Bernd Schmidbauer hatte in Sachen Jan Marsalek schon früh den richtigen Riecher: Im November 2018 kommt in München das von ihm lange angestrebte Treffen mit dem damaligen Wirecard-Manager zustande. Zu diesem Zeitpunkt ist der damals 38-jährige Marsalek in der Öffentlichkeit noch ein unbescholtener Vorstand des gerade in den DAX aufgenommen Zahlungsdienstleisters.
Dass sich Marsalek fast zwei Jahre später nach Minsk absetzen und dann untertauchen wird, ahnt damals niemand. Bei seinem Verschwinden hat Marsalek ein früherer österreichischer Geheimdienst-Mann geholfen.
Sarkozy, Schüssel, Stoiber – alle mit Marsalek an einem Tisch
Schmidbauer, zwischen 1991 und 1998 im Kanzleramt unter Helmut Kohl Geheimdienstkoordinator, hat wegen der Umtriebigkeit des Österreichers im Herbst 2018 großen Gesprächsbedarf: "Wer aufmerksam die Szene beobachtet hat, was sich hier in München abspielt und welche Vielzahl an bekannten Persönlichkeiten sich die Klinke in die Hand gegeben haben, welche Möglichkeiten gegeben waren, durch ein Instrument wie Wirecard, der muss annehmen, dass Nachrichtendienste, wenn sie nicht völlig schlafen, hier natürlich den Blick auf diesen Konzern gerichtet hatten."
Tatsächlich knüpfte Marsalek viele Kontakte zu Geheimdiensten und in die Politik – bis in höchste Kreise. Für besonders viel Aufsehen sorgte zum Beispiel ein Abendessen in einem Münchener Restaurant im April 2017. Daran nahmen teil: Frankreichs Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy, Österreichs früherer Kanzler Wolfgang Schüssel, der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber – und Jan Marsalek. Er zog im Hintergrund die Fäden, stand zum Beispiel im Vorfeld in Kontakt mit Sarkozys Büro.
Offiziell haben die deutschen Dienste damals weder Marsalek noch Wirecard auf dem Schirm. Dabei gibt es zu diesem Zeitpunkt längst Grund genug dafür. Seit Jahren pflegt Marsalek enge geschäftliche und private Beziehungen nach Russland und ist Mitglied der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG). Der umtriebige Wirecard-Vorstand interessiert sich zudem für Brennpunkte weltweit: Er stößt flüchtlingspolitische Konzepte in Libyen an und reist nach Angaben von Zeugen 2017 in die syrische Ruinenstadt Palmyra. Russische Truppen hatten die antike Stadt damals gerade wieder vom Islamischen Staat befreit.
Schmidbauer: Nowitschok "nichts, um auf offenem Markt rumzuschreien"
Besonders brisant: Im Herbst 2018 prahlt Marsalek in London vor Investoren damit, im Besitz der chemischen Formel für den binären Kampfstoff "Nowitschok" zu sein. "Das war nichts, um auf offenem Markt rumzuschreien: Hurra, ich weiß was!", sagt Schmidbauer. Und er erinnert daran, dass sich zum Beispiel die NATO-Staaten darum bemüht hatten, Einzelheiten über diesen Kampfstoff unbedingt unter Verschluss zu halten.
Bei seinem Treffen mit Marsalek im November 2018 in München sei dieses Thema allerdings nicht zentral gewesen, sagt Schmidbauer heute. "Das war Smalltalk, und ich hatte keinen Grund, das groß zu vertiefen." Es sei um Themen wie Terrorbekämpfung gegangen, "um Strukturen, die er sich erdacht hat, wo er helfen wollte". Vor allem deshalb wollte Schmidbauer Marsalek treffen. Über dessen Kontakte zu Geheimdiensten will Schmidbauer im Interview mit report München nicht spekulieren. "Das könnte ich, aber das will ich nicht. Ich glaube, das wird sich irgendwann aufklären," betont er. Auch der parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Florian Toncar, geht davon aus, dass Marsalek und der Zahlungsdienstleister Wirecard für Nachrichtendienste interessant gewesen sein dürften: "Wirecard war ein Unternehmen, das schon immer recht gut darin war, Zahlungsströme zu verschleiern." Der FPD-Politiker saß in der vergangenen Legislaturperiode für seine Partei im Wirecard-Untersuchungsausschuss.
Gebraucht – gesucht – gefunden
David Stögmüller, Nationalratsabgeordneter der österreichischen Grünen und Mitglied im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, hat mit Blick auf die Rolle des früheren Wirecard-Vorstands eine klare Position: "Jan Marsalek hat hohe Beamte im öffentlichen Dienst gebraucht, gesucht und gefunden." Als Beispiel nennt er die Abfragen in Polizei-Datenbanken, die der gebürtige Österreicher Marsalek über ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Österreich organisiert habe. Zu diesem Aspekt gibt es momentan staatsanwaltschaftliche Ermittlungen in Wien.
Der ehemalige Geheimdienstkoordinator Schmidbauer kann sich – wie viele andere - durchaus vorstellen, dass Marsalek aktuell in Russland ist. Er geht sogar davon aus, dass der frühere Wirecard-Manager wieder auftaucht. Der österreichische Grünen-Abgeordnete Stögmüller nicht. "Warum sollte er?" Er hält das nur für denkbar, "wenn Russland oder seine Partner - es muss ja nicht Russland allein sein - wenn die ihn nicht mehr beschützen. In Deutschland oder Österreich wird ihn sicherlich kein schönes Leben erwarten."
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