Darum geht's:
- Falschbehauptungen im Netz schüren Befürchtungen, dass staatliche Akteure Bürgern das Geld auf ihrem Konto wegnehmen wollen.
- Diese Befürchtungen sind unbegründet. Bei Plänen der EU-Kommission und einer Aussage von Friedrich Merz geht es um freiwillige Investitionen der Bürger.
- Ein durch Krisen ausgelöstes Gefühl des Kontrollverlusts macht Menschen anfälliger dafür, solche Falschbehauptungen und Verschwörungserzählungen zu glauben.
Viele Menschen arbeiten jahrelang hart für das Ersparte auf ihrem Konto. Für sie ist es wohl keine schöne Vorstellung, dass ein Teil dieses Geldes plötzlich weg sein könnte. Derzeit kursieren viele Falschbehauptungen im Netz, die genau solche Befürchtungen auslösen oder verstärken könnten: nämlich, dass staatliche Akteure angeblich auf das Geld auf Privatkonten zugreifen könnten.
Besonders im Fokus stehen dabei:
- Pläne der Kommission der Europäischen Union (EU) für eine "Spar- und Investitionsunion"
- Pläne der Europäischen Zentralbank (EZB) für einen digitalen Euro
- eine Aussage des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, wonach er privates Vermögen "mobilisieren" wolle.
Diese drei Aspekte werden in Falschbehauptungen häufig miteinander vermischt. Der #Faktenfuchs ordnet ein und überprüft die Aussagen.
Falschbehauptung 1: Mit einer Spar- und Investitionsunion der EU soll das Geld von Sparern auch gegen ihren Willen in Rüstung investiert werden können.
Richtig ist: Die sogenannte Spar- und Investitionsunion soll es nach den Plänen der EU-Kommission Privatpersonen erleichtern, ihr Geld am europäischen Kapitalmarkt anzulegen. Florian Heider, wissenschaftlicher Direktor am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt am Main, sagte im Interview mit "Deutsche Welle Faktencheck", die Spar- und Investitionsunion sei "der Versuch, einen einheitlichen Kapitalmarkt für Europa zu schaffen, Gesetze zu harmonisieren, Grenzen abzubauen und gemeinsame europäische Investitionsmöglichkeiten für Investoren zu schaffen".
Beispielsweise schlägt die Kommission europäische Spar- und Anlagekonten vor. Die sollen es Kleinanlegern erleichtern, ihr Geld zu investieren. Außerdem will die Kommission etwa Hindernisse für den Vertrieb von europäischen Investmentfonds abbauen. Damit will sie für eine stärkere Integration des europäischen Kapitalmarkts sorgen. Der Kauf von Produkten wie Aktien oder Anleihen bliebe weiterhin freiwillig.
Laut Europäischer Kommission hätte die Spar- und Investitionsunion einen Win-win-Effekt: Bürger sollen mehr Rendite mit ihrem Geld erzielen, indem sie es am Kapitalmarkt anlegen. Und Unternehmen sollen dadurch einen leichteren Zugang zum angelegten Geld bekommen. Das soll etwa den Branchen der erneuerbaren Energien, der digitalen Technologie oder der Rüstung helfen.
Begriffe wie "Zugang" zum Ersparten der Bürger können verwirren. Das zeigt sich an Beiträgen in Social Media. Auf "X" schrieb zum Beispiel ein Nutzer zu dem Thema: "So sollen die EU- und Merzschulden finanziert werden: Die stille Enteignung der Sparer durch Zwangsanleihen. Unsere Großeltern haben so schon mal die Aufrüstung finanziert." (sic) Unklar ist, ob der Nutzer das selbst glaubt oder manipulieren möchte.
Behauptungen, wonach die EU mit der geplanten "Spar- und Investitionsunion" Sparer enteignen wolle, sind falsch.
"Zwangsanleihen" gehen aus Plänen nicht hervor
Es ist falsch, dass die am 19. März vorgestellten Pläne "Zwangsanleihen" vorsähen, um Geld in Rüstung zu investieren. Heider sagt an die Bürger gerichtet: "Das Geld gehört Ihnen. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie ein nationaler Staat an das Geld der Bürger kommt, und das geht über Steuern." Die EU verfüge generell nicht über die staatliche Befugnis, Steuern zu erheben. Es gebe also keine Pläne für "Zwangsanleihen", so Heider gegenüber dem #Faktenfuchs.
