Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main (Archivbild)
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EZB beschließt erneut Zinserhöhung - um 0,75 Prozentpunkte

Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main hat die Leitzinsen erneut um 0,75 Prozentpunkte erhöht. Die Bank erklärte, im Kampf gegen die Inflation die Zinsen in den kommenden Monaten voraussichtlich "weiter anzuheben".

Die EZB geht mit einem weiteren "XXL-Zinsschritt" gegen die Rekordinflation im Euro-Raum vor. Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich die Banken bei der EZB Geld leihen können, um einen Dreiviertel-Prozentpunkt zu erhöhen - auf nunmehr 2,0 Prozent. Damit reagiert die EZB auf die zuletzt immer weiter gestiegene Inflation, die in der Europäischen Union im September mit 9,9 Prozent ein neues Rekordniveau erreichte.

Inflation fast fünfmal so hoch wie Inflationsziel der Notenbank

Nach September ist dies die insgesamt dritte Zinserhöhung in diesem Jahr. Im Juli hatte die EZB den Leitzins erstmals seit 16 Jahren um 0,5 Prozentpunkte angehoben, im September folgte der Schritt um 0,75 Punkte. Damit reagiert die Bank auf den anhaltenden Preisschub, der durch die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise infolge des Ukraine-Kriegs ausgelöst wurde. Die Inflation liegt inzwischen fast fünfmal so hoch wie das Inflationsziel der Notenbank von zwei Prozent, das sie als ideal für die Wirtschaft erachtet.

EZB-Rat wird Zinsen voraussichtlich weiter anheben

Die Währungshüter signalisierten zugleich ihre Bereitschaft, die Zinsen erneut steigen zu lassen: Der EZB-Rat "geht davon aus, dass er die Zinsen weiter anheben wird", hieß es. Auf einer Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss kündigte EZB-Chefin Lagarde an, es sei mehr "in der Pipeline". Der EZB-Rat werde den künftigen Leitzinspfad an der Entwicklung der Inflations- und Konjukturaussichten ausrichten. In welchem Tempo diese weitere Straffung vollzogen werde, sei noch offen, sagte Lagarde.

Lagarde warnte, das Wirtschaftswachstum in der Eurozone könne sich in den kommenden Monaten abschwächen. Ein lange andauernder Ukraine-Krieg bleibe ein "großes Risiko".

Die Währungshüter wollen unbedingt vermeiden, dass sich die hohe Inflation in den Köpfen der Menschen festsetzt. Das Kalkül: Wenn die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, wird es für die EZB noch schwieriger, die Teuerung wieder einzudämmen und in Richtung ihrer Zielmarke zu bewegen. Im Vorfeld der Zinssitzung hatten sich bereits viele Währungshüter dafür ausgesprochen, erneut eine ungewöhnlich starke Zinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten zu beschließen. Auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte einen robusten Zinsschritt gefordert.

Wirtschaft und Banken begrüßen Zinserhöhung

Erste Reaktionen aus der Wirtschaft, von Ökonomen und Banken fielen positiv aus. Die Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers des Bankenverbandes, Henriette Peucker, betonte, dass sich die Inflation im Euroraum als immer hartnäckiger erweise. Die Zinsschritte seien das wichtigste Instrument der EZB, um dagegen anzugehen. "Zudem werden sich auch die wirtschaftlichen Perspektiven im Euroraum ohne eine Trendwende bei der Inflation nicht aufhellen", sagte sie.

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, sagte: "Da das primäre Mandat der EZB Preisstabilität ist, war dies heute ein richtiger Schritt, dem vermutlich ein weiterer in diesem Jahr folgen wird." Sparkassenpräsident Helmut Schleweis forderte "weitere ähnlich große Schritte". Gemessen an den inzwischen zweistelligen Inflationsraten genüge das nun erreichte Zinsniveau noch nicht.

Höhere Zinsen gelten als Mittel gegen die Teuerung - sie wirken aber auch bremsend auf das Wirtschaftswachstum. Schleweis erklärte, die Folgen der Corona-Krise, des Krieges in der Ukraine sowie die hohen Energiepreise sorgten dafür, dass Deutschland absehbar in eine Rezession komme. "Die Zinswende erschwert zwar mit anziehenden Finanzierungsbedingungen die realwirtschaftliche Entwicklung zusätzlich, sie ist aber unumgänglich."

Industrie- und Handelskammertag: Zinserhöhung zu spät

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisierte die Zinserhöhungen als zu spät. "Das Zeitfenster, in dem die EZB ihre Politik noch hätte normalisieren können, ist eigentlich schon vorbei", erklärte Außenwirtschaftschef Volker Treier. Er sprach sich dafür aus, dass die EZB ihren Kurs in der Geldpolitik beibehält.

Sie könne mit ihrem Handeln zwar nicht die importierten Inflationstreiber in Form der dramatisch gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise komplett einfangen, sagte Treier. "Jedoch würde ohne Zinsanhebung der Euro gegenüber dem Dollar noch schwächer werden. Dann würde importierte Energie sogar noch teurer werden als ohnehin schon." Für Unternehmen seien nicht nur hohe Zinsen, sondern auch unsichere Rahmenbedingungen wie hohe Inflationsraten "Gift".

  • Zum Artikel: "EZB-Zinserhöhung erschwert Schuldenfinanzierung des Bundes"

Meloni und Macron kritisieren Zinspolitik der EZB

Einige Mitgliedsländer der Eurozone hatten sich im Vorfeld kritisch zur Politik der EZB geäußert. Italiens neue Regierungschefin Giorgia Meloni etwa erklärte am Dienstag, die starke Leitzinserhöhung sei "riskant" vor allem für Länder mit hoher Staatsverschuldung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte, im Kampf gegen die hohe Inflation nicht "die Nachfrage zu zerstören".

Fratzscher: Erleben "importierte Inflation"

Nach Einschätzung von Marcel Fratzscher wird die Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank über die nächsten ein bis eineinhalb Jahre wenig an der Inflation ändern. Die Inflation, die wir im Moment erlebten, sei zu 70 Prozent eine "importierte Inflation", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gegenüber BR24.

Der Krieg in der Ukraine führe zu steigenden Energiepreisen, und es gebe Probleme bei den Lieferketten etwa durch Hafenschließungen in China. Daran könne keine noch so starke Leitzinserhöhung etwas ändern. "Das, was die EZB tut, ist letztlich dafür gedacht, dass man dann, wenn diese Krise einigermaßen im Griff ist, dass die EZB dann wieder möglichst schnell zur Preisstabilität zurückkehren kann."

Fratzscher zufolge gibt der Staat den Menschen bereits über die Entlastungspakete Geld zurück. Dies geschieht seiner Ansicht nach jedoch nicht zielgenau genug. Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen, die von der Inflation besonders hart getroffen werden, bekämen am wenigsten von diesem Geld.

Auch bei der Gaspreisbremse bekämen Menschen mit hohem Verbrauch, großem Haus und hohem Einkommen tendenziell mehr an Entlastung. "Das geht anscheinend aus bürokratischen Gründen nicht anders. Aber das bedeutet, der Staat muss nachlegen, um Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen zu entlasten. Das könnte durch Einmalzahlung passieren, wie zum Beispiel mit dem Pflegebonus in der Corona-Pandemie."

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

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Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, beurteilt die Leitzinserhöhung.
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Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, beurteilt die Leitzinserhöhung.

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