Fast zwei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sind momentan wegen des Fachkräftemangels unbesetzt.
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Fast zwei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sind momentan wegen des Fachkräftemangels unbesetzt.

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Personalmangel: Woran der Zuzug von Fachkräften häufig scheitert

Fast zwei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland sind momentan wegen des Fachkräftemangels unbesetzt. Die Hürden für qualifizierte Menschen aus dem Ausland sind dennoch nach wie vor hoch. Das bedroht vor allem ein Ziel der Bundesregierung.

Mit dem Lastenaufzug geht es hoch bis unters Dach. Hier, im sechsten Stock einer großen Brauerei, wechseln fünf Handwerker der Firma Heizung Obermaier Wasserrohre aus. Einer von ihnen ist Juvenal Alata aus Peru. Er trägt eine rote Hose, eine graue Fließjacke und eine graue Mütze – alles mit dem Firmenlogo, einer roten Flamme. Seit bald vier Jahren arbeitet er als Monteur bei der Firma. Den Chef hat er damals einfach übers Internet angeschrieben.

Doch obwohl man sich rasch einig wird, vergeht viel Zeit, bis Juvenal Alata tatsächlich mit der Arbeit anfangen darf. Olaf Zimmermann, der den Betrieb leitet, erinnert sich: "Ich habe gesagt, du brauchst eine Duldung. Ohne die darf ich dich nicht einstellen." Darauf habe er erst einmal anderthalb Jahre nichts mehr gehört, bis Alata sich eines Tages wieder gemeldet hat, dass er jetzt alle Papiere zusammen habe und anfangen wolle. "Aber da wir einen permanenten Mangel an Fachkräften haben, war die Stelle definitiv noch nicht besetzt", so Zimmermann. Der Betriebschef ist mit diesem Problem nicht allein.

Fachkräftemangel: Deutschlandweit fast zwei Millionen unbesetzte Stellen

2022 wurden durchschnittlich 845.000 unbesetzte Arbeitsstellen bei Arbeitsagenturen und Jobcentern neu gemeldet. Insgesamt gibt es damit fast 1,82 Millionen offene Stellen (Stand: drittes Quartal 2022) in Deutschland. Im Vergleich zum dritten Quartal 2021 liegt die Zahl um fast ein Drittel höher.

Auch in Bayern ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt angespannt. Der bayerischen Wirtschaft fehlten 2022 über alle Branchen hinweg rund 233.000 Arbeitskräfte, das ergab der IHK Fachkräftemonitor Bayern. Die Industrie und Handelskammer (IHK) geht davon aus, dass bis 2035 der Arbeiterengpass in Bayern bis auf 1,3 Millionen Menschen ansteigt.

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Fachkräftemangel nach Branchen

Demografischer Wandel verschärft Situation

Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie hat insbesondere der demografische Wandel Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, da immer mehr Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer in Rente gehen, als Menschen die Schule verlassen.

Es braucht – da sind sich Wirtschaftsverbände einig – eine stärkere Zuwanderung von Fachkräften. Doch wie schwierig der Weg für diese Fachkräfte nach Deutschland ist, zeigt auch der Fall von Juvenal Alata.

Abschlüsse anerkennen lassen: Ein wahrer Papierkrieg

Auf der Baustelle in der Brauerei arbeitet Alata als einfacher Monteur. In Italien hat der aus Peru stammende Mann zwar eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker gemacht, aber dieser Abschluss wird in Deutschland nicht als gleichwertig anerkannt.

Eine solche Anerkennung muss bei der Handwerkskammer beantragt werden – und das bedeutet vor allem: viel Papierkram. "Die Kammer muss in persönlichen Gesprächen durch alle Unterlagen, die sie – in welcher Sprache auch immer - bekommen kann, entscheiden, wie der Status des Antragstellers ist", erklärt Petra Walter von der SHK Innung München, dem regionalen Zusammenschluss von Betrieben, die in den drei Bereichen Sanitär, Heizung und Klima arbeiten. "Das ist sehr viel Bürokratie", fasst sie zusammen.

Häufig Nachqualifizierungen nötig

Fast immer verlange die Handwerkskammer dann eine Nachqualifizierung. Das liege einerseits am Arbeitsumfeld – beim Umgang mit Gas oder Trinkwasser müsse man eben besonders sorgsam sein. Dazu kommt aber auch, dass der Beruf des Anlagenmechanikers so fast nur in Deutschland zu finden ist.

Vor rund zwanzig Jahren wurde die Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur und zum Heizungs- und Lüftungsbauer zusammengelegt. In fast allen anderen Ländern sind das weiterhin zwei verschiedene Berufe. Das führt mit dazu, dass die jährlichen Anerkennungen von ausländischen Fachkräften im Bereich München und Oberbayern gerade einmal im niedrigen zweistelligen Bereich liegen.

Aufenthalte werden oft nur befristet vergeben

Dank seiner Arbeitserfahrung über Weiterbildungen und Sprachkurse hofft Juvenal Alata, doch irgendwann den Gesellenstatus zu erlangen. Erst einmal aber wartet er darauf, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. "Die jetzt läuft noch zwei Jahre. Danach bekomme ich einen unbefristeten Titel. Dann habe ich Ruhe", lacht Alata.

In den vergangenen Jahren durfte Alata immer nur befristet in Deutschland arbeiten. Lief die aktuelle Erlaubnis aus, musste er zurück nach Italien reisen und auf die neue Arbeitserlaubnis warten. Das habe ihn so frustriert, dass er überlegt habe, hinzuschmeißen und nach Italien zurückzukehren.

Alternative zur Gesellenprüfung gefordert

Alatas Chef, Olaf Zimmermann, wünscht sich, dass ausländischen Arbeitssuchenden signalisiert wird, dass sie hier willkommen sind und gerne hier arbeiten dürfen. Bisher würden sie von den Ämtern zu oft noch als "Bittsteller" behandelt.

Außerdem seien die Hürden zu hoch, um als Anlagenmechaniker arbeiten zu können. Statt einer Gesellenprüfung, bei der viele durchfallen, müsse es künftig auch andere Wege geben, Facharbeiter zu werden: Kurse oder Weiterbildungen etwa. Sonst gerate man auch bei der einem wichtigen politischen Ziel ins Hintertreffen: der Energiewende.

Deutsche Energiewende: Große Ziele, aber kaum Fachkräfte

Für die hat sich die Bundesregierung nämlich ehrgeizige Ziele gesteckt. Doch auch hier droht der Fachkräftemangel, das Vorhaben zu bremsen: Es gibt zu wenige Handwerker, die die notwendigen Wärmepumpen anschließen oder Solarzellen aufs Dach bringen. Allein, um bis Ende des Jahrzehnts die erforderlichen sechs Millionen Wärmepumpen einzubauen, fehlen laut dem Zentralverband Sanitär Heizung Klima 60.000 Monteure – bevorstehende Verrentungen nicht einberechnet.

Um diesem Mangel entgegenzutreten, plant die Ampel-Regierung eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Hürden für die Zuwanderung sollen verringert, Deutschland für Fachkräfte attraktiver werden. Auch die Anerkennung von Abschlüssen soll leichter werden.

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