EU-Pressesprecher Olof Gill schrieb "Deutsche Welle Faktencheck": "Die EU-Bürgerinnen und -Bürger genießen die absolute Freiheit, auf der Grundlage ihrer persönlichen Entscheidungen zu investieren: Sie werden immer die volle Kontrolle darüber haben, wo sie ihr Geld aufbewahren und zuweisen wollen."
Falschbehauptung 2: Mit dem geplanten "digitalen Euro" kann die EU Steuern automatisch einziehen.
Auch das Konzept der Europäischen Zentralbank (EZB) für einen "digitalen Euro" sorgt bei einigen Nutzern für Unbehagen - das durch Falschbehauptungen befeuert werden kann. Ein Nutzer schreibt beispielsweise, die EZB könne mit dem digitalen Euro "Steuern automatisch einziehen".
Nach der Idee der EZB wäre der digitale Euro eine kostenlose, staatlich kontrollierte Alternative zu privaten elektronischen Zahlungsmöglichkeiten wie Visa, Mastercard oder PayPal. Er wäre damit etwas anderes als eine Kryptowährung - unter anderem deshalb, weil er durch die Geldschöpfung der EZB entstehen würde. Kryptowährungen sind unabhängig von staatlichen Zentralbanken.
Peter Tillmann, Wirtschaftswissenschaftler an der Justus-Liebig-Universität Gießen, sagte im Gespräch mit dem ARD-Faktenfinder: "Erst einmal sind die EZB und der digitale Euro getrennt von staatlichen Stellen. Der Staat hat überhaupt gar keine Zugriffsmöglichkeiten." Die EZB wiederum habe keine Befugnis, Steuern einzuziehen.
Laut EZB wäre der digitale Euro ein sicheres Zahlungsmittel und würde die Privatsphäre der Nutzer schützen. Momentan befindet er sich noch in der Planungsphase, die dieses Jahr abgeschlossen werden soll. Auf die Planungsphase soll eine Vorbereitungsphase folgen. Frühestens 2027 würde der digitale Euro eingeführt werden.
Tillmann sagt: "Die EU muss zunächst einmal die rechtliche Grundlage schaffen und der EZB sozusagen das Mandat geben, das zu machen".
"Es wird niemand gezwungen, den digitalen Euro zu nutzen"
Ein automatisierter Steuereinzug sei zwar grundsätzlich technisch möglich und werde häufig aus Bequemlichkeit gewählt, sagte Lars Hornuf, Professor für Finanzwirtschaft und Finanztechnologie an der TU Dresden, gegenüber dem Faktenfinder. "Allerdings gibt es keinen gesetzlichen Rahmen dafür, dass Steuern ohne Zustimmung der Steuersubjekte automatisiert eingezogen würden. Und eine andere gesetzliche Regelung ist für den digitalen Euro bislang nicht vorgesehen", so Hornuf.
Laut EZB würde der digitale Euro das Bargeld nicht ersetzen, die Behörde schreibt auf ihrer Webseite: "Bargeld würde im Euroraum weiterhin zur Verfügung stehen, ebenso wie die anderen privaten elektronischen Zahlungsmittel, die derzeit verwendet werden." Peter Tillmann sagt: "Es wird niemand dazu gezwungen werden, den digitalen Euro zu nutzen."
- Welche Falschbehauptungen noch über den digitalen Euro kursieren, lesen Sie hier im Artikel des ARD-Faktenfinders
Zum digitalen Euro kursieren viele Falschbehauptungen - unter anderem die, dass damit Steuern automatisch eingezogen werden könnten.
Falschbehauptung 3: Friedrich Merz will Zugriff auf Privatkonten
Eine dritte Falschbehauptung, die immer wieder auftaucht: Der wahrscheinlich zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wolle auf private Girokonten zugreifen. Sie bezieht sich zumeist auf eine Aussage von Friedrich Merz in einer Rede auf dem CSU-Parteitag in Augsburg am 12. Oktober 2024.
