Pkw unterwegs wären oder gar keine Chance haben, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen.

Wie viele CO2-Emissionen in einem Paket "stecken", lässt sich nicht pauschal sagen. Es gibt dazu mehrere Berechnungen und auch eine groß angelegte Studie des Paketdienstleisters DHL. Zwischen 277 Gramm und 800 Gramm CO2 (bei einem mittleren Paket) reicht die Bandbreite. Ein Wert von circa 500 Gramm des klimaschädlichen Gases scheint realistisch. Aber auch nur, wenn das Paket einmal zugestellt wird.

Kosten einsparen geht vor Umwelt

Unter "Laborbedingungen" spricht, zumindest aus Umweltsicht, eigentlich gar nichts gegen den Onlinehandel. Diese "heile logistische Welt" bricht aber jäh zusammen, sobald auch nur ein Paket vom Kunden zurückgeschickt wird. Für einen echten Vergleich müssten auch Einkaufsverhalten, die logistischen Anstrengungen des Handels und der Zulieferer miteinander verglichen werden. Der weltgrößte Onlinehändler Amazon rüstet beispielsweise seine Lieferflotte in Europa mit 1.800 Elektro-Transportern von Daimler auf und hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2040 CO2-neutral zu sein.

Andererseits wird es natürlich absurd, wenn retournierte Waren durch halb Europa transportiert werden, um beispielsweise in Polen oder in Tschechien wieder aufbereitet zu werden, wie es das Textilunternehmen H&M macht (immerhin ganz offen auf der Adresse der Retourenlabel).

Künftig werden noch mehr Retouren in Osteuropa landen. Dafür verantwortlich ist die für das nächste Jahr geplante Schließung des Hermes Fulfilment in Hamburg, derzeit eines der größten Retouren-Auffanglager des Onlinehandels in Europa. Spätestens ab Herbst 2021 werden etwa 200.000 Artikel, die dort täglich für den Wiederverkauf eintrudeln, künftig an den Standorten in Polen und Tschechien wieder aufgehübscht. Auch Amazon oder Zalando lassen ihre zurückgeschickte Ware dann dort bearbeiten.

Was die Ökobilanz des Onlinehandels noch verwässert

  • Wenn der Paketzusteller niemanden antrifft und kein Ablageort vereinbart wurde, kommt das Paket – im günstigsten Fall – weiter zur nächsten Abholstation. Dorthin muss der Kunde aber auch wieder fahren. Manche Zusteller bieten auch den Service, zwei oder sogar dreimal vorbeizukommen. Entsprechend vervielfachen sich die Treibhausemissionen pro Paket.
  • Viele Kunden fahren aber auch erst in den Laden (womöglich noch mit dem Auto), lassen sich dort beraten, probieren an und aus, fahren dann zurück nach Hause und bestellen online - um ein paar Euro zu sparen.
  • Zeitfenster-Zustellung: Das heißt, der Kunde kann eingrenzen, wann ihm die Zustellung am besten passt. Dieser Service ist sehr problematisch. Zum einen, weil an sich logische Touren dann anders geplant werden müssen; zum anderen sind die Lkw oder Transporter dadurch oft nicht voll beladen, was sich ebenfalls negativ in der Ökobilanz niederschlägt.
  • Viele Händler verpacken ihre Waren noch zu luftig, das heißt, dass mehr Fahrten notwendig sind, um eine bestimmte Zahl von Artikeln auszuliefern.

Wie viele Retouren kommen zurück?

Wie viele Retouren es genau sind, lässt sich nicht sagen. Vor allem die großen Player im Markt lassen sich dabei ungern in die Karten schauen. Schätzungsweise sind es in Deutschland mittlerweile über 300 Millionen pro Jahr. Das hat Björn Asdecker von der Universität Bamberg hochgerechnet. Er erforscht seit vielen Jahren das Retourenmanagement und fragt über einen sogenannten Retourentacho auch die Händler direkt ab.

