Die Bilder aus Butscha schockieren weltweit. Dieses Bild hier wurde bereits am 4. März 2022 aufgenommen.
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Die Bilder aus Butscha schockieren weltweit. Dieses Bild hier wurde bereits am 4. März 2022 aufgenommen.

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#Faktenfuchs: Falsche Behauptungen zu Video aus Butscha

In einem Video aus Butscha sind mehrere Leichen am Straßenrand zu sehen. Im Netz verbreitet sich die Behauptung, einige der Körper würden sich bewegen und das sei Beleg einer angeblichen Inszenierung. Das stimmt nicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

HINWEIS: Dieser Artikel enthält Bildmaterial und Beschreibungen von Gewalttaten, die verstörend wirken können.

Die Bilder aus dem Kiewer Vorort Butscha, die von unabhängigen Medien und ukrainischen Behörden in den vergangenen Tagen veröffentlicht wurden, sind wohl bisher die grausamsten, die aus dem Krieg in der Ukraine bekannt wurden: Tote liegen auf Straßen, teilweise mit auf dem Rücken gefesselten Händen, getrocknete Blutlachen sind zu sehen. Sie tragen Zivilkleidung, ein Mann liegt neben einem Fahrrad, ein anderer neben einer Einkaufstasche. Andere Bilder zeigen halb verscharrte oder verbrannte Leichen.

Mehr als 300 leblose Körper in Butscha geborgen

Nachdem sich die russischen Truppen aus Butscha zurückgezogen haben, sollen dort laut ukrainischen Medienberichten mehr als 300 leblose Körper geborgen worden sein. Augenzeugen erzählen im Gespräch mit Medienvertretern und Menschenrechtsorganisationen, russische Soldaten hätten in Butscha gezielt Zivilisten getötet. Journalisten von Nachrichtenagenturen wie AP und Reuters berichten von mehreren Leichen in Zivilkleidung, die dem Anschein nach aus kurzer Distanz getötet worden seien.

Das russische Verteidigungsministerium dementiert, dass russische Soldaten Zivilisten getötet hätten. Accounts von russischen Botschaften, der Regierung und auch zahlreiche Pro-Kreml-Aktivisten aus Deutschland behaupten, die Aufnahmen aus Butscha seien gefälscht oder gestellt. Ein ehemaliger Bundestagskandidat der AfD aus Unterfranken bezeichnete Butscha auf Twitter als "die nächste Brutkastenlüge". Damit spielt er auf die erfundene Geschichte aus den 90ern an, Soldaten des irakischen Machthabers Saddam Hussein würden Babys aus Brutkästen reißen und auf dem Boden sterben lassen. Diese grausame Geschichte war einer der Gründe, warum der US-Kongress für den Ersten Irakkrieg stimmte.

Besonders stark verbreiteten sich Behauptungen zu einem Video, das das ukrainische Verteidigungsministerium am 2. April auf Twitter veröffentlichte.

Behauptung: Zwei leblose Körper bewegen sich

Behauptet wird, dass zwei der leblosen Körper auf der Straße sich bewegten und die Menschen gar nicht tot seien. Einmal sei es eine Hand, die sich hebe, ein anderer würde sich aufsetzen. Auch den BR24 #Faktenfuchs erreichten Fragen zu diesem Video: "Bewegt die sich oder ist das der Wind?" fragt ein User in Bezug auf eine der Leichen. Eine Analyse des Videos und Abgleich mit anderen Quellen zeigt: Die Bewegungen sind wohl optische Täuschungen.

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Auf Twitter behaupten User, sie würden in dem Video Bewegungen der Opfer erkennen. Doch es handelt sich um optische Täuschungen.

Nein, die Person auf der Straße hebt nicht den Arm

Das Video stammt vom ukrainischen Verteidigungsministerium - und Angaben von Konfliktparteien können nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden. Trotzdem kann es hilfreich sein, das Video genauer auf Hinweise zu untersuchen. An der Stelle im Video, zu der behauptet wird, die Person würde einen Arm heben, erkennt man bei der Frame-by-Frame-Betrachtung, dass es sich hier wohl um einen Fleck auf der Scheibe des Fahrzeugs handelt, aus dem gefilmt wird. Der weiße Fleck - womöglich ein Regentropfen oder eine Verschmutzung - bewegt sich mit der Fahrt. Mehrere internationale Faktenchecker kommen zu diesem Schluss.

Video: Es handelt sich um einen Fleck auf der Scheibe - nicht um einen Arm

Bei der langsamen Betrachtung des Videos erkennt man, dass es sich hier wohl um einen Fleck auf der Scheibe des Fahrzeugs handelt - nicht um einen Arm.
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Fahrt durch Butscha

Zudem kann man das Video mit Bildern aus anderen, unabhängigen Quellen vergleichen. Zum Beispiel hat ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP Fotos gemacht, die Merkmale derselben Szene aufweisen.

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Der Vergleich eines Videos der ukrainischen Regierung und einem AFP-Foto zeigt: Die Aufnahmen gleichen sich in mehreren Merkmalen.

Im Vergleich erkennt man: Im Video wie auf dem Bild der Nachrichtenagentur sind die gelb-weißen Markierungen am Straßenrand, das Auto mit offenstehender Tür und Kofferraum sowie ein davor liegender lebloser Körper zu sehen. In der Bildbeschreibung der AFP heißt es, ein Mitarbeiter der Kommune bereite einen Leichensack vor, um damit ein Opfer zu transportieren. Das bleiche Gesicht des Mannes - das wir hier zum Schutz des Opfers verpixeln - sieht aus wie das eines Toten.