Merz sagte in der Rede: "Auf den deutschen Konten - Sparkonten und laufenden Girokonten - liegen 2,8 Billionen Euro. Stellen Sie sich mal einen kurzen Augenblick lang vor, wir wären in der Lage, davon nur zehn Prozent zu mobilisieren - mit einem vernünftigen Zinssatz - für die öffentliche Infrastruktur in Deutschland." Es fehle nicht an Kapital, es fehle an Instrumenten, dieses Kapital so zu mobilisieren, dass es einem gemeinsamen Zweck des Landes zugutekomme, so Merz.
Florian Heider vom Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung sagt im #Faktenfuchs-Interview: "Es geht um keinen Zwang, sondern um eine freiwillige Möglichkeit." Die Idee hinter Überlegungen wie jener von Merz sei es, mehr Anreize für Privatpersonen zu schaffen, sich an Investitionen in die öffentliche Infrastruktur des Landes zu beteiligen. "Hinter diesem Wort ‘mobilisieren’ verbirgt sich die Idee, dass es neue Modelle gibt, durch die Sie als Anleger ein Interesse daran haben, etwa Teilhaber einer Brücke zu werden - oder einer Firma, die die Brücke baut."
Auch die Behauptung, dass Friedrich Merz gegen den Willen der Sparer auf ihre Bankkonten zugreifen will, ist falsch.
Die CDU veröffentlichte zu dieser Falschbehauptung selbst ein Video auf ihrem TikTok-Kanal. Sie bezeichnete Gerüchte, wonach Friedrich Merz an das Geld der Menschen herankommen wolle, als "Fake News".
Steckt hinter den Falschbehauptungen gezielte Desinformation?
Eine Gemeinsamkeit eint die Falschbehauptungen über Friedrich Merz, die geplante Investitions- und Sparunion und den digitalen Euro: die Angst, staatliche Akteure könnten Privatpersonen ihr Erspartes wegnehmen. Wirtschaftswissenschaftler Heider sagt: "Das sind bewusste Fehlinformationen, die subtil auf Ängste und gewisse Triggerwörter wie 'Enteignung' ausgerichtet sind."
Gegenüber "Deutsche Welle Faktencheck" sagte er: "Dahinter steckt das Bestreben, Europa zu schwächen. Denn, wenn das Geld nicht in Europa ist, dann kommt es anderen Ländern zugute und nicht Europa. "
Ein Hinweis darauf, dass auch gezielte Propaganda Verunsicherung schüren soll, ist, dass auch die russische Nachrichtenagentur "TASS" das Thema für sich entdeckt hat. Sie veröffentlichte am 5. März eine Pressemitteilung: Danach plane die EU mit der Spar- und Investitionsunion, "Geld zu mobilisieren, um ihre Pläne zur Militarisierung Europas und zur Unterstützung des europäischen militärisch-industriellen Komplexes zu finanzieren".
Deutsche sparen mehr als andere Europäer
Julia Pitters ist Wirtschaftspsychologin an der Internationalen Hochschule IU. Derzeit werde viel gespart in Deutschland, sagt Pitters. Im dritten Quartal des Jahres 2024 sparten deutsche Haushalte durchschnittlich mehr als 20 Prozent ihres verfügbaren Bruttoeinkommens - mehr als die Bürger anderer EU-Länder. Sie erklärt das mit der Krisenhaftigkeit der aktuellen Weltlage: "Die Menschen sind nicht so ausgabefreudig, weil man einfach nicht weiß, was kommt", so Pitters.
Auch die Verbreitung von Falschinformationen über einen angeblichen staatlichen Zugriff auf Privatvermögen führt sie darauf zurück: "Es sind sehr viele Unsicherheiten im Moment im Raum, die sich natürlich auf jedes beliebige Thema übertragen lassen", so Pitters.
Gefühl des Kontrollverlusts macht anfällig für Falschbehauptungen
Melissa Hehnen ist Sozialpsychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie sagt, Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder ein Absturz der Börsenkurse könnten ein Gefühl des Kontrollverlusts begünstigen. "Wenn wir den eigenen gesellschaftlichen Status als unsicher erleben und wir das Gefühl haben, da keinen Einfluss darauf zu haben und nicht erklären oder vorhersehen zu können, wie sich das entwickelt, können wir einen Kontrollverlust erleben."