Die Rücksendequote hängt natürlich stark von der Art des bestellten Artikels ab. Im Frischebereich, bei Lebensmitteln, geht relativ wenig retour. Auch Möbel, Heimtextilien und Bücher werden nicht sehr häufig zurückgeschickt. Hier liegt die Quote in der Regel im unteren zweistelligen Bereich.

Im Modebereich sieht es jedoch anders aus. Bei Kleidung und Schuhen liegt die Retourenquote seit Jahren um die 50 Prozent. Daran hat sich auch jüngsten Auswertungen zufolge trotz zahlreicher Versuche mit virtuellen Umkleidekabinen und besseren Produktbeschreibungen nichts geändert. Jeder zweite Artikel wird also zurückgeschickt. Was die Gesamtmenge angeht, bedeutet das mit Blick auf den eben weiter stark wachsenden Gesamthandel eine signifikante Steigerung der Retouren.

Während erstem Lockdown viele "Spaßbestellungen"

Franziska Ulbricht vom Händlerbund in Leipzig beklagt zudem: Während des coronabedingten Lockdowns von März bis Mai gab es nach Angaben kleiner mittelständischer Händler viele "Spaßbestellungen". Ulbricht nennt ein Beispiel: "Da denkt sich der Kunde, der Rucksack ist schön. Da bestellte ich mir mal von zehn Farben acht, weil ich mir unsicher bin. Der Händler weiß dann schon beim Einpacken, dass fast alles wieder zurückkommt." Im Großen und Ganzen sind das für Björn Asdecker von der "Forschungsstelle Retourenmanagement" aber eher Ausreißer, die sich nach ersten Auswertungen für die gesamte Branche nicht bestätigen ließen.

Warum viele Händler umsonst zurücknehmen?

Eines der zentralen Verkaufsargumente im Online-Handel ist die Möglichkeit der kostenlosen Rücksendung. Mindestens 14 Tage, zur Weihnachtszeit aber auch länger, können Kunden die Ware, die nicht gefällt oder nicht passt, kostenlos an den Händler zurückschicken. Ohne Angabe von Gründen und meist auch ohne Rechtfertigungszwang, wenn die Ware beschädigt oder verschmutzt ist.

Seit Jahren wird bereits darüber diskutiert, ob dieses kostenlose Rückgaberecht nicht erst recht dazu verführt, sinnlos Dinge zu bestellen und allzu leichtfertig wieder zurückzusenden. Die Händler selbst, heißt es beim EHI in Köln, einem wissenschaftlichen Institut des Handels, wollen daran auch nicht rütteln: "Der Kunde ist es gewohnt, dass er die Ware kostenlos zurückschicken kann und vor allem im Fashion-Bereich wird es als wichtig gesehen, dem Kunden die Möglichkeit zu bieten, dass er mehrere Varianten zur Auswahl bestellen und die Ware, wenn sie einem nicht gefällt, dann auch kostenlos zurückschicken kann."

Gerade die kleineren Markteilnehmer dürften dagegen durchaus offen dafür sein, dass zurückgesendete Ware etwas kostet. Dennoch glaubt Retourenforscher Asdecker von der Uni Bamberg: Auf freiwilliger Basis wird es nicht dazu nicht kommen: "Die große Marktmacht der führenden Onlinehändler und der starke Wettbewerb werden mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Rücksendung trotz der vom Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeiten in den meisten Fällen kostenfrei bleibt."

Sind Retouren wirklich kostenlos?

Für die Kunden sind Retouren in der Regel kostenlos. Doch das sind sie natürlich in Wirklichkeit nicht. Die Händler selbst beziffern die Kosten pro Rücksendung im Schnitt auf etwa zehn Euro. Das rechnet sich aber meist dennoch, denn die kostenlose Retoure ist im System eingepreist.

Laut Experte Asdecker gibt es jedoch auch bei der Retourenquote Kipppunkte, bei denen es für den Händler problematisch wird. "Bei einer Retourenquote von 80 Prozent bedeutet das, dass er im Schnitt fünf Mal versendet und vier Mal die Retoure entgegennimmt, bis der Artikel einmal verkauft ist. An der Stelle wird erkenntlich, dass es eine Grenze geben muss und diese Grenze liegt in vielen Fällen zwischen 60 und 70 Prozent."

