Bundeskanzler Olaf Scholz steigt nach der Landung in Prag aus einem Flugzeug der Luftwaffe aus.
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Bundeskanzler Olaf Scholz wird beim Gipfel der neuen europäischen politischen Gemeinschaft in Prag das deutsche Entlastungspaket erklären müssen.

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Europas Verdruss über Deutschlands Doppelwumms

Noch ist nicht klar, wie genau die Regierung Haushalte und Firmen in der Energiepreiskrise unterstützen will. Klar ist: Das neue Entlastungspaket ist gewaltig. EU-Partner sehen das kritisch.

Das Wort "Doppelwumms" lässt sich nicht direkt ins Italienische oder Ungarische übersetzen, trotzdem kam aus beiden Ländern ganz schnell scharfe Kritik an dem von Bundeskanzler Olaf Scholz so bezeichneten deutschen Abwehrschirm gegen die Folgen der Energiepreiskrise. Das Programm soll bis zu 200 Milliarden Euro umfassen.

Italiens scheidender Regierungschef Mario Draghi warnt vor Verzerrungen des Binnenmarktes, wenn sich EU-Staaten mit Entlastungspaketen gegenseitig überbieten. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán beklagt, dass ärmere Länder dabei nicht mithalten können. Er spricht vom "Beginn des Kannibalismus in der EU". Andere Staaten bemängeln einen deutschen Alleingang.

Angst vor Wettbewerbsverzerrung

Die Kritiker stört, dass Deutschland seine Haushalte und Firmen in einer Größenordnung unterstützt, die andere nicht aufbieten können, sich also einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Staatliche Beihilfen sind nach den Regeln des EU-Binnenmarktes nur in Ausnahmefällen erlaubt. Die EU-Kommission muss sie genehmigen, Brüssel will das deutsche 200-Milliarden-Paket genau prüfen.

  • Zum Artikel: "Unternehmen in der Energiekrise: Muss der Staat alle retten?"

Der Unmut entzündet sich auch daran, dass die Bundesregierung sich auf EU-Ebene gegen eine Preisobergrenze für Gas stemmt, zuhause aber mithilfe ihres Pakets faktisch eine Preisbremse einführen will.

Nord-Stream-2-Bau sorgte für Kritik bis zuletzt

In der Kritik schwingt außerdem der Ärger derer mit, die Deutschland für die exorbitant gestiegenen Energiepreise mitverantwortlich machen: Schließlich haben sich verschiedene Bundesregierungen über Jahrzehnte stark auf Lieferungen aus Russland verlassen und gegen den Widerstand vieler EU-Partner bis zuletzt am Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 festgehalten.

Dazu kommt Berlins Einkaufspraxis der vergangenen Monate: Indem die Bundesregierung ohne Absprache alles verfügbare Gas aufkaufte, um die Speicher zu füllen, habe sie die Preise zusätzlich nach oben getrieben.

Auch anderswo milliardenschwere Hilfen

Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht von einem Missverständnis: Schließlich sollen die veranschlagten 200 Milliarden Euro Hilfsmaßnahmen bis zum Jahr 2024 finanzieren. Die Bundesregierung verweist darauf, dass andere Mitgliedsstaaten ihre Haushalte und Unternehmen ebenfalls mit milliardenschweren Programmen unterstützen.

Da ist was dran: Frankreich zum Beispiel begrenzt seit gut einem Jahr die Gastarife seiner Bürgerinnen und Bürger und lässt die Strompreise nur in geringem Maß steigen. Die Differenz zwischen den gedeckelten Tarifen und den explodierenden Großmarktpreisen zahlt der Staat. Das kostet Dutzende Milliarden, einen Teil des Geldes holt sich Paris zurück, indem es übermäßige Gewinne der Energiekonzerne abschöpft.

Preisobergrenze für Gas, mit dem Strom produziert wird

Auch Österreich will seine Bürgerinnen und Bürger durch einen Preisdeckel bei der Stromrechnung entlasten, der für den Basisverbrauch gilt. Spanien und Portugal haben Mitte Juni eine Preisobergrenze eingeführt nur für Gas, das zur Stromproduktion verwendet wird. Griechenlands Regierung fängt die höheren Gas- und Stromkosten bis zu 90 Prozent auf und bezuschusst Energieversorger, die Kundinnen und Kunden dann eine weniger hohe Stromrechnung ausstellen.

EU-Hilfspaket wie in Corona-Zeiten?

Trotzdem sehen zwei EU-Kommissare das deutsche Hilfspaket kritisch. Der Italiener Paolo Gentiloni, zuständig für Wirtschaft, und sein französischer Kollege Thierry Breton, der sich um Europas Industrie kümmert, schreiben in einem Meinungsartikel, das deutsche Paket werfe Fragen auf. Zum Beispiel die, wie ärmere EU-Länder ihre Unternehmen und Haushalte unterstützen sollen. Die beiden warnen vor Wettbewerbsverzerrung und Subventionswettlauf.

Sie verlangen neben den jeweiligen nationalen Maßnahmen auch europäische Instrumente gegen die Energiepreiskrise, konkret: ein durch gemeinsame Schulden finanziertes Hilfsprogramm nach dem Vorbild der Pakete gegen die Folgen der Corona-Pandemie. Der Italiener Gentiloni und der Franzose Breton fordern damit, was die Regierungen ihrer Länder seit Monaten anmahnen.

Finanzminister: Corona-Werkzeuge bei Gas-Krise nicht wirksam

Aber die Bundesregierung blockt auch diesmal ab: Nach Ansicht von Bundesfinanzminister Christian Lindner helfen die Instrumente von 2020 heute nicht mehr - die Folgen des Nachfrageschocks durch Corona und das aktuell knappe Angebot beim Gas lassen sich Lindner zufolge nicht mit den gleichen Werkzeugen bekämpfen.

Ob das die kritischen EU-Partner überzeugt, ist offen. Auch wenn sich der Begriff "Doppelwumms" nicht direkt in Europas Amtssprachen übertragen lässt – nach Angaben von EU-Diplomaten wird Bundeskanzler Scholz einiges zu erklären haben beim informellen Gipfel morgen in Prag.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der zugeschaltete Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP)
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Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der zugeschaltete Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP)

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