Dieses Gefühl könne den Wunsch nach einfachen Erklärungen befördern und Menschen damit anfälliger für Falschbehauptungen machen. "Die Idee, dass staatliche Akteure auf Sparvermögen zugreifen können, kann dann attraktiv werden, weil sie zumindest eine geglaubte Erklärbarkeit liefert und damit ein gewisses Kontrollerleben hervorrufen kann", so Hehnen.
Hinweise darauf, dass ein Gefühl des Kontrollverlusts in der Bevölkerung verbreitet ist, liefere die sogenannte "Mitte-Studie" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Für die Studie führten Wissenschaftler 2023 eine repräsentative Befragung in der deutschen Bevölkerung durch. 41,8 Prozent gaben dabei an, dass sie sich angesichts von Krisen unsicher fühlen. 55 Prozent der Befragten sagten außerdem, dass sie finden, Deutschland sei von Krisen bedroht, 39 Prozent sagten, Menschen wie sie selbst seien von Krisen bedroht. Sozialpsychologin Hehnen merkt an: "Seitdem ist nochmal sehr viel passiert. Auch aufgrund der Häufigkeit und Geschwindigkeit der gravierenden Ereignisse und Krisen sind diese Zahlen vermutlich schon veraltet."
Behauptungen weisen Merkmale von Verschwörungserzählungen auf
Jonas Rees ist Professor für Politische Psychologie an der Universität Bielefeld und sagt dem #Faktenfuchs: "In Situationen, in denen wir ein Gefühl des Kontrollverlusts empfinden, sind wir besonders empfänglich für Verschwörungserzählungen." Rees erkennt in den Behauptungen zum Sparguthaben klassische Bestandteile von Verschwörungstheorien. Diese seien:
- Eine objektive, weltumspannende Bedrohung: "Sei es eine Pandemie, ein Krieg oder eine Wirtschaftskrise - das ist Teil des Grundplots einer Verschwörungserzählung", sagt Rees.
- Ein großer Plan, der nicht das ist, was auf den ersten Blick der Fall zu sein scheint. Also beispielsweise der angebliche Plan der EU oder von Friedrich Merz, Bürger zu enteignen, um einen Krieg zu finanzieren.
- Personen oder Gruppen von Personen, die den Plan umsetzen können. "Das kann Friedrich Merz oder die Europäische Zentralbank oder Ursula von der Leyen sein", so Rees.
Verschwörungserzählungen sprechen ein Grundbedürfnis nach Struktur, Vorhersage und Erklärbarkeit - also Kontrolle - an, so Rees.
"Realistischer Optimismus" als Mittel gegen Kontrollverlust
Hehnen liefert Tipps, wie man sich dagegen schützen kann, in ein Gefühl des Kontrollverlusts zu verfallen. "Was helfen kann, ist, die eigene Toleranz für Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten zu stärken und zu schauen, was man dafür braucht", so Hehnen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang Resilienz - also die Fähigkeit, schwierige Situationen zu bewältigen und sich davon zu erholen. Dabei gehe es nicht darum, sich herausfordernde Situationen schönzureden, "sondern zu versuchen, sie mit einem gewissen realistischen Optimismus einzuordnen". Auch ein stabiles soziales Netz stärke die persönliche Resilienz.
Fazit
Behauptungen, wonach die Europäische Union oder Friedrich Merz Bürgern das Geld auf ihren Sparkonten wegnehmen wollen, sind falsch. Weder der digitale Euro, noch die europäische Spar- und Investitionsunion, noch Aussagen von Friedrich Merz sehen das vor.
Expertinnen und Experten sagen: Das Gefühl eines Kontrollverlusts kann dafür sorgen, dass solche falschen Informationen verfangen. Die Falschbehauptungen zum Sparvermögen sind wie Verschwörungserzählungen aufgebaut.
Hinweis: Dieser Artikel entstand im Rahmen der Kooperation der ARD Faktenchecker von ARD-Faktenfinder, BR24 #Faktenfuchs und DW Faktencheck.
Mitarbeit: Rayna Breuer (DW Faktencheck), Carla Reveland und Pascal Siggelkow (beide ARD-Faktenfinder).
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Quellen:
Interview mit Prof. Dr. Florian Heider, wissenschaftlicher Direktor am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt am Main
Interview mit Prof. Dr. Julia Pitters, Wirtschaftspsychologin an der Internationalen Hochschule IU
Interview mit Prof. Dr. Jonas Rees, Psychologe an der Universität Bielefeld
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