Während die "Platzhirsche" im Onlinegeschäft die Retouren billigend in Kauf nehmen - auch weil sie diese logistisch und finanziell leichter auffangen können -, wird es für die mittelständischen Internethändler zunehmend problematischer, mit der insgesamt steigenden Zahl an Retouren zurechtzukommen.

Der neueste Dreh: CO2-Kompensation für Retouren

Die vielen Rücksendungen und die ausufernden Transportwege wirken sich natürlich auf die Umwelt aus. Rund 238.000 Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) hat die Forschungsstelle in Bamberg für das Jahr 2018 herausgerechnet. Dies entspricht demnach in etwa der Umweltwirkung von täglich 2.200 Autofahrten von Hamburg nach Moskau. Zur Einordnung sei aber auch erwähnt, dass der Anteil der Retouren am Gesamtausstoß in Deutschland trotzdem sehr gering ist und derzeit noch bei etwa 0,02 Prozent liegt.

Dennoch versuchen Anbieter wie Zalando oder der Schweizer Branchenriese Galaxus, der mittlerweile auch in Deutschland Fuß gefasst hat, über CO2-Kompensation für Retouren das schlechte Umweltgewissen der Besteller zu beruhigen. Kritisch ist, dass das "Vermeiden von Retouren" hierbei nicht in den Vordergrund gestellt wird. Damit wird aber der wichtigste Grundsatz der CO2-Kompensation verwässert und das "Freikaufen" in den Vordergrund gestellt.

Zumal, gerade bei Zalando, der Pauschalbetrag unabhängig von der Anzahl der zurückgeschickten Artikel erhoben wird und auch bei näherer Betrachtung die Transparenz sehr zu wünschen übrig lässt, nämlich was denn konkret Sinnvolles damit passiert. Ein Zertifikat nach Gld-Standard gibt es jedenfalls nicht.

Was also, wenn Retouren plötzlich Geld kosteten? Auch das haben die Forscher aus Oberfranken bereits hochgerechnet. Schon drei Euro, die für jede Rücksendung pauschal bezahlt werden müssten, könnten viel bewirken. Gut jeder sechste Artikel würde nach deren Berechnungen dann nicht mehr zurückgeschickt. Das klingt auf den ersten Blick nach keiner großen Menge. Insgesamt wären das aber 80 Millionen weniger Retouren pro Jahr. Und damit könnten umgerechnet 40.000 Tonnen CO2 gespart werden.

Fazit

Es gibt immer mehr Retouren. Schon allein deshalb, weil es auch immer Bestellungen gibt und sich die Retourenquote in den letzten Jahren nicht unbedingt verbessert hat - gerade im Bereich Mode. Angesichts der fehlenden Aufbereitungsmöglichkeiten in Deutschland und der zunehmenden Verlagerung in osteuropäische Länder wie Polen oder Tschechien erhöht sich zwangsläufig auch die CO2-Emission beim Transport.

Während die marktbeherrschenden Unternehmen an der kostenfreien Rücksendung mit allen Mitteln festhalten wollen, sind kleine und mittelständische Onlinehändler eher für eine kostenpflichtige Rücksendung. Wie sehr die kostenlose Retoure den Wettbewerb mitbestimmt, zeigt sich allein daran, dass 90 Prozent aller Marktteilnehmer nichts dafür verlangen.

Das Argument, die Besteller hätten sich so an das kostenlose Zurückschicken gewöhnt und würden einen Preis kaum akzeptieren, lässt sich kaum halten. Schließlich sind die Themen Umwelt und Klima den meisten Verbrauchern wichtig. Und dennoch: Die Onlinehändler werden eine Unkostenpauschale für Retouren kaum freiwillig einführen. Ohne ordnungspolitische Vorgaben und entsprechende Gesetze dürfte es daher kaum gehen.

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