Video: Elisabeth Kagermeier erklärt wie Videos auf ihre Echtheit geprüft werden

Elisabeth Kagermeier vom #Faktenfuchs erklärt in der Tagesschau24, wie Videos zu den Kriegsgräueln in Butscha auf ihre Echtheit überprüft werden.
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Elisabeth Kagermeier vom #Faktenfuchs erklärt in der Tagesschau24, wie Videos zu den Kriegsgräueln in Butscha auf ihre Echtheit überprüft werden.

Nein, die Person auf der Straße setzt sich nicht auf

Zur einer späteren Stelle im Video des ukrainischen Verteidigungsministeriums wird behauptet, im Seitenspiegel könne man sehen, wie sich eine Person aufsetzen würde. Schaut man sich das Video verlangsamt an, sieht man, dass die Gebäude, die im Seitenspiegel zu sehen sind, vom Spiegel verzerrt werden - und auch der Körper. Diese optische Verzerrung kann man - zumindest bei mäßiger Qualität des Videos in Social Media und viel Interpretation - für eine vermeintliche Bewegung halten. Es deutet aber einiges darauf hin, dass es sich hier um eine optische Täuschung handelt.

Video: Seitenspiegel verzerrt Häuser und leblosen Körper

Schaut man sich das Video genauer an, sieht man, dass der Seitenspiegel Häuser und den leblosen Körper verzerrt.
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Fahrt durch Butscha

Zuvor ist der leblose Körper im Video direkt zu sehen. Auch hier finden sich Bilder der Nachrichtenagentur AFP, die sehr viele gleiche Merkmale aufweisen: Gehwegmarkierung, die demolierte braune Wand im Hintergrund, die Position und Merkmale des Körpers wie etwa die Armbinde oder die mutmaßliche Tüte zwischen den Beinen. Das deutet darauf hin, dass es sich hier um denselben Ort und dasselbe Opfer handeln kann.

Bildrechte: Quellen: Twitter/Ukrainisches Verteidigungsministerium/ SERGEI SUPINSKY / AFP. Collage: BR
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Auch in diesem Beispiel deutet ein Bildervergleich mit Bildmaterial der AFP darauf hin, dass es sich um denselben Ort und dasselbe Opfer handelt.

Was aus dem Video allerdings nicht ersichtlich ist, ist die Identität der Opfer oder was genau mit ihnen passiert ist. Aktuell ist es noch nicht möglich, gesichert zu sagen, was genau den Toten, die in dem Video zu sehen sind, im Einzelfall geschehen ist. Das benötigt eine eigene Untersuchung.

Juristen und Menschenrechtsorganisationen sammeln Beweise

Unter anderem Menschenrechtsorganisationen und Juristen sammeln aktuell Beweise zu solchen Fällen, außerdem sollen Obduktionen der Opfer durchgeführt werden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte bereits einen Bericht zu angeblichen Kriegsverbrechen in der Ukraine, gestützt auf Augenzeugenberichte. Darunter ist auch ein Fall aus Butscha.

Zur Frage, wie gesichert es ist, dass wirklich russische Soldaten die mutmaßlichen Morde an den Zivilisten verübt haben, sagte ARD-Korrespondent Bernd Musch-Borowska am Montag im Gespräch mit BR24: "Man kann sich dabei im Moment in erster Linie auf die Augenzeugenberichte stützen." Diese hätten unter anderem von Hinrichtungen erzählt. "Die Zivilbevölkerung und die Menschen, die Augenzeugen, die das erlebt haben, die haben keinen Grund zu lügen", so die Einschätzung von Musch-Borowska. Neben Bildern von Nachrichtenagenturen gibt es auch Berichte und Bildmaterial von unabhängigen deutschen sowie internationalen Medien, die in Butscha waren und mit Augenzeugen gesprochen haben (u.a. Spiegel, BBC, CNN und Bild).

Zudem gibt es Satellitenbilder von Butscha, die sich über einen längeren Zeitraum hinweg auswerten lassen. Aus ihnen geht hervor, dass schon mehrere menschliche Körper auf dieser Straße lagen, als das russische Militär die Stadt noch kontrollierte. Ein solches Satellitenbild wurde am 18. März 2022 aufgenommen. Das russische Militär hat die Stadt am 30. März 2022 verlassen.

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Eine Satelliten-Aufnahme von Butscha, aufgenommen am 18. März 2022

Die New York Times hat im Videobeweis dargelegt, dass es sich bei der Straße aus dieser Satellitenaufnahme um dieselbe Straße handelt wie im Video des ukrainischen Militärs:

Fazit

Die Behauptung, in einem Video des ukrainischen Verteidigungsministeriums würden sich zwei der Körper auf der Straße von Butcha noch bewegen, ist falsch - hier handelt es sich wohl um optische Täuschungen. Bildmaterial aus unabhängigen Quellen zeigt dieselben Orte und Toten. Auch gibt es Satellitenbilder, auf denen schon am 18. März menschliche Körper auf der Straße liegend zu sehen sind - also zu einem Zeitpunkt, als die Stadt noch von russischem Militär kontrolliert wurde. Was genau in Butscha in den vergangenen Tagen und Wochen geschehen ist, geht aber weder aus dem vom ukrainischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Video, noch aus den Bildern unabhängiger Quellen hervor. Das untersuchen aktuell u.a. Menschenrechtsorganisationen, die zum Beispiel mit Augenzeugen sprechen.

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